Empfindungen neurodivergenter Menschen ernstnehmen

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Wenn Menschen mit neurodivergenten Menschen im Konflikt stehen, versuchen sie manchmal sich von der Verantwortung zu ziehen, indem sie alles auf die Behinderung/Krankheit der anderen Person schieben, damit an ihrer Glaubwürdigkeit und an die Berechtigung ihrer Empfindungen gezweifelt wird.

Das sind Sätze, wie:

— „Glaube ihm nicht, er ist schizo!"
— „Naja, sie hat Borderline, also übertreibt sie sowieso immer mit allem."
— „Das ist gerade nur deine Krankheit, die spricht."
— „Du hast deine Medikamente genommen." (was uns an „du hast deine Tage" erinnert)
— ...

Wenn eine Person Borderline hat, schizophren, Autist*in oder auf eine andere Weise neurodivergent ist und sagt, dass sie wütend oder traurig ist, dann liegt es daran — Achtung! —, dass sie wütend bzw. traurig ist.

Und das auch mit einem Grund! denn: Ihre Neurodivergenz zaubert keine Emotionen aus dem Nirgendwo her. Ja, sie kann definitiv Einfluss auf diese Emotionen haben. Sie kann sie verformen, den Betroffenen den Zugang zu ihnen versperren oder sie kann ebenfalls Einfluss darauf haben, wie diese Emotionen geäußert werden, was auch aufgrund gesellschaftlichen Erwartungen seltsam/unpassend wirken kann.

Aber diese Äußerungen verlieren dadurch nicht ihre Legitimität und auf keinen Fall kommen diese Empfindungen aus dem Nichts.
„Es ist doch nichts passiert!". Doch, ist es! Und kein, „aber eigentlich...", weil diese Emotionen da sind, das ist ein Fakt und man hat ihre Existenz nicht zu leugnen.

Wenn Betroffene sagen, „du hast mich verletzt", dann heißt es, dass ihr sie verletzt habt. Völlig egal, ob es Absicht war oder nicht, man entschuldigt sich trotzdem und hat nicht so zu tun, als sei es „aber eigentlich" anders.

In einer solchen Situation interessieren sich die Leute um dich herum nicht dafür, welches Verhalten bei dir solche Reaktionen hervorgeruft, damit sie es in Zukunft vermeiden können. Sie weigern sich, über das, was passiert ist, nachzudenken — aber warum sollten sie? Es ist schließlich nicht ihre Schuld, es ist ja die Schuld deiner Krankheit/Behinderung. Damit haben sie nichts zu tun. Sie können nichts dafür, dass du nicht richtig tickst.

Solche Gedankenweisen bei Außenstehenden machen Betroffene extrem verletzbar gegenüber manipulativen Menschen. Wenn man niemanden hat, der uns beisteht, der auf unserer Seite ist, der bezeugen kann, dass man die Wahrheit sagt, dann wird man immer als die*den Schuldige*n gelten. Schuldig, weil neurodivergent.

Denn es ist nicht bloß so, dass sie nicht einsehen wollen, dass sie dich verletzt haben, sondern sie sagen dir, dass du selbst schuld bist. Du sind schuld, weil du alles nicht richtig, sondern verzerrt wahrnimmst, weil du alles übertreibst, verformst und dich wegen „Nichts" aufregst und dich wegen „Nichts" beleidigt fühlst. Du bist „zu empfindlich", aber genau das macht dich eben zu der*dem Schuldigen. Nicht diejenigen, die deine Grenzen überschreitet haben.

Also fängt man an, daran zu zweifeln. Das nennt man Gaslightning. Man manipuliert die Person so weit, bis sie am Ende von sich selbst glaubt, „verrückt" zu sein. Das funktioniert bereits sehr gut auf „gesunde" Menschen; jetzt stellt euch vor, ihr hättet eine psychiatrische Diagnose (wie z.B. Schizophrenie) und wär bereits in der Psychiatrie gewesen... wie soll man da nicht glauben, dass man verrückt ist, wenn man es auch eh schon ohne Manipulation glaubt?

CN Vergewaltigung

Dieses Nichternstnehmen kann sehr weit gehen und so sehr schlimme Konsequenzen haben. Wie viele behaupten, in der Psychiatrie vergewaltigt worden zu sein, wurden jedoch nicht geglaubt, weil sie schizophren sind? Weil sie als „verrückt" gelten? „Naja, sie hat Borderline, deshalb übertreibt sie mit allem... sie nimmt alles verzerrt wahr und verformt alles. Das ist in Wirklichkeit gar nicht so schlimm/gar nicht so gewesen. Sie regt sich ständig über Dinge auf, die nie passiert sind."

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