Vampirpest

27

Ich stehe auf und stelle mich vor ihn. "Das bleibt unser kleines Geheimniss, in Ordnung?" Denn ich will nicht, dass es jemand weiß und er will es wahrscheinlich auch nicht. Alucard sieht auf mich hinunter und nickt. "Einverstanden." erwiedert er und sieht dann nach draussen. "Komm, es fängt gleich an." Etwas wiederwillig und noch müde, folge ich ihm nach draussen und atme die frische Abendluft ein. Die Gerüche überdecken sich und sind gefüllt mit gemähtem Gras, Grillgeruch, Schweiß und ein wenig Luftverschmutzung. Aber letzteres kann ich zumindest sehr gut ausblenden. Ich sehe in den Himmel, kann aber nichts erkennen.

"Wer als erstes auf dem Dach ist?" fragt er und ich sehe die Villa hinauf. "Das ist unfair. Du bist um einiges schneller!" brumme ich, doch er verbeugt sich leicht. "Ich gebe dir sogar einen kleinen Vorsprung." meint er und ich ziehe meine Augenbraue hoch, ehe ich nicke. "Also gut." erwiedere ich und gehe zur Fassade, ehe mein Auge leuchtet. Ich kann es in der spiegelnden Scheibe der Terassentüre sehen. Ich konzentriere mich und sehe dann zu dem Balkon hinauf. Ich muss mir immer erst einen Weg nach oben denken, ehe ich ihn so ablaufen kann. Kommt auch noch aus der alten Zeit.

Ich trete wieder neben ihn und sehe zu ihm hoch. "Wie viel?" frage ich und er denkt kurz nach, ehe seine Mundwinkel nach oben gehen. "Sechs?" Ich ziehe meine Augenbrauen hoch. "Das war jetzt mehr als nur absicht, oder?" Das Aufblitzen in seinen Augen reicht mir als antwort, doch ich nicke. "Dann fang an zu zählen!" Und mit diesen Worten laufe ich auf die Fassade zu, springe ab und stoße mich ebenfalls von der Fassade ab, um mich am Balkongeländer hoch zu hangeln. Oben angekommen drehe ich mich um und springe zu einem Vorsprung, der für Blumenkästen dient.

Mit Schwung schwinge ich mich zum nächsten Balkon hinauf und springe dann so hoch es geht, um die Regenrinne zu packen. Diese knarzt bedenklich und ehe ich mir sorgen machen kann, dass diese gleich nachgibt, hält mir Alucard von oben schon eine Hand hin. "Sechs Sekunden sind vorbei, Prinzessin." Ich schnaube lächelnd und schüttle dann den Kopf, ehe ich seine Hand greife und mich auf das Dach ziehen lasse. "Wieso versuche ich es auch noch?" frage ich und klopfe meine Kleidung ab, ehe ich dem schwarzhaarigen zum höchsten Punkt des abfallenden Schindeldaches zu folgen. Dort setzt er sich hin und ich setze mich neben ihn.

"Weil du noch etwas hast, was ich nicht habe." meint er nur und beantwortet meine Frage von vorhin. "Was... Dummheit? Naivität?" "Hoffnung." Ich seufze und lehne mich gegen ihn. "Auf was soll ich noch Hoffnung haben?" frage ich und sehe zu ihm hoch. Während er mich aus dem Augenwinkel beobachtet, legt er seinen Kopf in den Nacken. Hut und Brille fehlen ihm. "Die Hoffnung auf verbesserung. Du kannst dich noch verbessern. Noch steigern. Du kannst dein Leben verbessern. Du bist frei. Du hast die Hoffnung auf einen guten Partner, mit dem du ein paar Jahre verbringen kannst."

Ich verdrehe die Augen. "Und das hast du nicht? Mit dem steigern, da gebe ich dir recht. Du bist an sich perfekt, was Technik, Überleben und Kampf angeht." sage ich und richte mich auf, sodass ich von alleine dasitze. Ohne an ihn gelehnt zu sein. Ich selbst sehe in den Himmel, aber eher in die ferne und nicht mit dem Kopf im Nacken. "Aber du kannst dein Leben auch verbessern, wenn es dir nicht so gefällt. An sich bist du auch frei. Wenn du mein Leben als frei ansiehst zumindest. Ich meine... wie müssen beide auf eine gewisse Lady hören und die Befehle ausführen."

Dann drehe ich meinen Kopf. "Und warum solltest du keine Hoffnung auf einen Partner oder eine Partnerin haben? Nur weil du ein Vampir und gleichzeitig der älteste bist bedeutet das nicht, dass du dich isolieren musst. Sieh dich mal an. Du bist stark und hast unter deiner kaum zu knackenden Schale einen weichen Kern. Du bist beschützerisch, du stehst für andere ein, du lehrst sie etwas, du würdest dein Leben für sie geben und ich rede nicht nur von dem Befehl." Ich lächle und piekse ihm mit einem Finger in den Oberarm, während ich ihn ernst ansehe.

"Wenn du jemanden an dich heran lässt, die dir persönlich gefällt, dann lass sie in dein Leben, Alucard. Lass sie teil von allem sein. Was dir freude bereitet. Was dich traurig oder wütend stimmt. Denn ich glaube, dass diese Person sich dann überaus glücklich schätzen kann, mit dir ihr leben zu verbringen." Ich ziehe meine Beine an meinen Körper und lege meine Arme um die Beine. Mit einem traurigen lächeln sehe ich nun selbst in den Sternenhimmel genau über mir. "Die Konstellationen verändern sich jedes mal, wenn ich da hoch sehe." sage ich leise und folge einem Satelliten, der aber gleich wieder verschwindet.

"Nichts ist so wie damals, als ich durch die Gitterstäbe in den Himmel gesehen habe. Immer wieder wechselt etwas." Alucard ist einfach nur stumm und sieht nach oben. "Aber so ist das Leben. Es verändert sich. Genau wie die Konstellationen am Himmel. Und jedes mal frage ich mich, was mich überhaupt dazu bringt, hier hoch zu sehen." Ich mache eine kurze Pause, ehe ich fortfahre. "Eigentlich war es immer der Wunsch, weg zu kommen oder zu sterben. Ich wollte einer von ihnen sein. Frei." Ich hebe einen Arm. "So nah und doch so... unnahbar." Ich lasse meine Hand langsam wieder sinken.

"Als ich meinen Meister getötet habe... habe ich oft hoch gesehen. Habe mich gefragt, ob es einen Gott gibt." Mein trauriges lächeln vertieft sich. "Mein Vater meinte immer, dass ich auf mein Herz hören sollte. Ich sollte meinen verdammten Verstand ausschalten. Er bringt mich zwar weiter, wird mich aber nie glücklich machen." Ich lege den Kopf schief. "Aber wie soll ich auf mein Herz hören, wenn es tot ist? Das ist die Frage, die ich mir oft gestellt habe. Mit einem Toten Herzen... da kann ich nur auf meinen Verstand hören, oder?" Ich höre wie Alucard etwas erwiedern will, doch plötzlich gibt es den ersten Knall und der Himmer glüht grünlich. Mit einem lächeln sehe ich nach vorn. "Es beginnt!" Und schon explodiert der nächste Feuerwerkskörper und lässt den Himmel in einem grellen Pink erstrahlen.