Überleben

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Und es geht weiter, u.a. mit einem neuen Cover, an der Stelle nochmal vielen Dank an xDreamingFirex <3 Ich bin wirklich begeistert von diesem Cover. *__*

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Sie wartete auf das Aufreißen der Schranktür, auf das Licht, das die Dunkelheit des Schrankinneren zum Erhellen bringen und ihr Versteck binnen Sekunden zerstören würde, einem Reh gleich, das auf der Straße in die Scheinwerfer eines nahenden Autos blickte. Sie versuchte sich irgendwie dafür zu wappnen, dass der Hund seine Zähne in ihre Haut bohren und sie herausziehen würde, doch zu ihrer völligen Überraschung wich der Hund von dem Schrank zurück.

„Hier", sagte eine fremde Stimme, viel zu weit von ihr entfernt, als dass sie Tomoe meinen konnte. Schritte bewegten sich in die Richtung des Badezimmers, irgendetwas raschelte und wurde hervorgezogen. Natürlich. Sie mussten ihre Kleidung gefunden haben. Sie hatte sie blutig und dreckig, wie sie waren, einfach in Allys Wäschekorb geworfen. Das war noch gewesen, bevor sie von den Hunden erfahren hatte und die Neuigkeiten sie wie ein Schlag getroffen hatten. Die Kleidungsstücke hatte sie da längst vergessen und sie für unbedeutend erklärt. Ein Fehler, der ihr jetzt zum Verhängnis werden sollte. Aber all das erklärte nicht, warum die Hunde nur die Kleidung, nicht aber sie gefunden hatten. Auch sie roch nach Wolf, für jede feine Hundenase eigentlich deutlich vernehmbar, trotzdem waren sie nur auf das getrocknete Blut aufmerksam geworden. Es war dieser Moment, indem ihr wage einfiel, wie sie einst mit Taro über jenen Tag gesprochen hatte, an dem er sie allein im Wald gefunden hatte. Sie hatte die Angst in seinen Augen sehen können, als er davon erzählt hatte, wie er seine Suche beinahe aufgegeben hatte. Die Angst, sie zu verlieren. Damals hatte sie ihn voller Unglauben angestarrt, immerhin war es keine Seltenheit, dass Welpen zuweilen ihre eigenen Wege gingen, natürlich verschwanden sie zumeist nicht so weit in den Wäldern wie Tomoe, aber es war für Wölfe ein Leichtes einander durch ihren Geruch zu orten. Jeder von ihnen besaß einen einzigartigen und individuellen Geruch, den man für gewöhnlich trotz Nebengerüchen finden konnte. Aber Taro hatte nur mit dem Kopf geschüttelt und gesagt, dass ihm an jenem Tag klar geworden sei, dass sie sich als Omega entpuppen würde. Er hatte ihr erklärt, dass die Stärke und der Status eines Wolfs auch seinen Geruch beeinflussen würden. So strahle ein starker Wolf einen viel herberen Geruch aus als schwache. Mit jeder Stufe, mit der man sich auf der Hierarchie nach unten bewegte, nähme die Geruchsintensität ab. Deshalb sei es ihr Glück gewesen, dass er sie gefunden habe, trotz dessen, dass er sie kaum gerochen hatte. Diese Information war mit der Zeit verstaubt. Sie hatte sich zwar tatsächlich als Omega in das Rudel eingegliedert, kaum dass sich ihr Rang mit vierzehn Jahren offenbart hatte, doch ihr Geruch war nie wieder ein Gesprächsthema gewesen. Bis jetzt. Wie ironisch, dass ausgerechnet ihre Schwäche ihr nun von Vorteil sein sollte.

„Dieses Blut stammt eindeutig von Werwölfen", fügte die fremde Stimme hinzu, „Unsere Hunde irren sich nicht."

„Wie kommst du in den Besitz von diesen Sachen?", fragte Allys Vater ernst. Tomoe hatte ihn noch nie gemocht. Er war ein strenger Mann mit konservativen Ansichten, dessen größter Wunsch es war Reichtum und eine Vorzeigefamilie zu besitzen. Nur war Ally eben nicht, wie er sie sich vorstellte. Sie war kein schüchternes Mädchen, das sich allem und jedem anpasste, brav zu allem Ja und Amen sagte und immer ein feines Lächeln auf den Lippen trug. Ally war kreativ, mutig und zuweilen vorlaut und wusste für sich und ihre Meinung einzutreten. Etwas, für das sie ihr Vater stets verachtete. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatten sie ständig miteinander gestritten und sich Beleidigungen an den Kopf geworfen, bis sie dazu übergegangen waren sich zu ignorieren und nebeneinander her zu leben.

Tomoe würde nie vergessen, wie Ally früher manchmal mit blauen Flecken zur Schule gekommen war und ihr sofort klar gewesen war, von wem sie stammten. Ally hatte ihr nie viel von jenen Handgreiflichkeiten ihres Vaters erzählt, nur so viel, dass es Augenblicke gäbe, wo er von solch einer Wut besessen sei, dass er sich selbst vergesse. Es fühlte sich nicht gut an, Ally allein mit ihm und den fremden Männern in einem Raum zu wissen, insbesondere weil ihr Vater sich mit Sicherheit bewusst war, woher Ally an die Kleidungsstücke gekommen war. Die Freundschaft zu Tomoe war ihm schon lange ein Dorn im Auge gewesen.

„Die stammen von Tomoe nicht wahr?", der kalte Unterton seiner Stimme ließ einen frösteln. Er bedeutete nichts Gutes.

„Ja-a", stammelte Ally leise, was ihre Angst unverkennbar machte. Tomoe wunderte sich nicht, dass sie die Tatsache, dass es sich um ihre Sachen handelte, nicht leugnete. Es machte keinen Sinn zu lügen, wenn die Wahrheit so offenkundig war.

Ein lautes, grässlich klatschendes Geräusch erklang und Tomoe musste nicht aus dem Schrank schauen, um zu wissen, dass Allys Vater ihr eine schallende Ohrfeige verpasst hatte. Kurz darauf Allys Schluchzen zu hören sorgte dafür, dass sich alles in ihr zusammenzog. Wie gerne hätte sie Ally geholfen, doch sie war dazu verdammt still auszuharren und zu hoffen, dass die Männer endlich verschwanden.

„Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst dich von ihr fernhalten?", polterte Allys Vater, „Ich hatte schon immer eine dunkle Vorahnung, was Tomoe betraf, aber nun wo klar ist, dass es sich bei ihr um einen Werwolf handelt, dachte ich, dass du genug Verstand besitzt, um selbst darauf zu kommen, dass du sie nie wiedersehen solltest."

„Sie hat blutüberströmt an mein Fenster geklopft", log Ally daraufhin, „Sie hat mir nicht gesagt, was passiert ist, sondern hat mich bedroht und gesagt, dass sie mir etwas antut, wenn ich dir sage, dass sie hier war. Sie hat nur geduscht, ihre alten Sachen bei mir abgeladen und ist dann verschwunden. Du hattest recht Dad, ich habe mich in ihr getäuscht. Es tut mir so leid, dass ich nicht direkt zu dir gekommen bin. Ich hatte solche Panik."

Ihr Schluchzen wurde heftiger und Tomoe hielt nur den Atem an und bewunderte sie für ihre Schauspielkunst. Allys Lüge war geschickt, enthielt sie doch genau das, was ihr Vater einem Werwolf zutrauen würde und das machte die Geschichte glaubhaft. Sie konnte ihn aufatmen hören. Kleidung raschelte. Vielleicht nahm er Ally in den Arm.

„Oh Kleines", vergessen war sein Ärger, er kaufte ihr die Lüge ab und sprach nun mit der Zärtlichkeit, die sich für einen Vater gehörte, „Nicht weinen. Die Werwölfe sind grausame Wesen, ich bin so froh, dass dir nicht mehr passiert ist. Ich wusste, eines Tages würde Tomoe ihr wahres Gesicht zeigen. Ich verspreche dir, wir werden alles daran setzen sie zu finden und sie zur Rechenschaft zu ziehen."

Sekunden verstrichen, bis sie sich voneinander zu lösen schienen.

„Ich danke dir, Dad", flüsterte Ally mit bedrückter Stimme.

„Ist schon in Ordnung. Ich werde die Männer jetzt in die Stadt begleiten, vielleicht finden sie dort noch eine frische Spur. Dich lasse ich erst einmal allein, damit du dich beruhigen kannst, ja?"

„Mhm", stimmte Ally zu.

Die Männer setzten sich daraufhin geräuschvoll in Bewegung, Pfoten strichen über den Boden, die Tür wurde geöffnet und wieder geschlossen. Zurück blieb Stille. Beide rührten sich nicht, bis die Stimmen im Haus verstummten und sie wirklich sicher gehen konnten, dass sie keiner Täuschung unterlagen. Aber auch nach einigen Minuten blieben sie immer noch allein. Niemand kehrte zurück. Ganz langsam konnte Tomoe wahrnehmen, wie Ally sich ihr näherte, bis sie genau vor der Schranktür stand. Mit einem Knarzen öffnete sie sich und Tomoe hielt ihre Hände schützend vor ihre Augen, um nicht von dem Licht geblendet zu werden. Nur Stück für Stück ließ sie sie sinken und blickte dabei direkt in Allys Gesicht. Tränen klebten noch an ihren Wangen und ihre roten Augen stachen hervor und hätte man nur sie gesehen, man hätte nicht für einen Moment Allys Worte von eben in Frage gestellt, aber das Lächeln, welches allmählich sich auf ihren Lippen ausbreitete, ließ keinen Zweifel an der Wahrheit. Sie hatte eine grandiose Rolle gespielt.

„Sie sind weg. Sie sind wirklich weg", flüsterte sie und warf dabei die Arme um Tomoe, wobei sie sie damit etwas unsanft aus dem Schrank zog, aber das kümmerte Tomoe in diesem Augenblick nicht. Sie krallte sich nur an Ally und legte ihren Kopf auf die Schulter ihrer besten Freundin und ließ sich von ihr halten, während das Adrenalin langsam nachließ und sie kraftlos zurückließ. Die Anspannung forderte ihren Tribut. Sie zitterte. Nur dieses Mal vor Glück. Ein weiteres Mal war sie dem Tod von der Schippe gesprungen. Es dauerte etwas, bis ihr klar wurde, was genau das bedeutete. Sie hatten es tatsächlich geschafft. Sie hatten die Hunde überlebt. Und vielleicht gab es eine Chance auch in der Zukunft zu überleben.

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Stecke immer noch in der Prüfungsphase und bin diese ewige Hitze leid :x Ist es bei euch schon abgekühlt oder wie macht ihr es euch erträglich? :)

Die VerbliebenenWhere stories live. Discover now