4. Kapitel - Jagttraining

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Schließlich entschied sich Rotsprung, die Wanderung durch das Territorium zu beenden und auf einer Lichtung Halt zu machen, um dort jagen zu üben. Rabenpfotes Pfoten kribbelten bereits vor Vorfreude.

Der rote Kater drehte sich um und setzte sich, den Schweif elegant um die Pfoten geschlungen. "Zeig mir, was du kannst", forderte er Tigerpfote barsch auf und deutete auf ein Blatt, das ein paar Schwanzlängen entfernt auf dem Waldboden lag. "Das ist deine Beute. Fang sie"

In Tigerpfotes Gesicht konnte Rabenpfote Verwirrung erkennen. Er schien den Sinn, warum er ein Blatt jagen sollte, nicht wirklich zu verstehen. Aber ohne zu protestieren und ohne ein Kommentar abzugeben wandte er sich seinem Ziel zu.

Schon preschte er los, wirbelte Staub und Moosfetzen auf und sprang mit einem Satz auf das Blatt, das er mit seinen Krallen am Boden festnagelte. Sprachlos starrte Rabenpfote ihn an. Was war das denn? Trampelt er mit Absicht wie ein tollwütiger Dachs herum, damit auch jedes Beutetier im ganzen Territorium mitbekommt, dass er hier ist? Auch Rotsprung schien nicht sonderlich zufrieden zu sein, denn er musterte Tigerpfote verächtlich. "Schon mal was von der Jagtkauerstellung gehört, du Trampel?", fragte er unfreundlich.

Der braun getigerte Schüler sah auf und schüttelte verwirrt den Kopf. Er schien echt keine Ahnung von nichts und niemandem zu haben. Rabenpfote schnaubte. Was habe ich mir nur für einen komischen Vogel in den Clan geholt? Er wird uns vor den anderen Clans total blamieren!

Und so musste Rotsprung ganz von vorne anfangen. Rabenpfote sah zu, wie der Schüler Aufgaben bewältigen musste, die bereits Junge beherrschten. Die Jagtkauerstellung, das Umherschleichen, wie man sich im Windschatten der Beute bewegte. Und während die schwarze Kätzin nichts zu tun hatte, langweilte sie sich zu Tode. Darum begann sie, sich ausgiebig zu putzen.

Auf einmal warf sich etwas von hinten auf sie. Mit einem erschrockenen Aufschrei stürzte sie zu Boden und wurde dort sogleich festgenagelt. Die Kätzin wollte ihren Angreifer schon die Krallen über das Gesicht ziehen, als sie im letzten Moment erkannte, wer es war.

Tigerpfote lachte, lachte sie offensichtlich aus, während sie ihn böse anstarrte. Seine blauen Augen leuchteten erfreut. "Hab dich! Du hättest gerade dein Gesicht sehen müssen! Wie ein ängstliches Kaninchen!" Seine Schadenfreude ging ihr so dermaßen auf die Nerven, dass sie ihn kurzerhand abwarf und sich schlecht gelaunt wieder aufrappelte. Ihr Fell war wieder struppig und mit Staub bedeckt. Wofür habe ich mir eigentlich die Mühe gemacht, mich zu putzen?

Ihrem Mentor schien das alles kalt zu lassen. Er warf Rabenpfote lediglich einen enttäuschten Blick zu, als wollte er sagen: "Hast du denn nicht gelernt, immer auf deine Umgebung zu achten? Jetzt hat dich auch noch so ein Anfänger überrascht! Und nun muss ich ihn auch noch deinetwegen loben!"

Rotsprung richtete seinen Blick auf Tigerpfote und verkündete zerknirscht: "Jetzt bist du bereit, deine erste Beute zu machen. Versuche es und fang mir die Maus da hinten!" Sein roter Schweif deutete in eine Richtung. Rabenpfote prüfte die Luft. Tatsächlich! Unter den Ästen eines Busches knabberte eine Maus an einer Beere. Wie immer fand es die schwarze Kätzin erstaunlich, wie ihr Mentor gleichzeitig mit ihr reden und seine Umgebung nach Beute absuchen konnte, ohne sich ablenken zu lassen. Nicht umsonst galt er als der beste Jäger des Schattenclans.

Tigerpfote erstarrte beim Anblick der Beute und wich kopfschüttelnd zurück. "Nein!", brachte er keuchend hervor. "Das kann ich nicht tun!" Rabenpfote legte verärgert die Ohren an. Was ist denn in ihn gefahren? Hat er etwa Angst vor Mäusen?

Doch auch als Rotsprung ihn wütend anfauchte und vor Ärger das Fell sträubte, schien Tigerpfote seine Meinung nicht ändern zu wollen. Stattdessen setzte er sich demonstrativ hin und begegnete mit hoch erhobenem Kinn Rotsprungs finsteren Blick.

Dieser zeigte ein letztes mal sie Zähne, ehe er die Krallen wieder einfuhr und gleichgültig meinte: "Von mir aus. Aber wenn du nichts zu unserem Frischbeutehaufen beiträgst, wirst du heute selber auch nichts zu essen kriegen" Tigerpfote kommentierte das mit einem schulterzucken.

Rabenpfote drehte sich zu der Maus um und wollte sie auf eigene Pfote fangen, als sie bemerkte, dass das Tier schon wieder verschwunden war. Verärgert kniff sie ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Er hat uns mit seiner Sturheit um unsere Beute gebracht!

Sie begegnete Rotsprungs Blick. Dieser teilte ihr stumm mit, dass es seiner Meinung nach eine schlechte Idee von ihr gewesen war, ihn zum Clan zu bringen. Schuldbewusst senkte die Schülerin den Blick. Er hatte ja recht. Tigerpfote brachte eben eine Menge Probleme mit sich.

"Oh, lecker!", rief der getigerte Kater plötzlich fröhlich aus und rannte auf den Strauch zu, unter dem die Maus verschwunden war. Rabenpfote hatte insgeheim die Hoffnung, er würde sie nun doch fangen, doch zu ihrem Entsetzten sah sie, dass er es nicht auf Fleisch abgesehen hatte.

Benüsslich stand Tigerpfote vor der Pflanze und vertilgte eine Beere nach der anderen, die von den Ästen herabhingen. "Was in Sternenclans Namen machst du da?", brauste Rotsprung auf und stapfte wutentbrannt auf den Schüler zu. "Eine Katze frisst Mäuse, Vögel, Echsen, Fleisch! Aber keine Beeren!"

Tigerpfote hob überrascht den Blick. Überall an seinem Mund klebte roter Beerensaft. "Bis jetzt habe ich mich immer von Beeren und Nüssen ernährt", protestierte er und sah ihren Mentor dabei an, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Ach du heiliger Sternenclan! Welche Taube hat ihm nur in den Kopf geschissen?

Das schien Rotsprung vollkommen zu überfordern, denn er wandte sich vor Wut zitternd und mit loderndem Blick ab. Sie konnte es ihm nicht übel nehmen. Sowas war einfach zu viel für eine normale Katze. Aber Tigerpfote ist offensichtlich nicht normal.

Sie tappte auf ihren Clankameraden zu, der sich die letzten Beerenreste vom Gesicht schleckte. Verschmitzt sah er sie an. "Tut mir leid. Ich konnte einfach nicht wiederstehen", meinte er und grinste frech. "Ich konnte ja nicht ahnen, dass Rotsprung so ausrastet" Rabenpfote hätte am Liebsten irgendwas gesagt. Irgendwas, das ihm seinen Verstand zurückbrachte, falls er je einen gehabt hatte. Sie entschied jedoch, dass es sich nicht lohnte. Unnötige Kraftverschwendung.

"Kommt", fauchte der rote Kater vom anderen Ende der Lichtung. Er schien wieder aufbrechen zu wollen. Schweigend folgte sie ihm und hörte Tigerpfotes Pfotenschritte hinter sich. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter. Selbstsicher und mit einem Grinsen tappte der getigerte Kater voran, als hätte er er gerade etwas besonders Tolles gemacht. Seufztend schüttelte sie den Kopf. Der ist doch echt nicht mehr ganz sauber!

Warrior Cats - Katz und MausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt