Kapitel 01

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Kapitel 01

Es dauerte eine Weile bis ich begriff, warum ich so nervös und unruhig war an diesem sonst so durchschnittlichen Mittwoch Morgen. Graue, durchschnittliche Wolken hingen über Quantico, Virginia. Kalter, durchschnittlicher Regen prasselte an diesem Morgen auf die Fenster, Gebäude, Straßen und Menschen der Stadt. Alles in Allem wäre es ein durchschnittlicher Morgen, in einer durchschnittlichen Woche, in einem durchschnittlichen Leben, eben meinem, gewesen, hätte ich nicht die Nachricht in meinem Briefkasten erhalten, die mich beglückwünschte und aufforderte mich gegen 10 Uhr in dem Gebäude der BAU, Behavioral Analysis Unit, einzufinden. Erst als ich geduscht hatte, mich angezogen und in meinen Wagen gesetzt hatte, wurde mir langsam bewusst welche Wendung in meinem Leben vollzogen werden konnte. 'Vielleicht', sagte ich mir, 'vielleicht kann ich es schaffen. Vielleicht kann ich den Dämon in meinem Kopf entgültig schlagen, ihn besiegen und endlich so etwas wie Normalität einkehren lassen. Vielleicht, vielleicht wendet sich dieses mal alles zum Guten?' Ich wusste selbst wie überaus lachhaft sich diese Tagträumerei von einem ach so "normalen" Leben anhörte, aber ein kleiner Teil in mir, so unbedeutend und winzig er auch war, wollte und konnte einfach noch nicht aufgeben. Er würde noch nicht aufgeben.

Lange musste ich nicht auf dem unbequemen Stuhl vor dem Büro von Section Chief Strauss warten, bis mein Name fiel. "Lillyanne Beckett?" Während ich mich erhob und auf die schlanke, schon etwas ältere, blonde Frau zuging, zog ich die Arme meines Blazers noch weiter hinunter, als sie sowieso schon hingen. Strauss, ich hatte sie noch nie zuvor gesehen und kannte ihren Namen nur aus Briefen, saß hinter einem massiven Schreibtisch aus dunklem Holz, vor sich mehrere Akten, teils aufgeklappt, teils geschlossen. Sie erhob sich und reichte mir die Hand. "Sie sind pünktlich.", bemerkte sie, als ich ihr gegenüber Platz nahm. Ihr Blick hatte etwas Strenges, etwas Forschendes, was mir ganz und gar nicht gefiel. Ich nickte nur, bevor ich doch den Mund aufmachte. "Nun ja, Pünktlichkeit sollte selbstverständlich sein.", sagte ich und sah ihr fest in die Augen. Sie nickte und ließ ihren Blick in die Akte vor sich wandern. "Gut, Lillyanne. Wie ich sehe, sind sie erst 24 Jahre alt. Was haben sie vor ihrer Karriere beim...", sie blätterte in meiner Akte, "...CIA gemacht?" Wieder traf mich ihr forschender Blick und ich riss mich zusammen um ihm standzuhalten. "Zunächst schloss ich das College ab und besuchte danach die Universität in Harvard, bevor ich nach Oxford ging um Psychologie und Soziologie zu studieren und meinen Doktor zu machen." Nervös nestelte ich an meinen Fingernägeln. In Strauss Blick lag so etwas wie Anerkennung. "Sie haben also einen Doktor in Psychologie und Soziologie?" Ich nickte. "Nach meinem Abgang habe ich mich beim CIA beworben und war dort drei Jahre lang." Strauss nickte wieder. "Einen sehr beeindruckenden Lebenslauf haben Sie da. Ihre Familie muss stolz auf Sie sein." Meine Hände verkrampften sich. Es war ein Trick von ihr um mich klein zu kriegen, ich sah es ihr an. Sie hatte doch meine Akte in den Händen, sie wusste ganz genau was vorgefallen war. Sie wollte testen, ob ich auch über unangenehmen Dinge sprechen konnte, oder wie? Ich räusperte mich kurz und fing an zu erzählen. "Meine Eltern wurden bei einem Verkehrsunglück getötet, als ich noch ein Kind war. Geschwister habe ich keine." Lüge. Strauss musterte mich genau. "Und was ist mit ihm? Damien Beckett? Ist das nicht ihr Bruder?" Während sie Damiens Namen aussprach biss ich mir auf die Zunge. Warum musste sie so in meinem Leben herumstöbern? "Stiefbruder. Wir haben uns nie richtig verstanden und seit dem Tod meiner Eltern haben wir auch keinen Kontakt mehr." "Verstehe.", murmelte Strauss über der Akte. "Wie mir scheint sind sie hoch qualifiziert. Sie sind sportlich, haben keinerlei Vermerke in Ihrem polizeilichen Zeugnis und bei der Befragung durch unseren Betreuer haben sie keine Auffäligkeiten gezeigt." Sie hob den Kopf und sah mich an. Bei der Erinnerung an den sogenannten 'Betreuer' wurde mir schlecht. Der Typ hatte beinahe darauf bestanden das ich einen psychischen Schaden durch den Verlust meiner Eltern erlitten hatte und mich so sehr ausgequetscht, dass ich beinahe aufgesprungen und hinaus gestürmt wäre, hätte ich mich nicht zusammengerissen und ihm etwas vorgespielt. Mit mir war alles in Ordnung. Alles war heile in meiner wunderschönen Welt.

Strauss holte mich zurück in die Gegenwart. "Wissen Sie, Sie waren nicht die einzige Bewerberin auf den freien Posten in dem Team. Dennoch werde ich Ihnen diese Stelle anbieten, da Sie, wie bereits erwähnt, qualifiziert, fähig und pünktlich erschienen sind. Also, wollen sie zukünftig beim FBI in der BAU arbeiten? Nehmen Sie das Angebot an?"

Und da war er wieder. Der kleine Teil in mir, der sich erlaubte zu hoffen, zu glauben an ein besseres Leben. Ich hätte schwören können, als ich Strauss die Zusage gab und sie mir mit einem kleinen Lächeln die Hand reichte, wuchs dieser winzige Teil in mir. Wenn auch nur ein wenig, aber er war größer geworden.

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