Neunundzwanzig

36 2 0
                                    

-   Rumin   -


Ich begreife immer noch nicht, was hier vor sich geht, doch als ich sehe, wie Eila erneut anfängt zu schwanken, verschiebe ich die Fragen, die mir durch den Kopf gehen auf später und hebe sie kurzerhand hoch.

Einen kurzen Moment überlege ich noch, doch dann setze ich mich entschlossen schnellen Schrittes in Bewegung und versuche Eila dabei so ruhig wie möglich zu halten. Zum Glück ist es so spät, dass wir niemandem begegnen, bis wir am Torhaus vorbeikommen. Revelin, der heute Nacht Wache hat, schaut interessiert zu uns herüber, doch er stellt wie üblich keine Fragen. Entlang der Mauer gelangen wir kurz darauf ins Wohngebiet und ich eile die nächtlichen Gassen entlang. Eila ist nicht besonders groß und dementsprechend auch verhältnismäßig leicht, doch ich bin froh, als das Haus am Ende des Platzes in Sicht kommt. Das Mädchen in meinen Armen stöhnt leise auf und ich ertappe mich dabei, dass ich sinnlose Worte von mir gebe, um ihr zu versichern, dass alles gut wird. Oder, um mich selber davon abzuhalten, genauer darüber nachzudenken, was ich hier tue.

Die Tür unseres Hauses öffnet sich zum Glück, wenn ich mich mit dem Rücken dagegen lehne. Heute Abend bin ich froh, dass meine Mutter die Angewohnheit hat zu warten, bis ich nach Hause komme, denn sie springt sofort auf, als sie sieht, was ich mitbringe und erfasst die Situation mit geübtem Blick.

„Leg sie auf das Lager in der Nische", sagt sie ohne weitere Fragen zu stellen, während sie in die Küche eilt und Wasser sowie saubere Lappen holt.

So sanft es mir möglich ist, lege ich Eila auf dem Bett ab und ziehe mich danach unbeholfen auf einen Stuhl in der Ecke zurück, um meine Mutter ihre Arbeit machen zu lassen. Sie fängt an, die Wunde am Kopf zu säubern und zu versorgen und erst, als sie damit zufrieden erscheint, wendet sie sich mir zu. „Was ist passiert?"

Ich richte mich auf und hebe die Schultern. Was soll ich darauf sagen, ich weiß ja nicht, was geschehen ist. „Wahrscheinlich ist sie gestürzt. Ich habe sie so gefunden und sie konnte sich nicht erinnern."

Mutter gibt sich damit zufrieden. „Ich denke, es ist eine Gehirnerschütterung, aber nichts, womit wir nicht fertig werden." Sie beugt sich erneut über ihre Patientin und streicht ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht. „Ein bisschen Schlaf wäre jetzt gut, nicht wahr?"

Ich meine ein winziges Lächeln in Eilas Gesicht zu erkennen, bevor ihre Züge sich entspannen.

„Ich bleibe heute Nacht hier unten. Danke für deine Hilfe", sage ich zu meiner Mutter.

Wir wissen beide, dass es nicht nötig ist, die Nacht über Eila zu wachen, aber Mutter lächelt mich nur liebevoll an. „Natürlich."

„Ich konnte sie doch nicht da liegen lassen."

Meine Mutter mustert mich mit undurchdringlichem Blick. „Es ist gut, dass du sie hergebracht hast, Rumin."

Schlammbuch - Aufbruch der Elemente [überarbeitet, abgeschlossen]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt