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Mein Körper bewegte sich mechanisch. Mein Gehirn hatte sich verabschiedet und ich überließ meinem Körper dem Zufall.
Soll er doch machen, was er wollte.

Ich lief in Seelenruhe die Treppe runter und betrachtete den Mann, der gerade seine Jacke von seinem Schrank-ähnlichem Oberkörper streifte.

„Guten Tag, Herr Harly", begrüßte ich ihn monoton.

„Hallo Rose. Ich finde es bemerkenswert, dass du vorgeschlagen hast, heute eine Nachhilfestunde zu nehmen.", lächelte er.

„Du hättest uns Bescheid geben sollen. Ich war völlig unvorbereitet auf den Besucher.", es wirkte so, als ob meine Mutter sich nicht entscheiden konnte, ob sie stolz sein sollte, weil ich so engagiert war oder wütend, da Sonntag nicht ihr stylisch bester Tag war.

„Tut mir leid, Mama. Wir haben das kurzfristig beschlossen und ich habe vergessen es dir zu sagen."

Gott weiß, weshalb ich den Vergewaltiger deckte.

„Wollen wir in dein Zimmer gehen?", fragte mich ebenderselbe.

„Das ist wohl das Beste", bestätigte meine Mutter. Mein Zimmer war eines der wenigen, die sie schon sauber gemacht hatte.
Wieso spielte der Zufall diesem schlechten Menschen immer nur so gut in die Hände?

Das war doch abnormal. Vielleicht war er in irgendeiner Sekte, die Dämonen beschworen.
Ich stellte ihn mir mit einem schwarzen Umhang und Bemalungen auf dem Gesicht vor.
Wahrscheinlich hätte ich gelacht, wenn das nicht so verdammt wahrscheinlich gewesen wäre.

Widerwillig führte ich Herrn Harly in mein Zimmer und knallte die Tür hinter ihm zu.

„Was machen Sie hier?"

„Ich weiß jetzt, dass du nicht zu mir so abweisend bist, weil du Angst hast erwischt zu werden.
Da gibt es einen anderen Grund."

Ich sah ihm ins Gesicht. Nicht in seine Augen. Das schaffte ich nach meinem Ausbruch nicht. Doch ich konnte seinen linken Nasenflügel fokussieren.
Ein kleiner Funke Hoffnung, dass er es doch noch verstanden hatte, durchflutete meinen Körper.

„Hör zu, Rose. Dieses Problem haben viele Paare. Aber das ist noch lange kein Grund sich so zu streiten.
Es wird besser mit der Zeit.", er sah mich liebevoll an.

„Ich kann Ihnen nicht folgen", antwortete ich langsam.

Er näherte sich mir ein kleines Stück.

„Das erste Mal ist immer etwas...naja...sagen wir schwierig.", flüsterte er.
Dann drehte er sich um und stolzierte durch mein Zimmer, „es gibt doch genügend Filme in denen diese Problematik thematisiert wird. Wie wär's mit The First Time?"

Verglich er die Vergewaltigung ernsthaft mit einer Teenie-Romanze?

Er deutete meinen verdutzten Blick falsch.

„Ja, es kommt schon mal vor, dass ich solche Filme schaue.
Ist doch nichts dabei.", er zuckte die Schultern.

Ich antworte nicht.

„Ein schönes Zimmer hast du hier. So bequem."

Er betrachtete das große Plakat von Jeremy Irvine.

„Wer ist das?"

„Ein Schauspieler."

„Warum hast du ein Bild von ihm hier kleben?"

Ich dachte nicht daran, ihm eine Antwort darauf zu geben. Ich hatte mich nicht zu rechtfertigen.

Dann lachte er.

„Verstehe. Du spielst deine Rolle als unschuldige Teenagerin ziemlich gut. Ganz schön authentisch mit den Postern.
Daran sehe ich, dass dir die Sache mit uns beiden doch nicht so egal sein kann, wie du immer tust."

Er kam auf mich zu. Ich stand wie angewurzelt da.

„Bitte, Rose. Wehre dich nicht mehr dagegen.
Es wäre so viel leichter, wenn du es zulassen würdest.", flüsterte er in mein Ohr.

„Einfacher vielleicht, aber auch falsch.", hauchte ich leise.

Einen Moment später, als ich gegen meinen Bücherschrank geschleudert wurde, bereute ich diesen Satz.

The Guy who was my TeacherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt