Schweden

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Im Dezember flogen sie gemeinsam nach Schweden. Sie wohnten bei Oscar, Amelie und Victoria. Die Mädchen waren außer sich vor Freude, dass Ida sie endlich besuchen kam und diese hatte ein sehr schlechtes Gewissen. „Schön, dass du da bist, Ida." Oscar drückte Ida noch einmal an sich. „Ich freue mich auch. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat." „Es war bestimmt nicht ganz einfach für dich. Schön, dass Paddy auch mitgekommen ist." „Ja, das finde ich auch toll." „Ida, Ida, morgen gehen wir mit Paddy Bobfahren. Es hat so toll geschneit gestern und dann können wir ihm zeigen, wie es geht." Victoria wäre am liebsten sofort aufgebrochen. „Darf ich auch mitkommen?" „Klar. Papa, haben wir genug Bobs?" „Ja, wir haben ganz viele." Glücklich lief Victoria wieder zurück zu Michael Patrick ins Wohnzimmer. „Es ist ein wirklich schönes Haus." „Ja, wir fühlen uns auch schon ziemlich wohl hier. Kannst du mal abschmecken?" Oscar hielt Ida einen Löffel hin, damit sie die Sauce probieren konnte. Sie merkte ihm an, dass er ein wenig unsicher war, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte. Es tat ihr leid, dass sie ihm das Gefühl vermittelte, dass er ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen haben musste, weil er weggezogen war.

Nach dem gemeinsamen Abendessen durfte Ida die Mädchen ins Bett bringen. Sie setzte sich zu ihnen in ihr Schlafzimmer und bekam ein Buch gereicht, aus dem sie vorlesen sollte. Ida war erstaunt zu sehen, dass es Pippi Langstrumpf auf Schwedisch war. Es war sehr ungewohnt für sie auf Schwedisch laut vorzulesen. Als Ida aufsah, entdeckte sie Michael Patrick und auch Oscar in der Zimmertür, die ihr auch zusahen bzw. zuhörten. Unter lautem Protest ihrer Nichten klappte sie das Buch nach zwei Kapiteln zu und stand auf. „Schlaft gut ihr zwei." „Es hört sich schön an, wenn du auf Schwedisch liest." Michael Patrick legte ihr den Arm um und zog sie kurz an sich. „Es ist ungewohnt. Ich habe schon länger nicht mehr laut Schwedisch gelesen." „Geht's dir gut?" „Ja, es geht mir gut. Danke, dass du mitgekommen bist." „Sehr gerne. Oscar hat gesagt, dass wir morgen Nachmittag bei deinen Eltern eingeladen sind, wenn wir vom Bobfahren zurück sind." „Das ist schön. Ich muss wirklich öfter herkommen." Ida räumte in der Küche auf. Sie brauchte diese heimelige Beschäftigung. Sie merkte, dass es Amelie und Victoria und auch Oscar in Schweden gut ging. Das stimmte sie einerseits froh und andererseits machte es sie irgendwie traurig. Sie setzte einen Glögg auf. „Das riecht gut." Michael Patrick schnupperte neugierig an seiner Tasse. „Danke Ida." Oscar nahm seine Tasse entgegen. Ida setzte sich zu den Männern ans Feuer und trank einen Schluck des heißen Getränks. „Lecker."

Zwei Stunden später hatten sie gemeinsam den ganzen Glögg getrunken und vor allem Michael Patrick war der Alkohol deutlich anzumerken. „Oscar, du hast so recht, dass du einfach das gemacht hast, was dir gut tut. Man hängt viel zu oft irgendwo fest, wo man eigentlich gar nicht sein möchte und dann ist man traurig und traut sich nicht, irgendetwas zu ändern." „Ja, ich bin froh, dass ich die Entscheidung getroffen habe. Aber Idalein, es tut mir echt leid, dass ich dich zurück gelassen habe, so ganz alleine." Ida sah ihren Bruder lächelnd an. Alkohol machte ihn immer sehr gefühlsduselig. „Ja, Ida, vielleicht solltest du auch nach Schweden gehen?" Das Lächeln verschwand schlagartig aus ihrem Gesicht. Sie drehte sich zu ihrem Freund. „Wie meinst du das?" „Naja, München ist zwar schön, aber Schweden ist doch viel schöner." Michael Patrick schwärmte davon, wie schön ein Neuanfang für Ida sein könnte. „Nochmal neu anfange. Das würde ich auch gerne," sagte er mit einem verträumten Lächeln. „Dann fang doch neu an. Aber dafür musst du mich nicht wegschicken. Ich stehe dir bestimmt nicht im Weg." Ida stand auf und schüttelte Michael Patricks Hand ab, der sie festhalten wollte. „Sweetheart warte doch, du hast da was falsch verstanden." Mühsam stand er auf. Sie drehte sich in der Wohnzimmertür zu ihm um. „Ich glaube nicht. Du sehnst dich nach einem Neuanfang ohne mich und weil du das Gefühl hast, dass du fest hängst, soll ich gehen." „Nein, nein. Bleib doch mal da." Erstaunlich schnell stand er vor ihr, zog sie wieder zurück ins Wohnzimmer und schloss die Tür. „Nein Ida. Im Gegenteil. Ich würde am liebsten mit dir neu anfangen. Irgendwo, ganz ohne den ganzen Scheiß. Ohne die ganzen Sorgen und Verpflichtungen und ohne die Angst, dass ...." Er brach ab und schien über sich selbst erschrocken zu sein. „Ich habe wohl wirklich zu viel getrunken. Ich glaube, wir gehen am besten schlafen. Gute Nacht Oscar, sorry." „Gute Nacht." Oscar lachte. Ida war nicht so leicht besänftigt. Sie folgte Michael Patrick die Treppe hinauf. Er wollte neu anfangen. War er denn so unglücklich? Mit ihr? Oder womit? Aber als sie aus dem Bad kam, lag er schon im Bett und schnarchte vor sich hin.

Das Leben ist zu kurz für Irgendwann!Where stories live. Discover now