.:Kapitel 1:.

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"Eure Hoheit?" Der weise alte Mann, dessen Augen zwar ganz und gar blind, nicht aber sein Herz. Womit er ohne sonderliche Mühe den sabbernden Vidae sieht, der wieder einmal den Unterricht verschläft. Bedenkenlos nimmt der Mann mit langen weißem Bart und silberner Kutte seine Stützte und haut ihn auf den Kopf des friedlich schlafenden Jungen, der sofort wach wird und quengelnd seinen pochenden Schädel hält. "Autsch! Erarem. Das tat weh!"

"Gewiss, das hat Harz so an sich", kontert Erarem gefasst und stützt beide Hände wieder auf seinen Gehstock, um seinen Buckel, auf dem einige Jahrhunderte sitzen, zu entlasten.

Der junge Vidae stößt verärgert die Luft aus und reibt sich dabei über die vermeintliche Beule auf dem Kopf.

"Wenn wir uns jetzt wieder dem Unterricht widmen können." Als Reaktion bekommt der alte Mann, wie gewohnt, ein genervtes Stöhnen kombiniert mit heftigem Augenrollen. "Eure Hochheit. Ihr müsst die Vergangenheit kennen, um eure Zukunft zu sichern. Ihr seid–"

"Der legendäre Vidae! Schon klar!", unterbricht Asarias seinen Lehrmeister in einem spottenden Ton, kriecht von seinem Sitzkissen zu ihm rüber und umarmt ihn, bevor er mit hängen gelassener Unterlippe zu ihm aufschaut. "Bitte, Erarem. Ich kenne die Geschichten in- und auswendig. Lass mich für heute gehen."

"Euer Vater wird nicht begeistert sein", erwidert er schlicht.

Das ist sein übliches Stichwort zu Verschwinden.

"Juhu!", erfreut springt Asarias in die Luft und hebt die Decke hoch, bevor er aber durchschreitet dreht er sich noch einmal um und grinst den alten Mann an. "Ich werde meine Zukunft nicht sichern, sondern sie verändern."

Der Älteste blickt dem jungen Vidae nach, wie er aus dem Zelt geht und entsinnt sich an den letzten Vidae.

"Erarem, ich habe versagt..."

"Hoffentlich seid Ihr diesmal der Erlöser", wispert er ins nichts.

Draußen lächelt Asarias sein Volk, wärmstens an, das ihn sofort herzlich begrüßt und hält einen Moment inne. Für sie ist er ein Geschenk, eine neue Hoffnung, der Schlüssel für ihre Freiheit.

Asarias ist die Reinkarnation des weißen Hirsches. Der ursprünglich die Beute eines schwarzen Wolfes sein sollte, endete, aber, gegen alle Naturbedingungen, als seine Braut.

Der Wolf konnte des Hirsches Schönheit nicht widerstehen. Ihre Liebe beeindruckte Mutter Natur und sie hatte Mitleid mit den beiden. Also verwandelte sie die beiden Tiere in Menschen und segnete zusätzlich den Hirsch mit der Gabe Kinder zu gebären, obwohl er ein Mann war.

Etliche Jahre vergingen. Sie lebten glücklich und friedlich, bis eines Tages Schatten auf ihr Glück fiel. Der Wolf rettete einen verletzten Wanderer und brachte ihn in sein Heim. Der Hirsch pflegte ihn Gesund und ergab sich letztendlich seinen Avancen. Tragischer Weise brannte der Hirsch mit ihm durch. Der Wolf starb elendig am gebrochenen Herzen.

Mutter Natur war so traurig und wütend, das sie beschloss keinen Wolf mehr auf die Erde zu schicken, so lange das Herz des schwarzen Wolfes geheilt wurde. Sie verwandelte alle Wölfe in Menschen und verkündete dem Wald, dass der weiße Hirsch irgendwann wiedergeboren werden würde und eine neue Chance bekommt seinen Verrat wiedergutzumachen. Denn das Kind, das der Hirsch gebärt, wird alle Wölfe zurückbringen. Erst wenn dies geschieht wird ihm für alle Ewigkeit Vergeben.

Also trieben die Nachfahren des schwarzen Wolfes, die Nachfahren des weißen Hirsches auf einen Felsen inmitten eines strömenden Flusses, der durch die Tränen des schwarzen Wolfes entstand und beinahe den ganzen Wald überschwemmt hatte. Den Nachfahren des Verräters war es nicht erlaubt den Felsen zu verlassen und mit dem Wald und seinen Bewohnern in Kontakt zu kommen, so lange sie ihre Schuld beglichen hatten.

Wolfs Bride (boyxboy)Where stories live. Discover now