59.

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Rumänien. Es dauerte keine Woche, da war ich schon wieder drin im Geschehen und es war tatsächlich so, als wäre ich nie weg gewesen. Die meisten Kinder kannten mich noch und Avram und Caterina konnten extrem viel mit den Spendengeldern und der Aufmerksamkeit anstellen, die sie durch meine Reportage bekamen. Aber vor allem fühlte ich mich wohl und sicher bei ihnen. Das mag zwar komisch klingen, aber an diesem Ort wurde ich noch nie enttäuscht, hatte ich noch nie schlechte Erinnerungen gesammelt. Und das war genau was ich brauchte.
Die ersten zwei Monate gingen herum wie im Flug, aber je näher die Heimreise kam, desto ein komischeres Bauchgefühl entwickelte sich in mir und desto häufiger wurden Romans Anrufe die ich stets ignorierte. Schließlich brauchte ich noch ein wenig, um den Kopf frei zu bekommen, denn selbst beim Fußballspielen wurde ich an Dortmund und an Roman erinnert. Aber es war ein schönes Gefühl. Schließlich liebte ich ihn vom ganzen Herzen. Ich glaubte mittlerweile eher, dass ich genau davor Angst hatte. Ich hatte das Gefühl es nicht wert zu sein, so einen tollen Mann an meiner Seite zu haben und von ihm geliebt zu werden. Den ganzen Kram dann Roman in die Schuhe zu schieben war nicht wirklich fair von mir. Trotzdem hatte ich einen Grundsatz: Keine Telefonate. Ohne ihm zu schreiben konnte ich dann aber trotzdem nicht und ich glaube, hätte ich das nicht getan wäre er schon glatt drei Mal hier gewesen.

Zwei Wochen vor dem Ende meiner Zeit dort, feierte ich zusammen mit Avram und Caterina meinen 25. Geburtstag. Abends gingen wir schick Essen, davor besichtigten wir die berühmte Burg der Dracula-Legende Bran und bummelten in der Stadt. Mein Smartphone stellte ich vorher aus. Diesen Tag wollte ich ohne die typischen Happy-Birthday-Anrufe genießen. Ich hatte keine großartige Lust mit meiner Mutter zu reden oder gar mit meinem Vater, bloß um mich erneut ihren Vorwürfen zu stellen wie ich denn nur meine eigene Schwester vor Gericht zerren konnte. Womöglich würde auch noch meine Schwester einen scheinheiligen Versuch wagen, aber nein. Nicht mit mir.  Dieser Tag gehörte mir, nur mir.

Erst am Abend als alle schliefen, obwohl es noch dämmerte und die Sonne noch nicht einmal untergegangen war, machte ich mich auf dem Weg zum Strand und vergrub meine Füße in dem abgekühlten Sand. Kurz nachdem ich vorsichtig mein Smartphone einschaltete, leuchtete es auch schon auf. Ich drückte auf den grünen Hörer und Bellas Grinsen strahlte mir bei einem Videoanruf entgegen: "Na du? Happy Birthday! Ich dachte schon du nimmst nicht ab, meine Nachrichten kamen den ganzen Tag nicht durch. Wie fühlst du dich mit 25?","Danke.Ich habe es gerade erst angeschaltet. Anders fühle ich mich nicht. Nur wieder ein Jahr näher an die 30." scherzte ich und hörte, dass auch aus dem Lautsprecher ein leises Lachen ertönte. "Wo bist du?","Am Strand","Sag mal gibt es keinen Friseur in Rumänien der dir endlich mal den Ansatz wieder blondieren kann?" scherzte sie frech. Ich grinste: "Ne, zumindest keiner meines Vertrauens. Aber bald bin ich ja wieder Zuhause.","Stimmt. Da freut sich Roman bestimmt. Der arme verwahrlost momentan ein wenig, aber morgen schicke ich ihn mal mit Marco zum Friseur, Papa fragt schon was mit dem los ist. Nicht das die Chefetage wieder einen lauten macht. Ansonsten geht's ihm aber ganz gut. Ich soll dir von ihm auch Herzlichen Glückwunsch sagen, er meinte du würdest seinen Anruf sowieso nicht annehmen.","Danke, dass du ein wenig auf ihn achtest.","Alles gut. Ist kein Meisterwerk. Du siehst aber im Gegenteil zu ihm echt toll aus. Richtig fit.","Ja, hier wird man auf Trapp gehalten, dabei könnte ich alles was ich finde in  mich hinein stopfen." lachte ich. Skeptisch zog sie dann ihre Augenbrauen hoch, lächelte mir dann aber auch zu. "Du solltest Roman wirklich anrufen. Er würde sich freuen.","Ich weiß, so sehr ich auch möchte, ich kann nicht. Es ist nicht so, dass ich nicht mit ihm reden möchte, bloß ich glaube nachdem ich seine Stimme gehört habe würde ich den nächsten Flug nehmen, um zu ihm zu fliegen.","Aber wenn du es willst dann mach es doch?","Das geht nicht so leicht, ich arbeite hier ja auch. Meinen Artikel muss ich bevor ich in einer Woche nach Hause gehe mindestens zwei Tage vorher zum Korrekturlesen abgegeben haben. Ich hänge ganz schön hinterher und ein drittel vom Gehalt würde auch flöten gehen. Ich habe ja auch einen Vertrag unterschrieben.","Oh man. Naja, ich verstehe was du meinst.","Wenn irgendetwas wäre, er krank ist oder sonst etwas schlimmes passiert, würde ich den nächsten Flieger nach Dortmund nehmen. Aber nicht, weil ich Heimweh habe oder ihn vermisse.","Das würde er auch genauso sehen. Ich versuche ja nur an dich zu appellieren. Ich möchte, dass du weißt das ihr beide leidet und ich bin froh, dass es in spätestens einer Woche vorbei ist und ich Marco wieder ein bisschen öfter für mich habe.","Wieso? Was hat das mit Marco zutun?","Die Jungs haben sich dazu entschlossen, sich um Roman zu kümmern. FIFA-Abende, Essen gehen, chillen und was weiß ich nicht alles.","Das tut mir echt total leid, alles nur wegen mir.","Ach quatsch. Jeder muss seinem Job nachgehen und dafür auch mal verreisen. Das versteht keiner besser als ein Profifußballspieler." lächelte sie. 
Mittlerweile wurde es immer dunkler, ich konnte schon ein paar Sterne am Himmel erkennen. Während der Bildschirm immer heller wurde und meine Augen brannten vom grellen Licht, wurde die Bildqualität des Videoanrufes immer schlechter. Ich befürchtete mein letztes Datenvolumen für diese drei Wochen pfeifte aus dem letzten Loch und räusperte mich: "Ich muss jetzt auflegen. Morgen ist wieder ein Ausflug in die Stadt angesagt mit den Kids. Die letzte große Aktion bevor ich gehe.","Alles gut. Hören wir voneinander?","Natürlich, ich rufe dich die Tage mal an." Bella nickte am anderen Ende des Hörers und winkte mir zu. Ich winkte zurück, drückte dann meinen Daumen auf den roten Knopf und seufzte. Es wurde still, mein Blick fixierte das Meer und ich dachte für ein paar Sekunden lang an nichts, bis ich in Gedanken das Gespräch mit meiner besten Freundin Revü passieren ließ. 
Sollte ich mich wirklich fragen, ob meine Entscheidung weg zu gehen das richtige war?

Der KeeperWo Geschichten leben. Entdecke jetzt