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Das nächste, was ich mitbekomme, als ich wieder zu mir kam war, dass mich jemand auf seinen Armen trägt. Langsam dämmert mir wieder, was vorgefallen war. Die Party, Jacob, der Pool, das Wasser. Ich dachte wirklich, ich würde sterben. Irgendjemand muss mich herausgeholt haben. Ich hätte mich auf das ganze nicht einlassen sollen. Kraftlos reibe ich mir die Augen und schaue mich dann um, wobei ich alles etwas verschwommen wahr nehme. Ich liege in den Armen von Harry. 

„Sam, hörst du mich?" Harry beugt sich über mich. Mit zusammengekniffenen Augen nicke ich, er ist so verschwommen und seine Stimme scheint so weit weg. Er trägt mich zu einem Auto, wahrscheinlich seiner Limousine und setzt mich dort ab. „Wir sollten erst die nassen Klamotten ausziehen, damit du nicht krank wirst" meint er daraufhin überlegend. Die nasse Kleidung bemerke ich erst jetzt, das erklärt aber, warum mir kalt ist. Harry ist auch total nass, wahrscheinlich war er derjenige, der mich herausgeholt hat. Ein Wassertropfen, der von Harrys lockigem, nassen Haar kommen muss, tropft auf mich, als er sich über mich beugt und mir meinen Pullover ausziehen will. Dann stutzt er aber. „Darf ich?" fragt er vorsichtig. Ich nicke, weil ich nicht weiß, ob mir überhaupt ein Ton entfahren würde. Der Schock sitzt noch zu tief. 

Er zieht mir meinen Pulli über den Kopf. Nun sitze ich nur noch im BH vor ihm, was mir schon etwas unangenehm ist. Harrys Augen weiten sich und er lässt sie kurz über mich gleiten. Irgendwie genieße ich jetzt doch dass Gefühl von Harrys intensivem Blick auf mir und ich deute es so, dass ich Harry anscheinend gefalle oder er mich zumindest attraktiv findet, schließlich fahren seine Augen immer noch meinen Körper entlang. Wobei ich mich innerlich schlagen könnte, da meine BH Wahl heute nicht die beste war. Er ist knall pink, stelle ich beschämt fest. Ich nehme mir ganz fest vor, demnächst neue und anständigere Unterwäsche zu kaufen. Glücklicherweise sagt er dazu nichts, es scheint ihn aber zu amüsieren, denn er beißt sich auf die Lippe, um nicht zu grinsen. Dann schließlich reist er seinen Blick von meinen Brüsten los und rubbelt stattdessen mich mit einem Handtuch trocken. Auch das fühlt sich toll an und löst leichte Gänsehaut in mir aus. Danach zieht er mir einen seiner Pullis über, den er im Kofferraum hatte. „Ich muss noch kurz was klären, bin gleich wieder da." Mit diesen Worten lässt er mich alleine zurück und ich blicke mich panisch um. Hoffentlich ist Jacob nicht in der Nähe.

Als er zurückkommt, ist einige Zeit vergangen. Er setzt sich neben mich in die Limousine und gibt seinem Fahrer zu verstehen, dass er losfahren soll. Keine Ahnung ob er mich jetzt nach Hause bringt oder wieder mit zu sich nimmt, darüber möchte ich mir jetzt aber keine Gedanken machen.

„Danke" sage ich zitternd, der Schock sitzt immer noch zu tief. Er erwidert nichts und schon wieder sitzen wir schweigend da.

"Ich reite dich immer in die Scheiße rein" bricht er die Stille, meidet aber meinen Blick. Nervös spielt er mit seinen Fingern. "Ich hätte dich nicht hierher mitnehmen sollen, ich wusste ja, dass manche Jungs hier scheiße sind und nur auf das eine aus sind. Ehrlich gesagt gehörte ich auch immer zu diesen Jungs" 

"Und was hat deine Meinung geändert?"

"Ich hätte dich nicht alleine lassen sollen. Es tut mir leid." weicht er meiner Frage aus. Ich werde ihn nicht bedrängen. Zum ersten Mal seit dem wir in das Auto gestiegen sind, schaut mich Harry wieder direkt an.

Schweigend schaue auch ich ihn an. Moment.. Seine Lippe ist aufgeschlagen und seine Faust blutet. Hat er sich etwa geprügelt?

„Harry, hast du dich geprügelt?" frage ich entsetzt.

Er wendet den Blick wieder ab. „Das ist egal."
"Nein ist es nicht. Bitte sag mir, was passiert ist." fordere ich ihn auf.

„Nur wenn du mir das von eben erklärst." 

„Okay.. Was willst du wissen? Dieser Typ, Jacob, wollte mich ins Bett zerren und weil ich mich geweigert habe, ist er mir gefolgt. Daraufhin hat er mich in den Pool geschubst. Ich kenne diesen betrunkenen nicht, aber du schon." stelle ich fest.

„Das weiß ich. Aber wieso?"

„Was wieso?"

„Wieso hast du dich nicht versucht zu retten? So als wolltest du untergehen und sterben. Wieso?" fragt Harry sichtlich verwirrt.

„Ich möchte nicht sterben" sage ich ehrlich.

„Wieso hast du dir dann nicht selbst geholfen? Was wäre, wenn ich nicht rechtzeitig gekommen wäre? Dann wäre das ganze viel schlimmer ausgegangen" letzeres spricht er ziemlich leise aus.

„Ich konnte nicht." Weiter kann ich nicht erzählen. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt dazu.

„Du musst es mir nicht sagen Sam. Es ist okay." sagt Harry, als er merkt, wie sehr mich dieses Thema belastet. Dabei wirkt er aber ziemlich enttäuscht. Vermutlich, weil es so aussieht, als würde ich ihm nicht vertrauen. Dabei vertraue ich ihm mehr als jedem anderen auf dieser Welt, er hat jetzt schon zwei mal mein Leben gerettet.

"Es sollte nicht zur Gewohnheit werden, dass du mein Leben rettest." witzele ich. Harry lächelt, wobei es seine Augen nicht erreicht. 

"Möchtest du darüber reden?"

„Nein, tut mir leid. Über manche Dinge kann man einfach nicht reden. Das würde einen nur zerbrechen." sage ich. Ich kann es einfach nicht tun, es schmerzt zu sehr. Er nickt nur schweigend, scheint es zu akzeptieren, obwohl er über meine Antwort nicht besonders erfreut ist.

Weitere Minuten verstreichen, während wir schweigend in der Limousine sitzen.

„Es war vor 6 Jahren, an einem schönem Sommertag" breche ich die Stille. Harry sieht mich mit großen Augen überrascht und abwartend an. „Meine Eltern, meine Schwester und ich beschlossen, eine kleine Bootstour zu unternehmen. Wir hatten oder haben eigentlich immer noch ein eigenes Boot. Mein Vater hat sich immer sehr dafür interessiert, für diese verdammten Boote. Gegen Abends kam ein starkes Gewitter und das Boot kenterte. Meine Eltern.." ich komme nicht weiter. Ich beginne zu schluchzen. Es ist mir gerade egal, dass Harry das alles mitbekommt. Tränen laufen meine Wangen hinab. Ich versucht immer stark zu sein, nichts an mich heranzulassen. Wer keine Gefühle zulässt, kann auch nicht verletzt werden. Erst durch Harry kamen Gefühle in mir zum Ausdruck, die ich seit Jahren nicht mehr gespürt habe. Normalerweise ist es mir peinlich, wenn mich jemand im Moment der Schwäche erwischt, bei Harry jedoch nicht. Bei ihm fühle ich mich nur geborgen.

Hilflos umarmt mich Harry, sichtlich überfordert.

„Meine Eltern haben das ganze nicht überlebt." schluchze ich. „Seitdem habe ich panische Angst vor Wasser" gebe ich schlussendlich zu.

Er drückt mich enger an sich. Er ist mein Anker, ohne ihn würde ich jetzt untergehen.

Ich erlaube mir seit Jahren keinen Gedanken an meine Eltern, geschweige denn an diesen Tag. Noch nie habe ich mit jemanden darüber geredet. Ich habe alles verdrängt, in mich aufgesaugt. Jahrelang Abends still vor mich hingeweint. Es tut gut, alles mal rauszulassen.

„Ich habe mich mit Jacob geprügelt. Er war derjenige der dich in den Pool geworfen hat." offenbart sich jetzt auch Harry. "Oh Sam, wenn ich das alles gewusst hätte, hätte ich dich da nie hingeschleppt oder zumindest dich nicht alleine gelassen. Und ich hätte dich nicht in die Nähe des Pools gebracht" seufzt er. Er wirkt traurig, gibt sich die Schuld an alldem.

„Es ist nicht deine Schuld. Warum hast du dich geprügelt?"

„Ich konnte diesen Gedanken nicht ertragen, dass dir jemand weh getan hat. Wie ich dich da in meinen Armen hielt und in deinen Augen die komplette Panik gesehen habe, da hat sich etwas in mir zusammengezogen." sagt er vollkommen wütend. „Der Nebeneffekt von Alkohol" scherzt er. Ich schätze, wir können beide nicht über ernste Themen sprechen. 

Ich bin jede Form von Gewalt und finde es nicht schön, dass sich Harry geprügelt hat. Das ich der Grund dafür war, finde ich noch schlimmer. Trotzdem: Harry hat sich Sorgen um mich gemacht. Ein warmes Gefühl macht sich in mir Breit. Wüsste ich es nicht besser, würde ich sagen, dass da ganz viele Schmetterlinge flattern. Aber das tun sie nicht. Soweit darf es nie kommen. Wir könnten niemals zusammen sein. Dazu bin ich viel zu viel in der Dunkelheit gefangen und ich möchte nicht noch jemanden da mit hereinziehen. Diesen Fehler habe ich in der Vergangenheit gemacht und wird sich nicht wiederholen.
Ach und der Vertag erlaubt es nicht.

Adore youWhere stories live. Discover now