Geschichten

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„Es ist echt gruselig da draußen." Lana und Mareus kuschelten sich eng zusammen und auch die etwas älteren Jungs wirkten nicht gerade beruhigt. Draußen pfiff der Wind durch die dunklen und dicht stehenden Tannen und Fichten, rüttelte an den Bäumen und heulte ein Lied, das keinem der Jüngeren gefiel.

Scorpio war ruhig, sie kannte schlimmere Situationen von der Straße, Situationen, in denen sie Angst gehabt hatte, in denen sie nicht dachte am nächsten Morgen noch einmal aufzuwachen. Doch sie hatte all das überstanden und auch wenn der Wald, in dem sie gerade campierten, nicht einladenden, sondern dunkel und düster war, so verspürte sie nur Ruhe. Wälder waren für sie Plätze der Ruhe und des Schutzes.

Pheolinio saß neben ihr vor dem Zelt, in dem sich die Jüngeren verkrochen hatten, und half ihr beim kochen, während Tinnu und ein Waldläufer, den sie unterwegs aufgegabelt hatten, die gejagte Nakihörnchen ausnahmen. Kelan würde sie begleiten, darum hatte Tinnu ihn gebeten und der Waldläufer hatte gerne angenommen. Er schien nicht häufig so weit in den Westen zu kommen.

„Hier herrscht immer ein solcher Wind. Deshalb gibt es über diesen Wald sehr viele dunkle Legenden und Geistergeschichten. Soll ich euch nachher welche erzählen?" Die blauen Augen unter den schwarzen Locken blitzten schelmisch und Tinnu warf einen besorgten Blick zu dem Zelt.

„Er kann es selbst mit grusligen Geschichten nicht mehr schlimmer machen. Sie werden heute in keinem Fall alleine schlafen, vermutlich werden sie das solange wir in diesem Wald sind gar nicht mehr tun. So einen Wald haben sie bisher noch nie gesehen. Er ist dicht, er ist dunkel, er ist gruselig. Und ein paar Geschichten können gar nicht so viel schlimmer machen." Meinte Scorpio.

„Sie hat Recht. Und so schli... okay, sie sind schon gruselig, aber bitte. Ich liebe es Geschichten zu erzählen. Und vielleicht lenken die die Kinder noch ein bisschen davon ab." Allein das Glitzern in den Augen des Waldläufers ließ bei Tinnu die Alarmglocken läuten. Der andere war die gesamte Zeit schon zu Scherzen aufgelegt, war frech und lebenslustig. Aber der Goldäugige wollte nicht, dass seine Schützlinge noch mehr erschreckt wurden.

„Ich werde eingreifen, wenn sie zu schlimm werden." „Das werden sie nicht. Das sind fast alles lokale Legenden. Die werden hier schon seit Generationen am Feuer erzählt." „Genau deshalb mache ich mir ja Sorgen. Das sind die Geschichten, die die Kinder davon abhalten sollen in die Wälder zu gehen. Sie sollen ihnen Angst vor den Wäldern machen." Tinnu wusste, wovon er sprach.

Solche Geschichten gab es in jedem Teil des Landes. Sie waren immer dazu da um kleinen Kindern Angst vor Dingen zu machen, die sie nicht tun sollten. Wie die Geschichten über die Seehexen, die im tiefen Wasser lauerten um Kinder zu fressen, die im Süden erzählt wurden, damit Kinder nicht zu weit aufs Meer schwammen. Wie die Geschichten hier im Westen aussahen wusste er nicht, aber sie würden ähnlich sein.

„Manche ja, andere allerdings nicht. Es gibt auch wirklich schöne Geschichten von hier." „Aber?" „Wie aber?" Pheolinio lachte. „Bei solchen Sätzen folgt doch normalerweise immer ein aber. Also, was ist es hierbei?" „Die meisten sind tatsächlich Gruselgeschichte. Nur sind viele nicht um Kinder davon abzuhalten, sondern weil man Angst hatte." „Das musst du erklären, das verstehe ich nicht." Schaltete sich nun auch Scorpio wieder ein und sah von dem Eintopf auf.

„Nun, dadurch das die Wälder so dicht und dunkel sind, regen sie ganz natürlich die Fantasie der Leute an. Sie deuteten Schatten als Dinge, die nicht existierten, und erzählten anderen davon. Geister sind beeinflussbar. Wer von einem riesigen Bären hört, der glaubt eher einen in einem Schatten zu erkennen, als jemand, der davon noch nie gehört hatte. So festigten sich die Legenden über die Jahre. Und niemand hatte den Mut nachzuforschen."

„Angst führt nie zu etwas Gutem. Neugierde kann töricht sein, doch sie sich zu erhalten führt zu einem gesunden Verstand." Die drei Jüngeren sahen zu Tinnu, der in die Tiefe des Waldes sah und scheinbar in Gedanken versunken war. Es wollte ihn dabei keiner stören, sodass sie ihre Aufgaben vollendeten und den Eintopf in Schüsseln schöpften und den Jüngeren ins Zelt brachten.

Die Unerwünschten von KnoxWo Geschichten leben. Entdecke jetzt