6. Kapitel - Nach dem Kampf

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Der Weg zurück zum Lager verlief schweigend. Keiner sagte etwas. Eigentlich gab es auch nichts zu sagen. Tigerpfote bildete mit Rabenpfote die Nachhut. Seine Pfoten schleiften beim Gehen am Boden und sein Kopf hing so tief unten, dass sie dachte, er würde jeden Moment das Gras mit der Stirn berühren. Er schien noch immer niedergeschlagen zu sein. Sollte er doch. Das hatte er verdient.

Auf der Lichtung tigerte bereits Dornenstern ungeduldig hin und her und blieb schließlich stehen, als sie die Neuankömmlinge bemerkte. "Habt ihr ihnen eine Lektion erteilt?", wollte die dunkelgraue Kätzin sofort wissen, als Eisklaue vor ihr stehen blieb.

"Wir konnten zum Glück zusätzliches Blutvergießen verhindern", berichtete der 2. Anführer nüchtern. "Alles wäre bestimmt nicht so gut ausgegangen, wenn Blütenpfote beim Jagen das Kampfgeschrei nicht gehört und uns somit nicht gewarnt hätte. Wir können stolz auf ihr scharfes Gehör sein"

Die schlanke, hellorangefarbene Kätzin senkte in gespielter Bescheidenheit den Blick. Na super. Blütenpfote, nicht Tigerpfote war es gewesen, die dem Clan Bescheid gegeben hatte. Indirekt hatte also die größe Oberzicke der Welt Rabenpfote das Leben gerettet. Aber das würde die schwarze Kätzin natürlich nie zugeben.

Die Katzen verstreuten sich langsam wieder im Lager. Die Erinnerung an den kleinen Konflikt an der Grenze schien sich bereits wieder wie Tau in der Mittagssonne aufgelöst zu haben.

Rabenpfote schlurfte schlecht gelaunt zum Frischbeutehaufen. Bei jedem Schritt schmerzte ihre Schulter, die sie sich während des Kampfes geprellt hatte. Tigerpfote tappte noch immer schweigend neben ihr her. Dafür war sie dankbar, denn momentan konnte sie keinen zusätzlichen Lärm gebrauchen.

Beim Frischbeutehaufen angekommen entschied sie sich nach kurzem Zögern für eine fette Eidechse. Wie sehr sie die Blattgrüne liebte. Zu dieser Zeit waren alle Beutetiere kugelrund.

Gerade wollte sich Tigerpfote einen Frosch schnappen, als ihn jemand zur Seite, direkt auf Rabenpfote drauf schubste. Er landete genau auf ihrer verletzten Schulter, sodass sich sofort ein stechender Schmerz in ihrem Körper bemerkbar machte. Wütend zischend wirbelte sie herum, um den Schuldigen zu finden.

Sie entdeckte Blütenpfote und Blumenpfote, die Tigerpfote fauchend vom Frischbeutehaufen wegdrängten. "Verzieh dich! Für Feiglinge gibt es nichts zu essen!", knurrten die beiden hellorangenen Kätzinnen und schubsten den Schüler noch einmal demonstrativ. Dieser tat nichts dagegen, sondern wich nur ohne ein Wort zurück und entfernte sich schließlich. In diesem Moment tat er ihr ein wenig leid. Er konnte doch nichts dafür, dass diese beiden Zicken so fuchsherzig waren. Und bevor er wieder im Wald ein paar Beeren zu essen begann...

"Hey, Tigerpfote! Du kannst von meiner Beute was abhaben!", rief Rabenpfote ihm zu. Er drehte sich zu ihr um, ein erleichtertes Lächeln im Gesicht. "Vielen Dank!" Dann fiel sein Blick auf die Echse. Sein Gesicht verzog sich angewidert. "Sowas schmeckt doch nicht!" Sie kommentierte das mit einem Schnauben. Alle anderen Clans dachten das auch.

Rabenpfote schob ihm das Tier auffordernd hin. Eigentlich hatte Rotsprung ihm ja vorhin verboten, etwas zu essen, weil er selbst zum Frischbeutehaufen nichts beizutragen hatte. Aber sie wollte mal nicht so sein. "Es schmeckt wie eine Mischung aus Kaninchen und Fisch. Ganz lecker" Demonstrativ biss sie ein Stück ab und kaute schnurrend. Mit einem letzten misstrauischen Blick in ihre Richtung beugte er sich runter und probierte ebenfalls. Nach ein paar Momenten zuckte er mit den Schultern. "Kann man essen"

Während er kaute, beobachtete Rabenpfote ihn. Beobachtete, wie er sich bewegte, wie er sie ansah. Alles, was sie sehen konnte, wusste sie über ihn. Doch das, was in ihm verborgen war, seine Geheimnisse, seine Vergangenheit, darüber wusste sie nichts. Wie wenig sie eigentlich wirklich über ihren neuen Freund wusste. Es wurde Zeit, das zu ändern.

"Wie ist deine Familie so?", hörte sich die Kätzin fragen. "Warum wollte sie nicht mit zum Schattenclan? Warum hast du sie für einen Haufen unbekannter Katzen verlassen?" Er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, doch ihr entging nicht, wie er kurz erstarrte und sich seine Augen panisch weiteten. Nach einem Herzschlag hatte er sich jedoch wieder unter Kontrolle. "Ich möchte nicht darüber reden", miaute er ausweichend. Gereizt zuckte Rabenpfote mit den Schnurrhaaren. Das darf doch echt nicht wahr sein!

Schon damals als Junges hatte sie als sehr neugierig gegalten. Bereits in jungen Jahren hatte sie ihre Nase in fremde Angelegenheiten gesteckt, hatte Dornenstern bei wichtigen Besprechungen belauscht und aus anderen Geheimnisse herausgequetscht, nur um sie dann weiter zu erzählen. So zum Beispiel hatte der ganze Clan herausgefunden, dass Eisklaue in Kiefernblüte verliebt war. Der Kater war für eine halbe Ewigkeit nicht mehr gut auf sie zu sprechen gewesen.

Danach hatte sie sich geändert, weil ihr klar geworden war, dass man Vertrauliches nicht einfach rumerzählte. Doch ihre Neugierde war geblieben, sodass sie noch immer alles von anderen herausfinden wollte. Weshalb es ihr auch gar nicht in den Kram passte, das Tigerpfote gerade nicht auspackte.

"Ach bitte", probierte sie es nochmal und versuchte es mit einem besonders wehleidigen Hundeblick. "Sei doch nicht so" Aber Tigerpfote schien anscheinend seine Geheimnisse für sich behalten zu wollen, denn er schüttelte abermals den Kopf. "Vergiss es" Damit war für ihn die Unterhaltung beendet.

Verärgert schnappte sie sich die letzten Reste der Eidechse, die Tigerpfote übrig gelassen hatte und verschlang sie mit ein paar gierigen Bissen. Dann erhob sie sich, leckte sich noch kurz säubernd über sie Schnauze und verabschiedete sich mit einem knappen Nicken. Ohne ein weiteres Wort tappte sie über die Lichtung in Richtung Schülerbau. Das darf doch echt nicht wahr sein! Mich könnte er doch auch alles fragen und ich würde ihm antworten! Warum macht er so ein großes Geheimnis aus seiner Herkunft?

Die schwarze Schülerin bemerkte Rotsprung erst, als er neben ihr stand. "Was ist los?", fragte ihr Mentor besorgt und legte den Kopf fragend schief. "Sogar vom anderen Ende des Lagers konnte ich erkennen, dass dich irgendwas verärgert hat"

Rabenpfote seufzte schwer und erzählte dem roten Kater, was vorgefallen war. Dieser zeigte daraufhin lange keine Reaktion. Sie meinte schon, er habe ihr nicht zugehört. Da zuckte er gleichgültig mit einem Ohr. "Ich an deiner Stelle würde keinen weiteren Gedanken daran verschenden", miaute er nüchtern. "Geh lieber ins Nest und schlaf dich bis morgen aus. Du siehst müde aus"

Gehorsam nickte Rabenpfote und wünschte ihm eine gute Nacht, ehe sie an ihm vorbei tappte und in den Schülerbau schlüpfte. Rotsprung hat recht. Ich sollte mir nicht so den Kopf über Tigerpfote zerbrechen. Mit diesem Gedanken schmiegte sich die Schülerin in das weiche Moos ihres Nestes und schloss die Augen. Wenig später war sie eingeschlafen.

Warrior Cats - Katz und MausWo Geschichten leben. Entdecke jetzt