Kapitel 3 - Ryan

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Ryan

Ich wachte für meine Verhältnisse und trotz leichten Kater sehr früh auf. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es gerade mal kurz nach 5 Uhr morgens war. Moment mal. Diese Uhr gehörte aber nicht mir und auch diese Bettwäsche kam mir nicht bekannt vor. Ich schaue nach links und sah nichts weiter als blonde Haare, die wirr in alle Richtungen abstanden. Fuck. Ich wollte das doch lassen.
Leise aber schnell huschte ich aus dem Bett, zog meine Klamotten wieder an und verschwand aus dem fremden Haus, bevor irgendjemand wach wurde. Okay. Spätestens durch das Aufheulen meines Motorrads waren sie jetzt sie eh hellwach, aber das interessierte mich nicht, so schnell wie ich weg war. Zuerst fuhr ich zuhause ran, um mich zu duschen und frische Klamotten anzuziehen. Ich musste erst um 6:20 Uhr da sein, weswegen ich mir Zeit lassen konnte.
Fertig geduscht und angezogen, richtete ich fix meine Haare und ging, wie gestern Morgen schon, in die Küche, um zu frühstücken. Da ich ein netter Bruder war, machte ich noch Sophia, meiner kleinen Schwester, etwas zu essen.

Pünktlich kam ich vor dem Altbau an und wurde prompt von Adam empfangen. „Ich lasse dich heute frei rumlaufen, damit du ein Gefühl dafür entwickelst, alleine mit den Menschen hier umzugehen. Wenn etwas sein sollte, befinden sich auf den Fluren Telefone, mit denen du die Mitarbeiter anklingeln kannst. Sonst findest du aber auch auf jeder Station Pflegekräfte, die du ansprechen kannst." ich nickte und schon verschwand er.
Kurz fühlte ich mich überfordert, aber meine Beine trugen mich regelrecht auf die Station für das essgestörte Verhalten. Es war 6:30 Uhr und langsam trotteten alle Patienten aus ihren Zimmern. Alle schrecklich dünn und blass. Aber ich hielt nur nach einer Ausschau, bis ich sie sah, wie sie aus ihrem Zimmer ging. Sie war aber nicht alleine, denn sie schleppte dieses Gerät mit sich, welches Herzfrequenzen aufzeichnete. Mit gesenkten Kopf ging sie an mir vorbei und ich lief ihr hinterher. Es dauerte nicht lange, da waren wir gleich schnell, aber sie schien mich immer noch nicht zu bemerken.

„Hey" sagte ich so sanft wie möglich, um sie nicht zu erschrecken. Stille.
„Du stehst nicht so auf Worte, oder?" hakte ich weiter nach.
„nicht wirklich." kam es knapp von ihr und ging weiter.
„Wieso schleppst du dieses Gerät mit dir? Gestern hattest du das doch noch nicht?"

„Herzstillstand."

Abrupt blieb ich stehen und starrte sie an. Ihren Rücken genauer gesagt. Ich verstand nicht, wie sie so kaputt sein konnte, dass sowas eintrat. Allgemein verstand ich gar nichts davon, aber ich würde das noch herausfinden.
Ich lief wieder neben ihr her und sah, wie stark sie zitterte. „Ist dir kalt?"
Doch sie schüttelte nur den Kopf und betrat den Speiseraum. „Ich bin übrigens Ryan" stellte ich mich auch endlich mal vor und dann hob sie ihren Blick, sodass ich direkt in ihre Augen schauen konnte. „Lili. Aber das weißt du ja bereits." kommt es ein wenig gelöster von ihr, wobei sie zuvor noch viel verkrampfter war. Ein leichtes siegessicheres Lächeln schlich sich auf meine Lippen, weil sie endlich mit mir redete und nicht nur einzelne Worte in den Raum warf. „Ist das dein richtiger Name oder...?"

„Nein. Ich heiße richtige Liliana, aber ich möchte nur Lili genannt werden."
Liliana. Der Name klang so sanft und passte irgendwie zu ihr, auch wenn sie so unnahbar und kalt wirkte.

Werd jetzt mal nicht zur pussy.
Mahnte meine innere Stimme, die sich überall einmischen musste.

Ich schaute Lili zu, wie sie mit zitternden Händen nach einer Scheibe Brot griff, die sie zuvor genauestens beäugt hatte. Warum sie das tat, wusste ich nicht. Schließlich nahm sie noch eines von dieses Nutella-„Proben" und ein wenig Butter. Insgesamt ein sehr mageres Frühstück, doch für sie war es scheinbar genau das Gegengeil, als sie den Teller auf dem Tisch abstellte und nochmal darauf schaute. „Ist alles okay?"

„Ja. alles bestens" presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und lächelte gekünstelt. Sie dachte wohl, ich sei blöd. Ich sah doch, wie schwer ihr diese Menge fiel.

Wir nahmen Platz und ich beobachtete sie unauffällig beim essen. Kurz wand ich meinen Blick ab und schaute mich im Saal um. Überall saßen dünne, knochige Mädchen und nur vereinzelt ein paar Jungs. Als ich wieder zurück zu Lili schaute, war ihr Brot um einiges geschrumpft. Kaum merklich schob sie die beiliegende Serviette unter den Teller, doch ich kam ihr zuvor und nahm diese an mich. Ich öffnete sie und zum Vorschein kam ein Haufen an Krümeln. Das erklärte, warum das Brot so klein war. Ich konnte das nicht so hinnehmen, also stand ich auf und holte ein neues Brot, welches ich ihr auf den Teller legte. „Das isst du komplett auf." befahl ich leise. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihrer Haut. Ob das an mir lag?

HAHAHA hättest du wohl gerne!

Sie schaute mich noch einmal kurz an und fing dann an zu essen. Allein für die Scheibe Brot hatte sie fast 20 Minuten gebraucht, wofür ich gerade mal 2 Minuten bräuchte. Es waren sehr kleine Stücke die sie abbiss, aber ewig darauf herum kaute.
Oftmals flogen Stühle um und Patienten liefen dicht gefolgt von Pflegern raus aus dem Saal.
„Bulimiker" hörte ich die leise Stimme von Lili neben mir. Ich hatte davon schonmal gehört, wusste aber dennoch nicht, worum es sich dabei genau handelte. Das merkte sie und seufzte leise auf, ehe sie weitersprach. „Man sagt auch Ess-Brech-Sucht. Sie essen normal, erbrechen dann aber alles wieder. Eigentlich können die das ganz gut verheimlichen, aber manchmal überkommt es sie."

„Und du? Bist du auch so eine?" frage ich vorsichtig nach. Sie biss sich auf die Unterlippe, was zugegebenermaßen ziemlich scharf aussah.

Die Alkoholreste lassen grüßen. warte. FUCK. Du bist ja nüchtern.

„Nein ich habe keine Bulimie." flüsterte sie so leise, dass ich es kaum verstand. "Was hast du dann?"
„Anorexie." kam es noch leiser über ihre Lippen. Ich wollte noch so viel fragen, aber ich wusste, dass dies nicht ging. Zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht.
„Warum isst du dann nicht einfach?" platzte es aus mir raus und ich bereute es direkt.

„Wenn das so einfach wäre." sie stand auf und verließ zügig den Saal, sofern das mit den Gerät ging. Ich sollte sie in Ruhe lassen. Ja, dass wäre das beste.

Wir wissen beide, dass du dich nicht daran halten wirst.

Ich schlenderte ein wenig durch die Station und betrachtete die Bilder, die an der Wand hingen. Jedes von Ihnen hatte eine Bedeutung. Das spürte man beim bloßen Anschauen schon. Mit einem Mal nahm ich Schritte aus einem Zimmer war. Es war aber nicht dieses hin und her laufen, sondern schnelles laufen. Sprinten traf es eher. Meine Neugier brachte mich dazu, nachschauen zu wollen. Also klopfte ich leise an und sofort herrschte Stille. Ich öffnete die Tür und was ich da sah verschlug mir die Sprache.

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