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Ich sah in die dunklen braunen Augen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Völlig verzweifelt ging ich einen Schritt zurück. Ich hatte Angst. Angst vor meinem eigenen Bruder.

„Ich konnte dir nie ein guter Bruder sein", hörte ich ihn fluchen. Sein Augen trafen meine. Ich sah ihn an. „Nein Abi, du sollst dir keine Vorwürfe machen" Ich umarmte ihn. Meine Tränen ließ ich den freien Lauf. Ich befreite mich von dem Gift. „Kardeşim benim", seine Stimme glich einem Flüstern. Ich bekam Gänsehaut. Die Sehnsucht war viel größer als seine Wut. Die würde ich später zu spüren bekommen, das war mir bewusst. Er roch an meinem Haar und genau dies beruhigte mich.
„Ich war blind", sagte er und löste sich von mir. Er sah mich entschuldigend an. Ich sah wie er eine Träne verlor, die ich weg wischte. Ich war geschockt. Denn mein Bruder offenbarte nie seine Gefühle. Schon von klein auf war ich immer die mentale Nefes. Während er niemand in seine Gefühle reinließ. Ich war das was ich im Äußeren war. Mir waren meine Gefühle immer anzusehen, doch Burak zeigte nie seinen Sturm.
„Ich kann nicht damit leben, dass der Bruder meiner Frau dich vergewaltigen wollte, dir zu nah kam. Auch wenn wenn er sich das Leben genommen hat. Sonst hätte ich es getan. Ich weiß es hört sich unmenschlich an, doch wie konnte ich so blind sein? Wie konntest du alles in dir tragen. Danach verließen uns Anne und Baba. Zwei Tage vor deinem Geburtstag. Denkst du ich bin dir sauer?" Er schüttelte seinen Kopf.
„Ich lief blind durch die Gegend und dachte ich sei ein Bruder. Nie konnte ich dich vor Selin verteidigen." Mein Schluchzen übertönte alles. Sinem stand an der Ecke und sah uns ebenfalls mit verheulten Augen an.
„Wäre Sinem nicht da könnte ich nicht standhalten. Ich dachte ich halte immer durch, doch nach dem Anne und Baba weg sind gab es für mich keine Chance mehr Abi. Beschuldige dich nicht" Er lächelte leicht unter seinen Tränen.
„Du hast bestimmt Hunger Nefes", ich lächelte nickend. Ich war seit langem nicht mehr so glücklich.
Wir saßen zu dritt am Esstisch. „Wo ist Perihan Teyze", fragte ich leise. Ich merkte wie Sinem aufzuckte. Obwohl ich die Antwort kannte, fragte ich sie.
„Sie ist bei ihrer Freundin", log sie. Vielleicht war sie sie auch bei ihrer Freundin. Um mich nicht zu Sehen. Sie konnte mich nicht ab, ihre Nichte. Die Tochter ihrer einzigen Schwester. Ich schloss kurz meine Augen. Denn unschöne Erlebnisse machten sich in mir bemerkbar. Ich lächelte und schüttelte mein Kopf.
Sinems Handy klingelte, weswegen sie schnell aufstand und das Esszimmer verließ.
Danach kam sie grinsend zurück. Ich sah sie fragend an. Mein Bruder verdrehte verspielt seine Augen. „Berke hat mir ein Heiratsantrag gemacht, ich habe ja gesagt" Ich lächelte und bekam Tränen. Weil ich endlich diesen Glanz in ihren Augen erkennen konnte. Sie liebte, vom ganzen Herzen. Ihre Eltern hatten eine schwere Ehe. Zuhause gab es oft Konfrontationen. Sinem wollte das ihren Kindern nie antun. Sie hatte Schiss vor dem Heiraten. Angst weil sie sich nicht vorstellen konnte zu Binden, weil sie keine jegliche Bindung zu ihren Vater hatte.
Berke hatte es geschafft in ihr Herz einzudringen. Das wichtigste für Sinem war es, einen der Ihren Tempo respektierte. Sie war still, aber wer ihr lauschte wusste, das ihr stilles Schweigen nur ein Hilfeschrei war.
Ich umarmte sie. „Endlich, du verdienst es nämlich glücklich zu sein" Burak verdrehte erneut seine Augen. Es war schon immer so, dass er genervt war, wenn ein anderer Junge ein Gesprächsthema war.
„Wie läuft es bei dir in der Stadt?" Ich dachte sofort an die Einsamkeit und an die vielen Albträume, deswegen ich schluckte, jedoch den beiden nichts anmerken ließ.
„Gut, ich versuche mich auf mein Studium zu konzentrieren" Danach erzählte ich kurz von meiner neuen Nachbarin, die sehr warmherzig war.
Mein Bruder sah mich mit seinen braunen Augen an. Er war der einzige nach Sinem der mich so gut kannte. Er brauchte nur einen Blick und er wusste an was ich dachte.
„Berke wartet, ist es okay wenn ich für paar Stunden weg bin?"

Ich nickte sofort. „Klar canim" Sinem gab mir ein Kuss auf die Wange und verschwand.
Als Sinem ging sah ich zu Burak der tief ein- und ausatmete.
„Vermisst du Selin?", fragte ich ihn.
Er nickte. „Ich vermisse sie." Ich schluckte. „Aber diese Ehe sollte nie sein Nefesim" Ich sah ihn die Träne über die Wange fallen.
„Anne und Baba hatten mich gewarnt, doch ich war blind vor Liebe. Sie hat mich blind gemacht, wusste immer wie Can sich an dich nähert, doch sie" Er stockte und vor Wut stand er auf. Er schmiss mit einem mal das Teller gegen die Wand. Bei jedem Wurf schrie er auf. „Es ist meine Schuld, alles ist meine Schuld" Ich lief auf mein Bruder. „Abi du trägst keine Schuld.." Ich umarmte ihn, gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Du bist das einzige was mir von Anne und Baba übrig geblieben ist Nefes. Dich lass ich nicht gehen, kardesim benim" Ich lächelte und umarmte ihn fester.
„Du denkst zu viel nach." Er atmete tief ein aus. „Sie trägt mein Baby, doch ich will mich trotzdem Scheiden. Ich kann nicht mit ihr unter einem Dach leben. Nie wieder."

Ich atmete tief ein und aus. „Alles soll so sein wie du es willst"

„Familie war das was dir blieb wenn du nichts mehr hast"

Ich verbrachte genau zwei Tage hier. Als ich aufwachte erblickte ich meinen Bruder. Ich war in seinen Armen eingeschlafen. Wir hatten mein Lieblingskinderfilm König der Löwen geschaut und geweint.
Heute musste ich wieder zurück.
„Nefes, du musst nächstes Wochenende wieder kommen! Ich will mit dir meine Verlobung vorbereiten. Du hattest es mir versprochen" Ich nickte lächelnd und sah in ihre Augen, welche sich verkleinerten als sie lachte.
„Du kannst gerne deine Freundinnen mitnehmen"

„Mal schauen sagte ich." Mein Bruder war schon in der Firma. Ich wollte mich von ihm nicht so verabschieden. Denn ich würde regelmäßig kommen. Es würde insallah alles wie früher werden. Oder so gut wie es ging.

„Nefes fahr langsam! Ich kenne dich du Raserin!" Ich nickte und stieg ins Auto, winkte ihr noch das letzte mal zu und fuhr los.

Duygu rief mich an, weswegen ich mein Handy auf Lautsprecher machte.
„Ja?", ging ich ans Telefon.

„Hey Nefes. Ich wollte fragen wann du zurück kommst?"

„Ich komme morgen in die Uni, fahre jetzt los" Ich hörte das Tuscheln im Hintergrund.

„Achso okay, ich hatte mir Sorgen gemacht. Bis morgen", legte sie auf.

..
Als ich Zuhause war, war ich tot müde. Ich klingelte bei Yasemin Abla um ihr Bescheid zu geben, dass ich da war. Doch sie öffnete die Tür nicht. Vielleicht war sie auch am Schlafen oder nicht Zuhause. Yeliz war seit Tagen wieder in ihrer Stadt und würde die Tage wieder kommen.
Als ich meine Tür öffnete, sah ich Duygu, Koray und Yeliz vor mir stehen.
„Überraschung", sagte Yeliz lächelnd. Hinter ihr kam Yasemin Teyze mit ihrem Teller.
„Wir dachten, dass du Hunger hast und haben dir was vorbereitet", lächelte Yeliz.
Als ich sein Blick sah, schaute ich schnell wie möglich weg. Die Augen waren das Spiegelbild der Seele.

Sil BaştanWhere stories live. Discover now