[Acht] - Zweifel

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Das restliche Abendessen habe ich mich eher an einer Konversation mit Milly versucht. Im Grunde ist diese Frau wirklich liebenswürdig und nett, und lässt mich über ihre neurotische Macke und stark religiöse Einstellung hinwegsehen. Tatsächlich fand ich ihre Einstellung und Sichtweise zu Gott sehr interessant, wenngleich ich es anders sehe und nicht ganz so teilen kann.
Jeglichen Kontakt zu Jolene - sowohl mit Blicken als auch Berührungen - habe ich gemieden und von ihr jedes Mal ein unzufriedenes Raunen erhalten.
Sie braucht gar nicht unschuldig oder unwissend tun. Sie weiß ganz genau, wieso ich ihre Nähe gerade nicht möchte. Ganz sicher ist sie sich ihren Worten bewusst, ebenso wie sie sie auch bewusst geäußert hat. Aber das werde ich nicht mit ihr am Essenstisch, und schon gar nicht im Beisein ihrer Eltern ausdiskutieren. Darüber Gedanken machen darf sie sich aber schon; sollte sie auch, wenn das Wochenende nicht mit getrennten Wegen verlaufen soll.
Auch wenn Jolene sagte, ich soll mir keine Mühe geben, helfe ich Milly trotzdem beim Ab- und Aufräumen. Und weil wir uns bereits den ganzen Abend gut unterhalten haben, hat sie auch nichts dagegen. Den Protest des Admirals, dass er es für unhöflich hält, den Gast mit anpacken zu lassen, habe ich mit der Bemerkung abgewehrt, es aus freien Stücken und sehr gerne zu tun. Daraufhin ist er mürrisch davon gestiefelt und verschwunden. Ebenso Jolene, die kommentarlos mit Chester nach oben gegangen ist.

»Ist dir nicht mal der Gedanke gekommen, dass ich das nur gesagt habe, um keine Diskussion mit meinem Vater auszulösen?«, fragt sie direkt, als ich unser Zimmer betrete. Sie sitzt auf dem Bett und zieht den bereits schlafenden Chester für die Nacht um.
»Nein. Ist es denn der Grund?«, entgegne ich im selben, leicht schnippischen, Ton.
»Nein, aber es ist bedauerlich, dass dir nicht mal die einfachste Möglichkeit als erstes in den Sinn kommt und du direkt sauer auf mich bist.«
»Könnte vielleicht daran liegen, dass ich dich gut genug kenne, um zu wissen, ob du meinst, was du sagst, oder nur so tust.« Erbost verschränke ich meine Arme vor der Brust und folge ihr mit meinem Blick, als sie aufsteht und Chester in sein Bettchen legt. »Tonlage und Blick waren deutlich und ließen keinen anderen Schluss zu.«
Schweigend kommt sie auf mich zu und bleibt vor mir stehen. Ihr Blick ist durchbohrend und starr. »Ich werde jetzt nicht mit dir streiten.« Um zu verdeutlichen, wieso, deutet sie auf das Kinderbett.
»Du musst dich auch nicht mit mir streiten. Mir nur Rede und Antwort stehen.«
»Als würdest du dich dann mit der Antwort zufrieden geben«, schnaubt sie.
»Wahrscheinlich nicht, nachdem du mir letztes Jahr gesagt hast, ich wäre der Grund, wieso du die Ehe beenden möchtest, aber versuch's einfach mal.«
»Eine Frage vorweg, denn es scheint ja ein wirklich großes Thema für dich zu sein«, beginnt sie und kommt mir so nahe, dass ich reflexartig zurückgehe, bis ich mit dem Rücken an der Tür stehe. »Willst du eine Ehe mit mir?«
»Fragst du das jetzt, um je nach Antwort besser argumentieren zu können, oder machst du mir gerade einen Antrag?«, frage ich abschätzend. »Wenn Letzteres, ist das jetzt gerade der falsche Moment.«
»Was wäre denn der richtige Moment?« Auch wenn sich ihre Lippen keinen Millimeter bewegen, wirkt es, als würde sie schmunzeln. »Gibt es überhaupt einen richtigen Moment?«, fragt sie weiter, als ich vermutlich zu lange zum Antworten brauche und entfernt sich wieder ein wenig von mir. »Warum also soll ich mich scheiden lassen, wenn du mich nicht mal heiraten willst?«
»Ich habe nie gesagt, dass ich dich nicht heiraten will«, antworte ich etwas pikiert und verschränke wieder meine Arme vor der Brust.
»Du hast aber auch nie gesagt, dass du es willst«, entgegnet sie gelassen und beginnt sich auszuziehen.
»Weil das aktuell gar nicht zur Option steht.« Und schon habe ich sie wieder zum Eigentlichen zurückgelenkt. »Und wahrscheinlich wird das auch nie so sein, da du ja nicht vorhast, dich von Johnny scheiden zu lassen!«
Ich würde lügen, wenn ich behaupte, dass mich ihr durchbohrender, starrer Blick nicht einschüchtern würde. Ich hasse es, wenn sie mich so ansieht. Denn dann weiß ich ganz genau, dass sie gerade keinen Unterschied macht, ob ich ihre Geliebte, oder ihre Angestellte bin.
Wieder nähert sie sich mir und kommt mir dabei sehr bedrohlich vor, weshalb ich die Luft anhalte; ihr Gesicht nah an meinem.
»Willst du mich denn heiraten?«, fragt sie langsam, deutlich und mit dunkler Stimme. »Würdest du 'Ja' sagen, wenn ich dir einen Antrag mache?«
»Nein«, antworte ich, nehme meinen Mut zusammen und schiebe Jolene von mir.
»Dann ist dieses Thema doch vollkommen nichtig!«, gibt sie genervt und aufgebracht von sich.
»Ich würde 'Nein' sagen, weil du noch verheiratet bist und Bigamie verboten ist!«, begründe ich.
»Ich habe nicht vor, zwei Ehen zu führen, Cait.« Ihre Augenbraue hebt sich, während sie ihre Hände in ihre Hüften stemmt.
»So, wie du auch nicht vorhast, dich von Johnny scheiden zu lassen«, sage ich und erhalte wieder nur ein genervtes Stöhnen von ihr. »Aber eine Scheidung von ihm ist Voraussetzung, damit du mich überhaupt heiraten dürftest.«
»Ich habe nicht vor mich von Johnny scheiden zu lassen, bis die ganze Sache mit ihm geklärt ist. Aber danach, und dann werde ich dich heiraten.« Während sie das sagt, steigt sie ins Bett und legt sich hin.
Irritiert runzle ich die Stirn und nähere mich ihr.
»Wie meinst du das?«, frage ich und beginne ebenfalls, mich auszuziehen.
Jolene aber wartet mit ihrer Antwort, bis ich neben ihr liege. Einladend streckt sie ihren Arm aus.
Ich zögere einen Moment, weil ich mir unschlüssig bin, ob ich überhaupt diese Nähe will.
»Wir wollen Johnny auf Kaution frei bekommen«, beginnt sie schließlich, als ich mich dann doch an sie schmiege. Das Verlangen meines Körpers nach ihrem ist stärker, als der Unmut. Dennoch richte ich mich kurz wieder auf, um sie verwundert anzusehen. Verwundert, weil ich gerade nicht so ganz glauben möchte, dass sie mich jetzt tatsächlich einweihen will. Nach über einem Jahr sturen Schweigens. »Die Wahrscheinlichkeit, dass der Richter einer Kaution zustimmt, ist höher, wenn er Verheiratet ist. Und dann gibt es da immer noch Chester. Die Fluchtgefahr ist also geringer.«
Ehrlich gesagt bin ich gerade in einem Zwiespalt. Auf der einen Seite bin ich so sauer, dass ich sie anschreien möchte, weil es eine so simple Begründung ist, die im Vorfeld so viel Misstrauen und Dispute verhindert hätte. Auf der anderen Seite bin ich aber glücklich, dass sie mich endlich wissen lässt, was da los ist.
»Das ist es? Das ist der Grund?«
»Ja.«
»Und wieso hast du mir das nicht von Anfang an gesagt?« Mein Verstand hat sich also für die Wut entschieden, die jetzt wieder stärker, als das körperliche Verlangen ist. Entsprechend setze ich mich wieder auf und sehe sie an. »Du weißt, dass ich ein sehr toleranter Mensch bin, Jolene. Wieso also sprichst du nicht offen mit mir? Hättest du mir das von Anfang an gesagt, dann ...«
»Dann was?« Auch sie setzt sich auf und hält meinem Blick stand. »Dann wäre alles anders? Dann hättest du mehr Verständnis gehabt?«
»Ganz genau das! Es hätte uns so viele Debatten erspart! Ich hätte gewusst, woran ich bin. Aber stattdessen plapperst du von Scheidung, um für mich frei zu sein, dabei hast du das noch gar nicht vor! Ich bin deine Freundin, Jolene. Wir haben uns dazu entschlossen, einen gemeinsamen Weg zu gehen. Findest du nicht, dass ich dann das Recht darauf habe, dir zu helfen, deine Steine aus dem Weg zu räumen?«
»Steine aus dem Weg räumen? Was? Kannst du ins Gericht marschieren und die Freilassung beurkunden? Einfach so?«
»Nein, das nicht.«
»Ein anderer Stein ist es aber nicht. Du kannst mir dabei nicht helfen!«
»Aber ich kann für dich da sein.«
»Das hilft Johnny aber nicht.«
»Nein, aber dir! Du müsstest diesen Kampf nicht alleine führen. Selbst wenn ich nur zuhause sitze und auf dich warte, ist es schon hilfreich, wenn du mir von Rückschlägen oder auch Erfolgen berichten kannst. Wenn da jemand ist, dem du deine Gedanken mitteilen kannst, ohne, dass er dich verurteilt! Es tut unglaublich gut, jemanden zu haben, der als Ventil dient, weißt du? Du musst jetzt nicht mehr alleine da durch!« Um Luft zu holen, nehme ich einen tiefen Atemzug. »Ich bin Teil deines Lebens. Also lass mich auch Teil daran haben!«
Ich warte einen Moment und sehe sie einfach an. Genauso, wie auch sie mich ansieht. Selbst im schwachen Licht der Nachttischlampe kann ich ihre Kiefermuskeln arbeiten sehen, und erkenne daran, wie sie innerlich mit sich selbst kämpft.
»Wir können viel besser eine stabile Einheit bilden, wenn wir einander unterstützen und vertrauen«, sage ich, als von ihr keine andere Reaktion kommt. »Ich fühle mich von dir ausgeschlossen, Jolene. Das tut weh. Das gibt mir das Gefühl, dir nicht wichtig genug zu sein. Dir kein Fels zu sein.«

Verzweifelt greift sie sich an die Nasenwurzel und lässt sich ins Bett zurückfallen, gefolgt von einem Schnauben. Dann richtet sie ihren Blick zu mir und sieht mich unergründlich an. Eine Mischung aus Verzweiflung und Verbissenheit.
»Es tut mir leid«, gibt sie schlicht von sich und breitet ihren Arm wieder aus. Dieses Mal zögere ich nicht und lege mich wieder zu ihr. Drücke mich fest an sie. »Du bist mein Fels«, spricht sie nach einem kurzen Schweigen weiter. »Der bisher Größte in meinem Leben. Und dir ist das nicht mal bewusst.«
»Wie auch?«
»Dich an meiner Seite zu wissen gibt mir mehr Kraft, als du dir vorstellen kannst. Sobald ich dich sehe, ist all der Scheiß verschwunden. Meine Welt ist dann in Ordnung.«
»Sowas musst du mir sagen.«
»Ich dachte, es reicht, wenn ich es dir zeige.«
»Würde es, wenn du nicht so oft in Rätseln sprechen, deine Gedanken für dich behalten und meinen Fragen ausweichen würdest. Du säst damit Zweifel, kein Vertrauen.«
Stumm nickt sie, festigt ihre Umarmung und sieht mich wieder an. Ihre Hand legt sich auf meine Wange und streichelt diese einen langen Moment, ehe sie mich erst zögerlich, dann innig küsst, als ich ihn erwidere und kann ihre Erleichterung spüren.
»Ich liebe dich, Cait«, sagt sie, als sie sich von mir löst und mir wieder in die Augen sieht. »Und ich will mein Leben mit dir verbringen. Ich will niemand anderen an meiner Seite. Ich will niemand anderen an Chesters Seite. Nur dich.«
Diese Liebesbekundung lässt mein Herz rasen. So schnell, so stark, dass ich glaube, selbst der Nachbar kann es hören. Es ist nicht nur der Fakt, dass sie es gesagt hat, sondern wie. Stark und Überzeugend. Ich glaube, ich habe in ihren Worten noch nie so viel Ehrlichkeit herausgehört, wie jetzt.
Entsprechend schleichen sich Tränen der Rührung und Erleichterung in meine Augen. Reden ist mir gerade nicht möglich, weshalb ich ihre Worte mit einem stürmigen, aber auch innigen Kuss beantworte. Jetzt ist es sie, die mir Kraft gibt und einen ganzen Batzen an Zweifel aus dem Weg räumt. Nach dem Kuss halte ich meine Augen einen Moment geschlossen, um mir ihre Worte immer wieder durch den Kopf gehen zu lassen und zu verinnerlichen. Wie eine Droge schießt das Gefühl puren Glückes durch meine Blutbahn. Erst ihre sanfte Berührung reißt mich raus. Ihr Blick so liebevoll, aber abwartend und ein wenig verwirrt.
»Ich liebe dich auch«, kann ich es endlich sagen. »Und ich will, dass das mit uns funktioniert.«
»Das will ich auch.«
»Du musst ehrlich zu mir sein.«
»Was willst du wissen?«, fragt sie sanft und verdeutlicht, jetzt gewillt zu sein, mir all meine Fragen zu beantworten.
»Warum sitzt Johnny in Haft?«

Jolene (+ Cait)Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin