Abschied

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Am nächsten Morgen verabschiedete sich Ida noch im Hotelzimmer von Michael Patrick. Harry brachte sie zum Bahnhof und sie fuhr mit dem Zug nach München. Bevor sie ihr Noch-Zuhause betrat, musste sie einmal tief durchatmen, um dann ihre Nichten und ihren Bruder lächelnd begrüßen zu können.

Die nächsten zwei Wochen bestanden für Ida hauptsächlich darin, in jeder freien Minute Kisten zu packen. Oscar musste viel arbeiten, weil er noch einige Projekte abschließen wollte. Victoria und Amelie schwankten zwischen der Vorfreude darauf, nah bei Oma und Opa zu wohnen und der Angst vor der Veränderung und dem bevorstehenden Abschied von ihren Freundinnen und Freunden. Ida musste viele Tränen trocknen und die Mädchen wieder aufbauen. Dabei hätte sie am liebsten jedes Mal mitgeheult.

Dann war es Ende Juli und Michael Patrick kam für zwei Tage nach München. Er und Oscar zogen Idas Sachen um. Sie hatte nicht so viele Dinge. Aber als sie das Haus betrat, das ihr neues Zuhause werden sollte, kamen ihr ihre Kisten wie Fremdkörper vor. Erstaunt sah sie, dass Michael Patrick ihr in seinem Schrank Platz geschaffen hatte. „Falls du noch etwas brauchst, dann sag einfach Bescheid. Du kannst fast alles ändern. Nur alles was mit meiner Musik und dem Glauben zu tun hat, lass bitte so, wie es ist. Wir können gerne darüber sprechen, wenn dir etwas nicht gefällt, aber bitte verändere daran nichts, okay?" „Okay." „Aber sonst kannst du fast alles machen, was du willst, ja?" „Okay das ist gut. Ich habe so tolle Poster von kleinen Hunden und Katzen und ...." Ida fing an zu lachen, als sie Michael Patrick entsetztes Gesicht sah. „Dir zu liebe hätte ich auch kitschige Poster ausgehalten." Michael Patrick umarmte Ida. „Sweetheart, ich möchte, dass du dich hier wohl fühlst, ja? Das ist jetzt dein Zuhause. Ich weiß, es wird bestimmt ein bisschen dauern, bis es sich so anfühlt, aber ich freue mich, dass du jetzt hier wohnst. I love you!" Ida bemühte sich krampfhaft um ein fröhliches Lächeln aber sie merkte, dass es ziemlich wackelig geriet. „Es tut mir leid. Ich freue mich wirklich darauf, hier mit dir zu wohnen, aber im Moment tut es einfach weh. Alles ändert sich und ich bin ehrlich gesagt nicht wirklich gut mit Veränderungen." „Ach Baby, das habe ich schon gemerkt. Mach dir keine Sorgen. Ich kenne mich gut aus mit Veränderungen. Zusammen kriegen wir das schon hin. Wenn du dich hier einsam fühlst, dann kommst du einfach nach Berlin oder wo auch immer ich bin, okay?" Ida schüttelte den Kopf. „Nein, ich verspreche dir, ich werde nie eine Frau sein, deren einziger Lebensinhalt es ist, dem Mann hinterherzufahren." Ida lachte über Michael Patricks übertrieben erleichterten Gesichtsausdruck. „So, jetzt machen wir zwei uns einen ganz gemütlichen ersten Abend in unserem Zuhause." Ida bestand darauf, ihnen etwas zu kochen. Die Küche und das Wohnzimmer waren die Räume, in denen sie sich wirklich wohl fühlte.

„Tut mir leid, dass ich dich jetzt schon wieder alleine lasse. Bitte versprich mir, dass du dich meldest, wenn etwas ist!" Eine letzte Umarmung noch und dann war Ida zum ersten Mal alleine in ihrem neuen Zuhause. Es fühlte sich seltsam an. Das war jetzt das Haus, in dem sie mit ihrem Freund zusammenwohnte. Quasi ihre erste gemeinsame Wohnung. Es war ein sehr schönes Haus. Ida ging langsam durch alle Räume. Im Schlafzimmer blieb sie stehen. Es war so kühl. Ein großes Bett, zwei Nachttische, einer davon voller kleiner Gegenstände und ein Schrank. Ida drehte sich im Kreis. Sie überlegte sich, wie sie den Raum wohnlicher gestalten konnte. Michael Patrick hatte zwar gesagt, dass sie machen konnte, was sie wollte, aber sie war sich unsicher. Konnte und sollte sie wirklich etwas verändern, während er unterwegs war?

Mit einem letzten Blick auf das Bett verließ Ida den Raum. Sie packte ihre Handtasche und ging zur Arbeit. Sie würde jetzt immer so nah an der Arbeit wohnen, das war auch eine seltsame Vorstellung. In der Arbeit vergaß sie das alles, denn sie hatte viel zu tun. Aber als sie das Kloster abends verließ, blieb sie im Hof stehen. Vier Tage noch, dann waren Oscar, Victoria und Amelie in Schweden. Für immer. Und sie blieb hier zurück. Mit Michael Patrick. Ihr Herz schlug viel schneller und sie atmete ein paar Mal tief ein und aus. „Hi Ida, na, wie geht's?" „Hi Hannes, auch Feierabend?" „Ja." Eine Idee entstand spontan in Idas Kopf. „Hannes, hast du noch ganz kurz Zeit? Könntest du mir einen großen Gefallen tun?" „Klar." Hannes half Ida dabei, ihre Kommode, die ein Erbstück war, ins Schlafzimmer zu tragen. Gemeinsam stellten sie sie an eine Wand. Ida trat einen Schritt zurück und sah sich kritisch um. „Gut, das passt." „Sieht gut aus. Tolle Kommode." „Danke." „Du, die Schwestern haben fast die gleiche im Möbellager. Da würde ja gut noch eine hinpassen, oder an die andere Wand." „Echt? Danke für den Tipp." „Soll ich sie dir zeigen?" Hannes führte Ida ins Dachgeschoss und zeigte ihr die Kommode. Diese stand in einem Raum voller Möbel. „Hast du ein Gedächtnis." „Jörg und ich mussten hier neulich umräumen. Die Schwestern haben viel modernisiert." „Sie ist wirklich schön." „Frag doch Schwester Agathe oder Schwester Ehrentraud, ob du sie haben kannst. Jörg und ich können sie dir dann rüberbringen." „Mal sehen." Aber der Gedanke an diese Kommode ließ Ida nicht los. Es würde toll aussehen, wenn sich die beiden Kommoden gegenüberstehen würden. Am nächsten Tag fragte sie ihre Chefin. „Natürlich können Sie die Kommode haben, Ida. Wir sind doch froh um jedes Teil, das weg ist. Sie wissen doch, dass wir nicht so auf das Altmodische stehen." Ida bestand darauf, die Kommode zu kaufen. Sie wollte auf keinen Fall etwas geschenkt haben. „Wenn Sie da oben noch etwas sehen, das ihnen gefällt, dann nehmen Sie es einfach mit." Hannes und Jörg transportierten die Kommode ins Schlafzimmer und Ida suchte sich noch ein schönes Gemälde aus. Es war ein wunderschönes Marienbild und als sie es Schwester Ehrentraud zeigte, war diese begeistert. „Wie schön, dass dieses Bild wieder Licht sehen darf. Ida, nehmen Sie es mit. Es gehört Ihnen und ich will nichts davon hören, dass Sie dafür bezahlen wollen." Also hängte Ida das Bild über die Kommode. Auf die Kommode stellte sie einen schönen alten silbernen Kerzenständer, ihre Bibel, Rosenkranz und andere religiöse Dinge. Sie dachte sich, dass es toll aussehen würde, wenn Michael Patrick auf die Kommode auf seiner Seite auch so etwas stellen würde. Aber da er sie gebeten hatte, diese Dinge nicht zu verändern, wollte sie auf ihn warten.

Das Leben ist zu kurz für Irgendwann!Where stories live. Discover now