[Eins] - CaddySign

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Der Duft von frischer Farbe dringt in meine Nase und wird immer intensiver, je näher ich der Quelle komme. Gehämmere und Gebohre begleiten den Geruch und führen mich an den Ort des Geschehens.
Der große Raum ist dank der großzügigen Fenster lichtdurchflutet, aber auch die breite Eingangstür aus Glas gestaltet das alles etwas freundlicher und offener. Der Boden ist mit einem weißen Belag gestaltet, auf dem irgendwann die farbenfrohe LED-Lampe unser Logo wirft. Die Wände sind in entsprechenden Farben des Corporate Designs gestaltet. Grün-Braun auf Weiß. Ein Kontrast, wie Naddy und ich ihn auch bilden. Ausdrücklicher könnten wir dies gar nicht darstellen.
Jedes Mal, wenn ich diese Baustelle betrete und den Fortschritt sehe, beginnt mein Herz zu rasen.
Unser eigenes Unternehmen.
CaddySign
.
Über den Namen mussten wir gar nicht lange diskutieren. Ein Geistesblitz, der uns beiden sofort gefiel. In einem Wort sind alle wichtigen Bestandteile drin. Mein Name, ihr Name und das branchenübliche Wort Design.

Vor etwa einem Jahr habe ich mich in die Höhle des Löwen begeben, um mit Dwayne über das Vertragliche zu reden, nachdem er mehr oder weniger beschlossen hat, die Kündigung zurückzuziehen. Obwohl es mir eigentlich widerstrebt, mich mit Jolene über Berufliches zu unterhalten, wenn wir nicht gerade im Bürogebäude sind, habe ich auf ihren Rat gehört und von Dwayne eine entsprechende Gehaltszahlung verlangt, ehe ich wieder für ihn arbeiten würde. Zugleich habe ich das auch für Naddy gefordert.
Wie zu erwarten, hat er sich darauf nicht wirklich einlassen wollen. Letztlich stellte sich auf diesem Wege heraus, dass Jolene nicht einfach nur überhebliche Floskeln rausgehauen hat, sondern tatsächlich Recht hatte. Dwayne hat uns um tausende von Dollar betrogen.
Nicht nur, dass er uns nicht richtig bezahlt hat, stellte sich auch heraus, dass er gar nicht in unsere Sozialversicherung eingezahlt hat. Unsere Beiträge für das Gesundheitssystem hat er ebenfalls nicht bezahlt - die Vorstellung, bei einer ärztlichen Versorgung mit der Tatsache konfrontiert zu werden, war ein Schlag ins Gesicht.
Schlimmer aber war die Durchsichtung aller Dokumente. Es stellte sich heraus, dass er uns nicht mal wirklich als vollwertige Angestellte angemeldet hat. Ganz zu schweigen von den überhöhten Kosten, die er unseren Auftraggebern in Rechnung gestellt hat. Durchschnittlich hat er auf jedes Projekt bis zu zehn Arbeitsstunden draufgeschlagen. Die Zahlen, die wir dabei ausrechneten, was er an dieser Machenschaft verdient und sich in die eigene Tasche gesteckt hat, waren gigantisch, so dass wir beide an die frische Luft mussten.
In diesem Moment haben wir uns dazu entschieden zu vergessen, welch lustige Zeiten wir mit ihm hatten. Denn all jene waren nur gute Miene zum bösen Spiel gewesen.
Zu Recht kamen wir uns betrogen vor. Für uns war der Gang zum Finanzministerium ein Leichter, nachdem uns klar geworden ist, wie sehr uns Dwayne ausgenutzt und betrogen hat.
Aber auch Jolene hat den betrogenen Auftraggebern die Tatsache mit den manipulierten Rechnungen zukommen lassen, die Dwayne daraufhin direkt verklagt haben.
Die Gelder, die er bereits zu hunderttausenden auf seinem Bankkonto liegen hatte, hat Jolene mit einem breiten Grinsen - aber auch besorgniserregend schnell - kaltgestellt.
Aber ich habe diese Vorgehensweise bis heute nicht hinterfragt und auch nicht mehr angesprochen. Ich will es gar nicht wirklich wissen.
Außerdem hat dies verhindert, dass er sich mit diesem Geld ins Ausland absetzt. Und so verbringt er seine Tage nun nicht auf Hawaii oder auf einer Yacht, sondern in einer grauen, tristen Zelle hier im Bundesgefängnis von Miami, und darf die Gitterstäbe zählen.

In Bezug darauf haben Naddy und ich entschieden, Darwin Design zu übernehmen, allerdings unter einem anderen Namen und wie geplant als Tochter von BNS.
Jolene ist jetzt also meine Chefin. Etwas, worüber ich mir bereits vorher viele Gedanken gemacht habe, weil ich kein Freund davon bin, wenn sich geschäftliche Belange in die private Beziehung schleichen. Aber Jolene hat mir versichert, sich rauszuhalten und es mir und Naddy vollkommen alleine zu überlassen. Eingreifen werde sie erst, wenn wir dabei sind, CaddySign gegen die Wand zu fahren. Auf diesen Kompromiss habe ich dann letztlich eingelassen.
Noch stehen wir am Anfang, aber bereits jetzt haben wir einige Auftraggeber vor der Tür stehen, die nur darauf warten, uns ihre Wünsche mitteilen zu können. Weil die Anfragen bereits im Vorfeld schon sehr groß sind, und ich aber immer noch an Jolenes Auftrag vom letzten Jahr arbeite, haben wir uns dazu entschlossen, zwei Mitarbeiter einzustellen.
Heute finden die Gespräche mit zwei der unzähligen Bewerber statt.

Und so entdecke ich Naddy im provisorisch eingerichteten Büro, die sich auf die Vorstellungsgespräche vorbereitet.
Vermutlich wird sich ihr fröhlicher Ausdruck gleich in einen enttäuschten wandeln, wenn ich ihr mitteile, dass sie dort heute alleine durch muss.
»Guten Morgen«, grüße ich sie und erlange sofort ihre Aufmerksamkeit.
»Guten Morgen, zukünftige Mrs. Reid«, erwidert sie mit einem frechen Grinsen, welches sich aber in ein regelrechtes Strahlen verändert, als sie Chester erblickt, den ich auf meinem Arm habe.
»Lass' das«, grummle ich und sehe ihr dabei zu, wie sich ihre Finger über die weiche Wange des Kindes bewegen.
»Wieso? Ist doch Fakt«, entgegnet sie, ohne ihre Aufmerksamkeit von Chester abzuwenden.
»Wo ist das Fakt? Wir sind nicht mal verlobt.« Ich verdrehe genervt die Augen und lasse meinen Blick dann über die Unterlagen schweifen.
»Nur eine Frage der Zeit«, stichelt sie und widmet sich wieder den Bewerbungen.
»Auch das nicht. Wir haben dahingehend nichts geplant.«
»Noch nicht.« Sie grinst, hebt ihren Stift und wedelt mit ihm, als würde sie mich tadeln.
»Sie ist immer noch mit Johnny verheiratet«, erinnere ich sie. »Und ganz offensichtlich hat sie nicht vor, das zu ändern.«
Naddys gequälter Gesichtsausdruck ist eigentlich aussagekräftig genug, aber sie wäre nicht sie, würde sie ihre Gedanken für sich behalten.
»Ich bin mir ganz sicher, dass sie das ändern wird, sobald du endlich bereit bist, in eurer Beziehung einen Schritt weiterzugehen. Aber solange das nicht so ist, wieso soll sie dann das Geld für die Scheidung in die Hand nehmen?« Schulterzuckend wendet sie sich von mir ab und macht sich weitere Notizen für das baldige Vorstellungsgespräch.

»Was hat es eigentlich mit dem Junior hier auf sich?«, wechselt sie schließlich das Thema und deutet auf Chester.
»Jolene liegt krank im Bett. Also kümmere ich mich um die Erledigungen«, erkläre ich schnaufend. Ich hatte den Gedanken an den heutigen Marathon erfolgreich verdrängt. »Chester zur Nanny bringen, bei BNS vorbeigehen und Jolenes Anweisungen weitergeben und nach dem Rechten sehen. Wenn ich das erledigt habe, muss ich in der Apotheke noch ein paar Sachen besorgen und mich dann zuhause um alles andere kümmern. Aber so, wie ich Jolene kenne, sitzt sie jetzt mit dem Laptop im Bett und arbeitet trotzdem, anstatt sich auszukurieren.«
»Würdest du wetten, würdest du gewinnen«, grinst Naddy wissend. »Heißt also, du bist heute nicht verfügbar und ich muss die Gespräche alleine führen«, schlussfolgert sie schließlich.
Dies beantworte ich nur mit einem entschuldigenden Lächeln.
»Wenn BNS ohne Jolene den Bach runtergeht, sind auch wir aufgeschmissen. Also rette unser Unternehmen«, gackert sie und klopft mir gegen die Schulter. »Ich krieg' das hier schon geschaukelt.«
Dann deutet sie auf ihren Laptop. »Heute kamen drei weitere Projektanfragen rein. Ich frage mich ja, woher die alle kommen. Wir haben noch keine Werbung geschaltet.«
»Weil Jolene fleißig in der Werbesuppe rührt«, kommentiere ich.
»Ich dachte, sie will sich raushalten?«, grummelt Naddy und seufzt schließlich.
»Will sie. Aber sie will auch CaddySign versorgt wissen, damit ihre Investition nicht umsonst gewesen ist.«
»Ich liebe diesen Namen!«, spricht sie grinsend. »Sag' ihn nochmal.«
»CaddySign.«
»Nochmal.« Ihr Grinsen wird breiter.
»CaddySign«, wiederhole ich ebenso grinsend.
»Hach«, stößt sie verliebt aus und legt ihre Hände auf ihre Brust. »Im Übrigen kam heute die LED-Lampe«, berichtet sie dann und bedeutet mir, ihr zu folgen.

Das Gebohre und Gehämmere, das ohnehin schon nervend durch die noch leeren Räume hallt, schlägt uns nun in voller Lautstärke entgegen. »Dennis hat versprochen, sie uns anzubauen. Wir müssen uns endlich einig werden wohin sie soll.«
»Mitte.«
»Eingang«, kontert sie.
Eine Diskussion, die wir führen, seit wir diese Räumlichkeiten für unser Unternehmen zurechtmachen.
»Im Eingang sieht es direkt jeder«, argumentiert sie wieder.
»An der Tür wird bereits unser Logo kleben. Wir müssen niemanden damit direkt überfluten«, gebe ich nüchtern von mir. »Darum denke ich, es reicht vollkommen aus, wenn es auf dem Boden vor der Empfangstheke leuchtet.«
Mit einem frustrierten Schnaufen beendet sie diese Diskussion. »Wenn du nachher bei BNS bist, kannst du bestimmt einen der Jungs dazu bekommen, uns hier endlich cybermäßig zu verkabeln.«
»Auftrag ist längst erteilt. Am Freitag kommt einer.«
»Freitag? Das ist in fünf Tagen.«
»Vier.«
»Mit heute fünf. Kannst du für drei Sekunden dieses 'Berufliches und Privates wird getrennt'-Ding ignorieren und bei der Chefin von BNS für Beschleunigung sorgen?« Ihre Augenbrauen zucken auffordernd.
»Es wird Gründe haben, wieso sie erst Freitag einen dafür abstellen kann. Und vorher ist hier sowieso noch nichts fertig«, rechtfertige ich und lehne ihre Bitte ab.
»Na gut«, schnauft sie, »war ein Versuch wert.«

Jolene (+ Cait)Where stories live. Discover now