Kapitel 2 - Liliana

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Liliana

Zeitgleich mit Kapitel 1.

Wie jede Nacht, hatte ich so gut wie kein Auge zu bekommen, was nicht nur daran lag, dass alle zwei Stunden Adam geschaut hatte, ob alles okay war, sondern auch daran, die Nacht ohne Decke und nur in kurzer Hose mit kurzem top verbracht zu haben. Frieren verbrennt Kalorien hatte ich mal aufgeschnappt und machte das seitdem auch jede Nacht, was durch den Altbau hier super ging. Seit 3 Wochen war ich nun wieder hier und es war die Hölle.

Um 6:30 Uhr hieß es aufstehen und mich überkam eine Panikattacke.

Gleich würde ich wieder essen müssen.
Das Gewicht auf der Waage würde steigen.
Ich war doch schon dick redete ich mir ein, obwohl mein tiefes Inneres genau wusste, dass ich genau das Gegenteil bin. Ich konnte dem nur keinen Glauben schenken.

Ich rannte in das kleine Bad und begutachte mich im Spiegel. Meine leeren Augen schweiften über meinen Körper und ich merkte, wie diese feucht wurden. Instinktiv griff ich ein Stück an meinem Bauch und sah dies direkt als Fremdkörper an. Weinend ließ ich mich auf den Boden sinken und fing an mir meine Unterarme zu demolieren (ich hab Angst zu Triggern, würde ich dies ausführlicher beschreiben). Das Einzige, was ich noch wahrnahm, waren Stimmen ehe alles schwarz und leise wurde.

„Lili? Hörst du mich?" Es tätschelte jemand meine Wange und so langsam kam mein Bewusstsein wieder. Ich schlug meine Augen auf und sah Doctor Smith vor mir. „was machst du bloß?" Stumm blickte ich auf meine Arme, die er gerade desinfizierte und anschließend bandagierte.

„Ok. Wenn es wieder geht, kannst du zu Mrs. Cooper gehen, dein Gewicht kontrollieren lassen, bevor du zur Tanztherapie gehst. Davor wirst du aber nochmal von Adam abgefangen" Ich stand etwas wackelig auf und ging zu dem Raum. Ein paar Minuten stand ich regungslos da und starrte den Boden an.

Warum machst du das noch?
Du wirst eh nie gesund.

„Lili." riss Adams tiefe Stimme mich aus meinen Gedanken und ließ mich zusammenzucken. Schluckend sah ich auf und erblickte nicht nur Adam, sondern auch einen mir unbekannten Jungen. Ich nahm wahr, wie sein Blick auf mir ruhte, der allerdings ziemlich erschrocken wirkte. Meine Augen fanden seine und ein kurzer Augenkontakt entstand, bis ich den Blick zuerst abwand. Schuldbewusst schaute ich zu Adam und entschuldigte mich leise. Reden war seit dem Vorfall vor drei Jahren nicht mehr meine Stärke. Genauso der Kontakt zu Menschen. Die einzigen Menschen, die ich hier okay fand waren ein Großteil der Mitarbeiter und Lydia, meine damalige Mitbewohnerin und beste Freundin.
Adam erklärte mir noch den Ablauf für die nächsten 3 Stunden und bat mich dann in den Raum von Mrs. Cooper. Ich ging rein und der Junge gleich mit.
Kurz schwafelte sie mich voll und fragte auch sofort, was mit meinen Armen war. Wieder blieb ich still. Sie konnte es sich schließlich denken. Anschließend hatte sie mich auf die Waage gebeten, jedoch musste ich den Jungen erst los werden. Es war mir peinlich und unangenehm, wenn er meine gesundheitliche Lage mitbekommen würde. „Er soll gehen" murmelte ich in den Raum hinein, was er zum Glück direkt verstand und das Zimmer verließ.
„45 Kilogramm. Wieder zwei Kilo mehr." lobte sie, doch ich zerbrach innerlich. Ich tat doch soviel, dass ich nicht weiter zunehmen kann.
„Wie geht's dir damit?" fragte sie sanft.
Am liebsten wollte ich jetzt schreien, aber ich hatte eine innere Blockade, die mein Bedürfnis nicht zuließ. „Nicht gut." Es war nicht mehr als ein hauchen. Verstehend nickte sie und schickte mich dann zu der Tanztherapeutin. Das war die einzige Sache hier, in der ich ein wenig entspannen und alles vergessen konnte.

Hier war vielleicht auch ein guter Zeitpunkt, mich kurz vorzustellen. Ich hieß Liliana, kurz Lili und ich war 17 Jahre alt. Meine Haare waren gerade mal schulterlang und braun. Meine Augen hingegen kamen in einem eisblau daher. Und nicht zu vergessen: ich war krank. Mehr werdet ihr im Laufe der Zeit über mich erfahren.

Nach der zweistündigen Therapie rief dann auch schon das Mittagessen. Mit schwitzigen Händen und wackeligen Knien begab ich mich in den Speiseraum zu dem kleinen Buffet. „Guten Mittag Lili." lächelte Sam, eine weitere Pflegekraft mich an. Sie stand immer hier und beobachte, wie viel man sich auf den Teller tat. Das ist nur auf dieser Station so, da sich hier ausschließlich auf Das essgestörte Verhalten spezialisiert wurde.

Eine Kelle Reis, eine Kelle Soße, ein Stück Fleisch und eine Scheibe Brot. Das sollte mein Mittag sein und es sah unheimlich viel aus. Ich setzte mich auf meinen Stammplatz und fing an, den Reis platt zu drücken, damit es wenigstens in meiner Fantasie weniger aussah. Als niemand ein Auge auf mich warf, pulte ich so viele Krümel von der Brotscheibe ab, wie es nur ging. Erst dann begann ich mehr oder weniger zu essen. Nach einer halben Stunde war der Teller leer und ich fühlte mich elendig.
Ich ging auf mein Zimmer, legte mich auf mein Bett und fing an Sport zu machen. Unendlich viele Übungen später, fühlte ich mich zwar ein wenig besser, aber mir wurde dennoch übel.

Am Nachmittag hatte ich noch ein Gespräch mit meiner Therapeutin und war dann eine halbe Stunde draußen im Garten, der natürlich eingezäunt war.
Zurück auf meinem Zimmer setzte ich  mich auf mein Bett und wartete die Zeit bis zum Abendessen ab. Teilweise saß ich auch vor dem geschlossenen Fenster und schaute nach draußen. Wenn man längere Zeit hier verbrachte, konnte man es sich kaum mehr vorstellen, wieder frei und vor allem normal zu sein.

Beim Abendessen lief es ähnlich wie beim mittag ab. So viele Krümel wie möglich abkratzen und so wenig wie möglich von allem nehmen.
Ab 20 Uhr herrschte hier Nachtruhe und ich legte mich in mein Bett, darauf bedacht wieder ohne Decke einzuschlafen.
Alle zwei Stunden spickte Adam ins Zimmer, weshalb ich immer die Decke aufheben musste und mich zudeckte.

Ein ganz normaler Tag, nicht wahr?

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