Kapitel 6

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Zitternd und in einer Wolldecke saß ich mit den anderen im Aufenthaltsraum und wartete darauf das ich endlich in mein Bett konnte. Um 16:00 war es immer Zeit, für langweiliges rumsitzen im Aufenthaltsraum. Viele in der Runde saßen dort einfach nur und redeten mit sich selber. Manche unterhielten sich oder spielten Karten. Der Junge Mann, der heute morgen hinter mir in der Schlange stand, saß etwas abseits und blickte nervös zu Boden. Ich warf ihm einen verständlichen Blick zu, als wüsste ich was er gerade durchmacht. Langsam stand ich auf und lief mit meiner Wolldecke zu ihm herüber. Vorsichtig setzte ich mich auf den freien Stuhl neben ihm und sagte keinen Ton. Mir war es höchst unangenehm, vor allem da er mindestens 20 Jahre älter war als ich. Die Stille zu unterbrechen, schien für mich eine gute Lösung:,, Chrm hallo ich bin Clara wir kennen uns noch nicht so gut." Ich wusste wirklich nicht was ich in diesem Moment von dem Mann erwartet hatte. Vielleicht ein nettes ,,Hallo." Oder einfach nur schweigen. Sein Blick wanderte zu mir herüber und ich sah die Blut unterlaufenen Augen, die mich wie ein stechender Pfeil trafen. Seine Lippen bebten und er versuchte seine Stimme auf Vordermann zu bringen:,, D-Du siehst ihn auch richtig?" Für mich war eigentlich klar wen er eigentlich meinte, jedoch war ich schon immer ein Mädchen gewesen, das manche Dinge noch einmal hören möchte:,, Wen meinen Sie?" Ein großes Entsetzen breitete sich im Gesicht des Mannes aus:,, Der Mann, der die Atemmaske trägt. Du siehst ihn doch auch." Ich versuchte zu nicken, aber es funktionierte einfach nicht. Ich wollte nie wieder an dieses Wesen denken müssen, nachdem ich mitten im nichts war. Nach all dieser Zeit im Dorf, Zuhause, ich wollte das Alles nicht mehr. Der Mann holte tief Luft:,, Du siehst ihn! Den Teufel! Satan der Schöpfer des Bösen! Sag es!" Ich erstarrte unter seinem Gebrüll, als sich zwei Angestellte ihn schnappten und ihn wegbrachten. Mein Blick wandte sich nicht nach hinten, dafür fehlte mir in diesem Moment einfach der Mut. Plötzlich ertönte eine Klingel. Ich drehte mich um und sah Miss Anderson, die eine silberne Glocke in der Hand hielt. Sie war mit kleinen Rosen verziert und erinnerte mich an die Glocke, die meine Mutter immer zum Essen verwendet hatte, um uns mitzuteilen das ihre schreckliche Speise fertig war. Alle Augen hatten sich auf Miss Anderson gerichtet:,, Heute ist Besucherzeit. Ich bitte Sie jetzt gleich aufzustehen, wenn sie dazu aufgefordert werden. Diejenigen, die keinen Besuch haben werden wieder auf ihre Zimmer gebracht." Am liebsten hätte ich mich in diesem Moment sofort auf mein Zimmer begeben. Wer sollte mich denn schon besuchen wollen? Mein Körper fühlte sich durch diesen Gedanken noch kälter an und es machte mich fertig, daran zu denken das mich niemand sehen will. Miss Anderson zog eine Liste heraus und laß:,, Clara Winters und Michael Pay." Mein Blick schoss nach oben und ich glaubte mich verhört zu haben. Jedoch löste sich meine Wolldecke wie von selber und ich lief zu Miss Anderson herüber. Diese begleitete mich durch einen schmalen Gang, zu einem kleinen Raum. Meine Augen weiteten sich, als ich die Person vor mir sah, die ich am aller wenigsten erwartet hätte. Mister Bould stand einfach nur da und musterte mich:,, Oh Gott was haben sie mit dir gemacht Clara?" Durch seinen Atem beschlug die Scheibe etwas und ich spürte plötzlich wieder diese unglaubliche Kälte. Ich verschränkte meine Arme und hatte das Bedürfnis zu weinen:,, Was tun sie hier Mister Bould?" Wimmerte ich und versuchte die Tränen, der Wahrheit, zurückzuhalten:,, Clara ich bin hier um dich zu besuchen. Viele machen sich Sorgen um dich.",, Ach ja wer denn?" ,,Mister Zachary hatte mal nach dir gefragt. Sogar Adam hatte sich nach dir erkundigt." Mein Blick wanderte nach unten:,, Was ist mit meinen Eltern?" Mister Bould schwieg, so als würde er diese Nachricht wie einen kleinen Schatz behüten wollen:,,Sie haben nicht nach dir gefragt." Sagte Mister Bould traurig und senkte seinen Kopf:,, Deiner Mutter geht es nicht sehr gut Clara, aber sie wird behandelt." Warum war das genau die einzige Sache, die mich in diesem Moment am wenigsten interessiert hatte? Es war mir völlig egal. Meine Eltern hatten mich in diese Hölle geworfen ohne Sinn und Verstand. Ich wusste ganz genau, das sie nicht die geringste Ahnung hatten wie weh mir das eigentlich tat. Leere durchstreifte meinen Körper und war auf der Suche nach Licht. Mister Bould sah schrecklich aus, als hätte er monatelang nicht geschlafen. Schwarze, dicke Ringe zogen sich um seine Augen und wirkten Ausdruckslos. Ob er mir eine Lektüre mitbringen würde? Komischerweise hatte ich das Gefühl nur Worte von ihm zu erhalten, Worte die mich zum nachdenken bringen würden. Er hatte seine Hände gefaltet und stieß gelegentlich einige Tiefe Seufzer aus:,,Was haben sie nur mit dir angestellt Clara?" Jeder Satz von Mister Bould stach wie ein Pfeil in mein Herz. Konnte er sich das, wegen meines äußerlichen Erscheinens, denn nicht vorstellen? Mein Blick wanderte zu ihm hinauf:,,Gehen sie Mister Bould.",,Aber Clara ich muss dir doch helfen.",,Keiner kann mir helfen verstehen Sie?! Ich wurde in ein tiefes Loch geworfen, aus dem mich niemand mehr herausholen kann! Meine Eltern haben mich verraten, meine eigenen Eltern!" Meine Wut sank mit jeder Träne, die ich vergoss. Mister Bould hingegen schien mich irgendwie zu verstehen, denn seine Gesichtsausdruck sagte mehr als tausend Worte. Langsam griff er mit seiner Hand in seine Manteltasche und holte etwas heraus. Ich hatte in diesem Moment keine Ahnung, was es hätte sein können. Vielleicht ein Brief von Adam, oder ein Packung Erdbeer Bonbons aus Mister Ashford's Laden. Es war weder ein Brief noch eine Packung Bonbons, es war eine Kette. Sie war Silber und trug am Ende ein kleines blau schimmerndes medallion. Es sah beinahe aus wie ein Kristall:,,Die ist für dich Clara Winters." Sprach Mister Bould und gab mir ein Zeichen. Da ich wusste was er genau meinte, drehte ich mich um und strich meine dunkelblonden Haare zur Seite. Ich spürte die Kälte, der silbernen Kette, auf meiner Haut und ich musste etwas lächeln. Kurz darauf war ich einen Blick auf das Medallion, welches jetzt auf meinem Anstaltshemd lag und berührte es:,,Es ist eine wunderschöne Kette Mister Bould, danke.",,Diese Kette soll dir in allen schwierigen Situationen beistehen. Sie wird dich beschützen glaub es mir." Ich nickte und schaute in Mister Boulds Augen, die sich mit Wasser füllten. Das was ich jetzt tat, hätte niemals ein 9 Jahre altes Mädchen getan. Langsam schritt ich auf Mister Bould zu und wischte die Tränen weg, die seine Wangen herunterliefen. Zum Abschied gab ich ihm einen Kuss auf die Wange und flüsterte:,,Ich muss das allein schaffen. Dieses Mal können sie mir nicht helfen Mister Bould. Es tut mir leid." Schweren Herzens wandte ich mich von Mister Bould ab und lief davon. Ich wollte mich nicht umdrehen, das hätte alles nur noch schwieriger gemacht. Natürlich war ich über seinen Besuch dankbar gewesen, aber ich musste es alleine schaffen. Für mich schien es keine andere Lösung mehr zu geben, als mich komplett dem zu widmen, was mich mein Leben lang verfolgen würde. Mit langsamen Schritten lief ich zurück, zum Aufenthaltsraum. Blicke, tausende von Blicke trafen mich auf einen Schlag. Ein Gefühl der Vergangenheit durchfuhr mich. Jeden Montag musste ich ein Referat über Shakespeare führen und erntete jede Menge Blicke. Sie waren unerträglich und stachen mir ins Herz. Jedesmal wenn der Unterricht vorbei war und Miss Douglas ihren dunkelblauen Mantel anzog, versuchte ich mit ihr noch einmal ins Gespräch zu bekommen. Ich verstand nie warum mich alle so anstarrten, oder warum immer ich das Referat halten musste. Vergeblich versuchte ich mit ihr zu reden, doch vergebens die 30 Jahre alte Frau packte ihre Sachen und ging. Wenn einem im Leben nie zugehört wird, dann kann ich das Vortragen, von Shakespeares Leben, gleich ganz vergessen. Ohne weiter über meine jetzige Situation nachzudenken, lief ich wieder zu meinem Platz und kuschelte mich erneut in meine Wolldecke. Eine Ewigkeit verstrich, bis Miss Anderson endlich zurückkehrte. Plötzlich sah ich etwas in ihrem Gesicht. Es sah aus als wäre sie in ein tiefes Loch gefallen, aus dem sie nicht mehr rauskommt. Ihre Augen sahen traurig und leer aus. Vielleicht hatte sie einen. Rief von Zuhause erhalten. Vielleicht war ihre Mutter gestorben. In diesem Moment hätte alles möglich sein können, jedoch fehlte mir mein komplettes Vorstellungsvermögen. Ich sah wie ein dicker Kloß ihre Lunge herunter wanderte und ihr fast die Luft wegnahm. Langsam spalteten sich ihre Lippen:,, Auf ihre Zimmer sofort." Dies ließ ich mir nicht zweimal sagen. Schnell stand ich auf und lief schnellen Schrittes auf mein Zimmer, im 2 Stockwerk. Langsam wurde es dunkel und die Flut trat ein. Auf einmal zauberte ein gewisser Anblick ein Lächeln auf meine Lippen. Ich sah aus dem Fenster und erkannte Mister Zachary, der gerade Mister Bould abholte. Er hatte es anscheinend nicht mehr zu Fuß herüber geschafft. Plötzlich sah ich, wie Mister Zachary zu meinem Fenster herauf schaute. Ich winkte wie wild und lächelte bis über beide Ohren. Dann passierte es, Mister Zachary winkte mir ebenfalls zu und ich meinte ebenfalls ein Lächeln bemerkt zu haben. Doch dann fuhren sie einfach davon, hinaus in Richtung Sonnenuntergang. Tränen sammelten sich in meinen Augen und ich musste schon so oft geweint haben, das es schon in meinen Augen brannte. Langsam wandte ich mich von dem Fenster ab und setzte mich an meinen Schreibtisch. Mittlerweile hatte ich einen Stift bekommen und auch ein Notizbuch. Miss Anderson hatte es mir gegeben, da ich ihr gesagt hatte, das ich das Schreiben nicht verlernen möchte. Zu meinem Erstaunen hatte sie sogar Verständnis dafür. Diese Notizbuch wurde zu meinem Tagebuch, indem ich jeden Schritt und jeden Moment, meines Lebens, festhalten konnte. Wer würde es später lesen? Vielleicht lesen Sie es ja gerade. Wieder einmal griff ich zum Stift und drehte ihn zwischen Zeigefinger und Daumen. Tinte tropfte auf das 6 Blatt, meines Buches. Ich sah wie das Blatt die Tinte wie einen Regentropfen aufsaugte. Plötzlich hörte ich etwas tropfen. Es kam von draußen und ich sah, das es angefangen hatte zu regnen. Eine dicke Nebelwand hatte sich vor meinem Fenster gebildet und versperrte mir die Sicht auf das Meer. Ich beobachtete die einzelnen Tropfen, die die Scheibe herunterflossen und in mir eine traurige Stimmung erzeugten. Etwas betrübt lief ich in Richtung Tür und drückte langsam die Türklinke herunter. Ein Quietschen ertönte und ich biss mir auf die Lippe, in der Hoffnung das mich niemand gehört hatte. Ein Windhauch war, auf dem kalten Flur, zu hören und ich streifte mit meinem Blick an den vielen Türen vorbei. Es war auf einmal so ruhig, aber ich konnte mir schon denken warum. Alle hatten ihre Therapie hinter sich und ihre Medikamente bekommen. Wenn das der Fall war, dann wären alle außer Gefecht gesetzt. Langsam setzte ich einen Fuß auf den Flur und suchte die Toilette auf. Meine Blase drückte schon seit Stunden und obwohl ich wusste, das ich jederzeit hätte rausgehen können, kam mir diese Idee nicht in den Sinn. Meine kalten Füße schliffen über den Boden und ich fühlte mich 50 Jahre älter. In diesem Moment kam mir die Irrenanstalt eher wie ein Altersheim vor. Ich setzte meinen Weg, zu den Toiletten, fort und drückte die Türklinke herunter. Angst bahnte sich schon wieder in mir auf. Was würde passieren wenn ich jetzt diese Tür öffnen würde? Ich wusste es nicht im geringsten. Dieses Wesen konnte überall sein und diese Gedanken hatten mich so weit getrieben, dass ich noch nicht einmal auf Toilette gehen konnte. War das nun ein schlechtes Omen für mich? Ohne weiter darüber nachzudenken öffnete ich die Tür und ein heftiger Windstoß kam auf mich zu. Meine Augen öffneten sich nach kurzer Zeit wieder und ich erblickte eine leere und alte Toilette. Die Kacheln an den Wänden trugen ein Blumenmuster im Retro Style und erinnerten mich an die, in meinem Elternhaus. Ein kleines Fenster war auf kipp geöffnet und ließ die kalte Seeluft hinein. Meine Schritte führten zu einer kleinen Kabine, in der linken Ecke des Raumes. Meine Hand berührte die kalte, rostige Tür und öffnete diese. Eine kleine, etwas verdreckte, Schüssel stand vor mir und lud mich ein auf ihr platz zu nehmen. Dies tat ich nach kurzer Zeit und lauschte dem sanften Meeresrauschen. Plötzlich hörte ich wie ein Quietschen, von einer Tür, ertönte. Langsam lehnte ich mich zurück und hoffte, das es nicht Dr. Hunt oder Miss Anderson war. Vielleicht hatten sie einen Kontrollgang gemacht und mich nicht in meinem Zimmer aufgefunden. Ich malte mir das aller schlimmste aus und wollte es nicht wahrhaben, dass es eine von diesen beiden Personen sein könnte. Mein Herz begann plötzlich schneller zu rasen und leichter Schweiß bildete sich auf meiner Haut. Es war ja wohl noch erlaubt auf die Toilette zu gehen. Aber so wie ich Dr. Hunt kannte, würde er mir dies auch untersagen. Doch die Geräusche, die ich nach meinem langen Gedankengang hörte, ließen mich schlussfolgern das es nicht Dr. Hunt oder Miss Anderson war, die in diesem Moment die Toilette betreten hatten. Ein Tapsen zog durch den Raum, wie von nackten Füßen. Ein Schauer zog sich über meinen Rücken und flößte mir deine Angst ein. Ein Pfeifen ertönte, ein sehr lustiges und fröhliches Pfeifen. Ich lehnte mich weiter und weiter zurück und versuchte kein einziges Geräusch von mir zu geben. Plötzlich war das Pfeifen weg und in der Luft lag nur noch das Echo. Langsam stand ich auf, zog meine Hose hoch und öffnete die rostige Tür. Niemand aber auch absolut niemand war zu sehen. Hatte ich mir das Ganze wieder nur eingebildet? Vorsichtig lief ich zu Waschbecken und drehte den quietschenden Wasserhahn auf. Das kalte Wasser umhüllte meine Hände und gab ihnen ein leichtes rot. Zu meinem Pech war weit und breit kein Handtuch in Sicht. Wahrscheinlich war Miss Anderson noch nicht hier gewesen um neue auszuteilen. Mein Blick wanderte langsam hoch, denn ich spürte das mich jemand beobachten musste. Mein Blick wanderte nach hinten und mein Mund öffnete sich mit einem Schlag. Oben auf der Toilettenkabine saß mein Albtraum. Wie ein Dämon hockte der Mann, aus meinen Albträumen, auf der Kabine der Toilette. Seine pechschwarzen Augen funkelten mich an und sahen hasserfüllt aus. Automatisch beschleunigte sich mein Atem und meine kalten Hände umklammerten das Keramikwaschbecken. Mit einem riesigen Sprung sprang der Mann auf mich und ich hatte das Gefühl, das er mir mein Herz zerquetschen würde. Voller Angst und Panik schrie ich auf und windete mich auf dem kalten Boden. Mein Körper krampfte und ich sah in die Augen des Monsters über mir. Plötzlich spürte ich die Atemmaske auf meiner Haut und ich war wie gelähmt. Ich stand neben mir und hatte einfach keine Kontrolle mehr. Alles was ich nur noch hörte war ein lautes Krachen und Stimmen. Mein Blick wurde immer verschwommener und ich ließ mich einfach fallen, hinein ins Ungewisse.

The shadow behind meWhere stories live. Discover now