47|gut miteinander funktionieren

5K 265 71
                                    

Avery

Die Musik legt wieder los und Lydia füttert mich mit dem ersten Bissen des Kuchens, dass wir beide lachen müssen.
„Ist das hier zu einer Hochzeit mutiert, oder was?", fragt Logan irgendwo hinter mir, doch Lydia und ich lassen uns nicht davon irritieren.
„Ich bin die glücklichste Person auf dieser Welt, denn ich habe dich, die wundervollste Frau überhaupt, als beste Freundin.", sagt sie leise, dass nur ich es hören kann und mein Lächeln bröckelt ein wenig bei dem ernsten Ton, den sie trotz des verspielten Lächelns, anschlägt.
Ich muss ihr die Sache mit Mason sagen. Ich kann es nicht länger vor ihr verheimlichen.
Ich kriege einen Teller mit Kuchen auf die Hand gedrückt und die anderen bedienen sich daran, als ich ausweiche und mich dazu entscheide mich für einen Moment in mein Zimmer zu verkriechen. Niemand bemerkt es, als ich in mein Zimmer gehe, den Kuchen auf meiner Kommode ablasse und auf die Feuertreppe steige.
Als ich mich hinsetze und meine nackten Beine den kalten Stuhl berühren, fahre ich zusammen und schüttle mich einmal. Ich sollte besser eine Jacke nehmen, doch ich bleibe sitzen und beginne die Sterne oben am Himmel zu zählen, doch komme nicht allzu weit, weil ich unterbrochen werde.
„Die Sternenhüterin ist wieder voll am Gange.", scherzt jemand, dass ich mir über die Schulter sehe und Mason bemerke, der durch mein Fenster gestiegen kommt. Er schaut sich um und als er feststellt, dass es keinen weiteren Stuhl gibt, setzt er sich unbeirrt auf den Boden und lässt die Beine durch das Geländer baumeln.
„Warum bist du nicht drinnen?", fragt er und ich zucke mit den Schultern.
„Ich wollte nur einen Moment Ruhe. Ich gehe gleich wieder rein."
„Ich dachte du würdest dich hierüber freuen." Ich schaue zu ihm herunter und betrachte sein Seitenprofil im dämmernden Mondlicht.
„Hast du das etwa in die Wege geleitet?", hake ich nach, doch er schüttelt den Kopf.
„Es war wirklich Lylis Idee. Ich habe nur ihre Drecksarbeit erledigt." Leise lache ich und drehe mich etwas mehr in seine Richtung, um ihn besser ansehen zu können. „Was soll das denn heißen?"
„Das heißt, dass ich stundenlang die Dekoration kaufen gegangen und mit Logan den Alkohol besorgen bin. Nate und Meggie haben die Torte besorgt und ich habe währenddessen die Möbel wie ein Knecht weggeräumt, während Lydia mich herumkommandiert hat, ohne einen Finger zu rühren. Zum Glück sind mir Dean und Dylan irgendwann zur Hilfe geeilt und Kyle hat Lydia fortgebracht, sonst hätte ich sie erwürgt.", erzählt er und ich muss bei der Vorstellung schmunzeln. Mason hebt seine Arme leicht an. „Ich spüre die beiden schon seit Stunden nicht mehr."
Am liebsten würde ich meine Arme um ihn legen und die versäumte Umarmung von vorhin nachholen, aber ich habe Angst, dass uns jemand sehen könnte, also bleibe ich wo ich bin.
„Das ist wirklich lieb. Danke."
„Gern geschehen."

Ich schaue wieder hoch in die Sterne, doch zähle sie nicht weiter, sondern seufze und betrachte die funkelnden Diamanten am Himmel.
„Ich will es Lydia sagen.", flüstere ich und einen Moment ist es still zwischen uns. Ich frage mich, was er gerade denkt. Ob er es für eine schlechte Idee hält? Doch er hat so behauptet, dass es Lydia egal wäre.
„Soll ich dabei sein?", fragt er und ich schüttle den Kopf. „Ich will mit ihr alleine reden." Nun seufzt Mason und stützt sich mit seinen Händen nach hinten ab. „Ich denke immer noch es wäre ihr egal." Das hoffe ich, doch ich bin mir da nicht so sicher. Der Sex ist ihr möglicherweise egal, aber dass wir es ihr nicht gesagt und es ihr so lange verheimlicht haben? Wir hätten es von Anfang an sagen sollen. Doch ich wollte nicht, dass es real wird. Dass andere sich einmischen und es zu etwas Größerem machen.
„Avery?"
„Ja?" Er zögert zu reden.
„Die Sache, die du mir letztens gesagt hast..." Ich überlege und sehe wieder zu ihm. „Was genau meinst du?" Jedoch habe ich eine Ahnung, wovon er spricht. Ein erbärmlicher Teil von mir will es nur hinauszögern.
„Deine... Unfruchtbarkeit.", murmelt er leise und schaut mich nicht an, dass auch ich den Blick wieder abwende. „Ach so." Mason verstummt und ich streiche mir über meine Beine, weil mir so eisig kalt ist. Jetzt noch mehr, weil ich über etwas rede, das ich immer zu ignorieren versucht habe.
„Es ist eine angeborene Fehlbildung meiner Gebärmutter.", beginne ich zu erzählen und versuche nicht allzu viel davon preiszugeben,„Ich wurde einmal operiert, aber es hat nichts im Bezug auf das Problem mit meiner Fruchtbarkeit getan. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemals schwanger werde ist nicht gleich Null, aber sehr gering. Meine Ärzte haben mir geraten davon auszugehen, dass ich keine leiblichen Kinder haben werde und ich habe mich mittlerweile damit abgefunden." Nein, das habe ich nicht. Nicht ganz.
Mit dreizehn habe ich gesagt bekommen, dass da etwas nicht stimmt und ich habe tage- sogar wochenlang nichts anderes getan, außer geweint, aber es hat meine Welt nicht maßlos zerstört, weil ich nicht wirklich darüber nachgedacht habe Kinder zu bekommen. Ich war selbst ein Kind. Dennoch habe ich um die Zukunft getrauert, die ich niemals bekommen würde. Ich habe mich und meinen Körper dafür gehasst, dass es so ist. Es ist angeboren, es gab keinen Moment, in dem ich es hätte verhindern können. Je älter ich wurde, desto mehr hat es mich belastet. Ich habe mir vorgestellt wie es wäre ein Kind zu haben, es anzusehen und meine Augen oder irgendwas anderes von mir an ihm zu sehen, was die reinste Qual war, denn es wird niemals geschehen. Ich hatte Angst den Tatsachen ins Auge zu blicken und es schmerzt immer noch. Denn, dass ich keine Kinder kriegen kann, bedeutet, dass mir ein Stück meiner Weiblichkeit verwehrt geblieben ist und ich musste immerzu daran denken, wie es mich einschränkt. Welcher Mann würde bei mir bleiben? Ich kann niemandem Kinder schenken und wer würde seine Träume eigener Kinder für mich aufgeben?
„Weiß jemand außer mir davon?", fragt Mason leise und ich blinzle gegen die Tränen, die in meine Augen getreten sind, an.
„Meine Eltern.", schnaube ich und kann ein Augenrollen nicht verhindern,„Aber es hat sie nicht interessiert. Sie waren ein paar Tage für mich da und dann war es vom Tisch. Als wäre es vorbei und ich könne es plötzlich doch." Ich hätte meine Eltern gebraucht, aber sie waren nicht da. Meine Mutter hat mich getröstet und stundenlang in ihren Armen gehalten, aber nur für zwei Tage. Ich erinnere mich genau daran, denn sie hatten Monate vorher eine Geschäftsreise geplant, die sie nicht abgebrochen haben und sind gegangen. Als sie wiederkamen, taten sie, als hätte ich sie nicht mit verheulten Augen und verstörenden Gedanken verabschiedet. Es hat mich total aus der Bahn geworfen und sie haben mich alleine gelassen. Weil ich auch alleine sein werde. Das war eine gute Übung für mein Leben.
„Es fällt mir mit dem Alter immer schwerer nicht daran zu denken.", gestehe ich ganz leise. Denn je älter ich werde, desto relevanter wird es. Ich weiß, dass ich irgendwann in meinem Leben einen Zusammenbruch erleiden werde. Wenn mein Muttergefühl mich überwältigt und ich es nicht hinkriege das zu bekommen, was mein ganzes Sein am meisten verlangt. Ich habe es immer verdrängt, weil ich mich nicht jetzt schon kaputt machen wollte. Ich habe versucht es von den positiven Seiten zu betrachten, denn meine Unfruchtbarkeit bedeutet auch, dass es zu keine ungewollte Schwangerschaft führen kann und bis heute wollte ich auch noch kein Kind.

ADDICTIVE PLAYOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz