Kapitel 27

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Darian und ich hatten uns in einem kleinen Raum niedergelassen, der vermutlich als Dienstbotenzimmer fungierte, auch wenn ich bisher keine Dienstboten gesehen hatte. Ich runzelte meine Stirn. Das war in der Tat seltsam, vor allem, da es mir erst jetzt aufgefallen war. Aber das war jetzt nicht von Bedeutung.

Der Raum war sehr spärlich ausgestattet mit einem kleinen Holzbett an einer Seite der Wand mit abblätternder hellblauen Tapete. Daneben fand sich in dem Raum noch ein kleines Nachtischchen, das wohl auch schon bessere Tage gesehen hatte und eine Kommode, die wirkte, als ob sie jeden Moment zusammenbrechen würde. Hier hatte schon lange keiner mehr gelebt, wovon auch die dicke Staubschicht sprach, die auf dem ganzen Raum lag. Durch ein kleines Fenster, das vollkommen verdreckt war, fiel nur spärlich Licht und sorgte für einen dämmrigen Zustand.

Ich beendete meine kritische Inspektion des Zimmers und wandte meinen Blick Darian zu, der an der Wand unter dem Fenster stand und mich einfach nur aus seinen warmen dunkelblauen Augen musterte. Ich konnte verstehen, dass meine Mutter sich in ihn verliebt hatte. Nahm man die Falten und die vereinzelten grauen Haare weg, sah ich den jungen Mann, der er einmal gewesen war, besonders an seiner noch immer stolzen Haltung und den breiten Schultern, wo das Leinenhemd deutlich spannte.

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also entschied ich mich für die Wahrheit. "Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Über was ich mit dir reden soll. Du bist mein Vater, ein Vater, von dessen Existenz ich erst jetzt erfahren habe. Und einerseits bist du ein Fremder für mich, andererseits fühle ich mich wirklich wohl bei dir und das ergibt nicht einmal Sinn. Und ich -", ich stockte mitten im Satz und mein aufgewühlter Blick traf den von Darian, der mich verständnisvoll und liebevoll ansah. "- ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Dir scheint das keine Probleme zu bereiten, aber für mich ist das eine große Sache. Ich meine, meine Eltern sind im Grunde gar nicht meine Eltern, sondern nur irgendwelche Menschen, die mich aufgezogen haben. Aber trotzdem sind sie irgendwie meine Eltern und ich merke gerade, dass meine Sätze mal wieder keinen Sinn ergeben." Ich atmete heftig und vergrub meine Hände entkräftet in meinen Haaren. In meinem Inneren herrschte Chaos und ich hatte Mühe, meine ganzen Gedanken und Gefühle zu sortieren. Beging ich gerade an meinen nicht-biologischen Eltern Verrat? Wie sollte ich jemals in meine Welt zurückkehren mit dem Wissen, das meine wahren Eltern doch woanders waren? Wie sollte ich meinen Eltern jemals wieder in die Augen sehen können? Ich konnte und wollte ihnen nicht das Herz brechen, weil so grausam war ich nicht. Aber ich hatte auch meinen wahren Eltern eine Verpflichtung gegenüber, oder nicht? Ich hatte einfach keine Ahnung, wie ich mit der ganzen Situation umgehen sollte. Schuld, Verwirrung, Sorge, Freude und Zweifel veranstalteten ein Chaos in meinem Inneren und ich hatte keine Ahnung, wie ich die Unordnung wieder beseitigen sollte.

Ich war so mit mir selbst beschäftigt, das ich nicht bemerkte, wie Darian auf mich zugekommen war. Erst, als er direkt vor mir stand, bemerkte ich ihn. Aber bevor ich irgendetwas sagen konnte, zog er mich an seine Brust. Wie bei einem kleinen Baby hatte er die eine Hand über meinen Kopf gelegt und den anderen Arm um meinen Rücken geschlungen.

Im ersten Moment wollte ich mich gegen die Umarmung wehren, aber Darians Griff war fest. Und so seltsam es auch klang, die Umarmung fühlte sich tröstlich und vertraut an. Ich atmete seinen inzwischen vertrauten Duft nach Wald ein. Sollte mir die Umarmung nicht unangenehm sein? Schließlich wäre das die natürlichste Reaktion. Stattdessen lehnte ich mich sogar in die Umarmung hinein und vergrub meine Hände in seinem Hemd. Das war einfach nur schräg und ich sollte einfach weggehen. Aber meine Arme wollten mir einfach nicht gehorchen. Ich beschloss den Kampf gegen meinen Verstand aufzugeben und die Umarmung einfach nur zu genießen. Später blieb genügend Zeit, mich über mich selbst zu ärgern.

"Für mich ist das auch nicht einfach, Ava." Darians Brust vibrierte leicht, als seine warme Stimme erklang. "Ich habe vor 18 Jahren meine große Liebe auf ewig verloren und dann stehst du plötzlich vor mir und ich muss erfahren, dass ich eine Tochter habe. All die Jahre. Und-" Darian holte tief Luft, um sich zu sammeln, aber ich hatte an seiner belegten Stimme schon erkannt, dass er mit den Tränen kämpfte. "- Und dann muss ich daran denken, dass mir 18 Jahre deines Lebens genommen worden sind. Ich habe dich nicht aufwachsen sehen, habe dich nicht beschützen können und dann werd ich so schrecklich wütend auf deine Mutter. Wie hatte sie das mir antun können, wie hatte sie das dir antun können? Ich weiß, dass sie dich beschützen wollte, aber ich hätte dich auch beschützen können, das wäre meine Aufgabe gewesen, aber sie hat mir diese Chance einfach so genommen."

Pirate's LoveWhere stories live. Discover now