10. Kapitel - Aufklärung

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Als sie kapierte, was er gerade gesagt hatte, starrte sie ihn an, als wäre ihm ein zweiter Kopf gewachsen. "Wie bitte?", fauchte Rabenpfote verächtlich und rappelte sich auf. "Deine Mutter ist eine Maus? Sag mal, willst du mich hier eigentlich verarschen?"

Er senkte betroffen den Blick und schüttelte langsam den Kopf. "Pieps und ihr Gefährte haben mich großgezogen" Rabenpfote zeigte keine Reaktion, in ihrem Kopf rasten ihre Gedanken jedoch wild durcheinander. Ernsthaft? Von einer Maus aufgezogen? Hat der sich etwa den Kopf gestoßen? Oder ist sein Erbsenhirn aus seinem Ohr rausgekullert?

Doch mit einem Mal wurde ihr so einiges klar. Rein theoretisch würde es Sinn ergeben. Tigerpfote's seltsame Schlafpostion, sein Dang, immer vor allem wegzulaufen, seine mangelnden Kampfkünste, die Tatsache, dass er nicht mal gewusst hatte, dass er eine Katze war und er bis zu unserem ersten Treffen noch nie Fleisch gegessen hat und... Sie stockte. Als ich ihm eine Maus zum essen angeboten habe, ist er ausgerastet. Könnte es daran liegen, dass seine "Eltern" Mäuse waren?

Rabenpfote zuckte mit einem Ohr. Es könnte zwar stimmen, musste aber längst nicht wahr sein. "Beweise es", miaute sie. Zwar wusste sie selbst nicht, wie er das tun sollte, aber ihm würde schon etwas einfallen.

Er schnaubte gereizt. Ihm schien es sehr zu missfallen, dass sie ihm nicht glaubte. Aber ohne ein Kommentar tappte er zu dem Loch, in dem die Maus verschwunden war und beugte sich hinunter. Vorsichtig begann er, an der Rinde darüber zu kratzen und seltsame, mäuseartige Quiecktöne von sich zu geben.

Einige Zeit passierte nicht. Dann plötzlich steckte ein kleines, braunes Geschöpf sein spitzes Näschen aus dem Loch und schnupperte mit bebenden Schnurrhaaren. Kurz darauf folgte die restliche Maus. Tigerpfote begrüßte sie mit einem Schnurren und rieb seine Wange vorsichtig an das Nagetier.

Dieses stellte sich auf seine kleinen Hinterbeine, sah argwöhnisch zu Rabenpfote rüber und begann, zu piepsen, als wollte sie die junge Schülerin tadeln. Der Getigerte schlang beruhigend seinen Schweif um die Maus und zog sie näher an sich. "Keine Sorge", murmelte er leise. "Rabenpfote hat es nicht so gemeint. Sie ist eine Freundin"

Die schwarze Kätzin trat vorsichtig näher. Ein mulmiges Gefühl machte sich in ihrem Bauch breit. Das, was sie da sah, verstieß gegen alles, was eine Katze ausmachte. Wir jagen Mäuse! Wir kuscheln nicht mit ihnen! "Könnt ihr euch wirklich gegenseitig verstehen?", fragte sie langsam und musterte die beiden misstrauisch.
Tigerpfote blickte auf die Maus herab. "Wir können uns nicht unterhalten, aber wir haben gelernt, anhand von Gestik und Mimik zu erkennen, was der jeweils andere will", erläuterte er nüchten.

"Wo ist dein Vater?", bohrte die Schülerin nach. "Also die männliche Maus meine ich. Und was ist eigentlich mit deinen richtigen Eltern passiert?" Tigerpfote wandte ihr wieder seinen blauen Blick zu. "Ich habe keine Ahnung, wer ich bin und woher ich stamme", hauchte er, über seine Augen legte sich ein trauriger Schleier. "Das Einzige, was ich weiß, ist, dass Pieps und ihr Gefährte mich eines Tages im Wald gefunden und aufgezogen haben"

Rabenpfote wurde es ganz heiß unterm Pelz vor Scham. So etwas hätte ich nicht fragen sollen! Das weckt nur unschöne Erinnerungen bei ihm! Also versuchte sie von Thema abzulenken und stellte eine andere Frage: "Aber wieso bist du dann zu uns gekommen, obwohl du bereits Pieps als Familie hattest?" Er zuckte ratlos mit den Schultern. "Neugier warscheinlich"

Die schwarze Kätzin seufzte leise. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel. Wenn sie noch länger weg blieb, würde der Clan Verdacht schöpfen. Ihr wurde erst jetzt bewusst, dass Dornenstern ihren Freund wirklich verbannt hatte und es von nun an für ihn lebensgefährlich sein würde, sich in der Nähe des Schattenclan Teretoriums aufzuhalten.

"Wo willst du denn jetzt hin?", fragte sie leise und bedachte ihn mit einem traurigen Blick. Er sah sie an. Eigentlich brauchte er nichts zu anworten, denn seine Augen sprachen Bände. "Du wirst von hier fortgehen, nicht war?" Ihre Stimme versagte bei diesen Worten. Der Kater lächelte matt. "Mir bleibt ja nichts anderes übrig"

"Das muss nicht sein!", protestierte die Schülerin schwach, in der Hoffnung, dass er sich doch noch umstimmen lassen würde. "Du könntest dich einem anderen Clan anschließen oder neben unserem Teretorium leben und ich komme dich jeden Tag besuchen!" Tigerpfote kam ein paar Schritte näher und blieb bei ihr stehen. "Du weißt, dass es so nicht sein soll", murmelte er und verschränkte kurz seinen Schweif mit ihrem.

"Aber du bist mein bester Freund! Was soll ich nur ohne dich machen? Ich brauche dich!", jammerte Rabenpfote, doch sie wusste, dass sie ihn nicht am Gehen hindern konnte. "Und Rotsprung braucht dich!", beschwichtigte sie der getigerte Kater. "Sieh dich mal um. Es gibt viele Katzen in deinem Clan, die dich brauchen und die du brauchst. Und ich gehöre dort nicht dazu. Ich werde niemals zu euch gehören"

Die schwarze Kätzin senkte ergeben den Kopf. Sie sollte aufhören, so egoistisch zu sein. Was würde es ihr bringen, wenn Tigerpfote blieb, aber nicht glücklich war? Sie würde ihn loslassen, damit er mit Pieps und seiner restlichen Mäusefamilie sein Glück finden konnte. "Das heißt, ich werde dich nie wieder sehen?" Er bestätigte ihre Vermutung mit einem knappen Nicken. Sie seufzte. "Okey"

Tigerpfote wandte sich Pieps zu, neben der nun eine zweite Maus saß. Warscheinlich der Gefährte der Mäusedame. Er lächelte den beiden Mäusen zu und tappte los, sie folgten ihm qieckend. Nach ein paar Schritten drehte er sich noch ein letztes Mal zu der schwarzen Schülerin um. "Leb wohl, Rabenpfote", sagte er und zuckte freundlich mit den Schnurrhaaren. "Ich wünsche dir alles Gute" Rabenpfote rang sich ebenfalls zu einem Lächeln durch. "Das Gleiche wünsche ich dir"

Der getigerte Kater drehte sich um und tappte davon. Sie sah ihm nach, bis sie ihn endgültig aus den Augen verloren hatte. Erst dann machte sie sich auf den Rückweg zu ihrem Clan. Sie konnte nichts denken, nichts fühlen. Es war, als wäre sie innerlich leer. Es würde einige Zeit dauern, bis sie das alles verkraften hatte, aber das Leben würde weitergehen.

Rabenpfote atmete einmal tief durch und richtete ihren Blick nach vorne, in ihr neues Leben. Ein letztes Mal erlaubte sie es sich noch, an Tigerpfote zu denken, ehe sie die Erinnerungen tief in ihrem Herzen verschließen würde.

Tigerpfote. Ein sonderbarer Kater war er.
Niemand wusste, woher er kam.
Niemand wusste, wer er war.
Und niemand wusste, wohin er ging.
Nur sie. Sie kannte sein Geheimnis.
Und sie würde es für immer in Ehren halten.
Ein Leben lang.

Warrior Cats - Katz und MausWhere stories live. Discover now