KAPITEL EINS

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DIE DUNKLEN, regenverhangenen Wolken versprachen einen trüben Tag. Einen weiteren endlos trüben Tag, an dem es die Sonne nicht schaffen würde, mit ihren Strahlen die dichte Wolkendecke zu durchbrechen und ihnen etwas Wärme zu schenken. Doch brachten die tiefgrauen Wolken nicht nur drohenden Regen mit sich, sondern auch schwere Nebelschwaden, welche die Sicht einschränkten und wie ein Raubtier bedrohlich durch die Gassen schlichen. 

Und obwohl der Tag alles andere als einladend schien und man kaum bis zur nächsten Hauswand schauen konnte, lächelte Jeongguk, als er aus der Bäckerei nach draußen trat und tief durchatmete. Ihm kam die kalte Luft gelegen, sie verjagte die Hitze von seiner Haut, die sich beim Stehen am großen Ofen in ihm eingenistet hatte. Denn auch wenn er die Wärme mochte, die ihn jedes Mal umgab, sobald er auch nur einen Fuß in die Bäckerei seiner Familie setzte, so war ihm die Hitze des Ofens zuwider. Die Brandwunden an seinen Händen erinnerten ihn auch jetzt noch an die unnachgiebig züngelnden Flammen, die eigentlich die Brotlaibe aufbacken sollten, und nicht die zuvor unversehrte Haut des damals nur wenige Jahre alten Jeongguk verunstalteten.

Doch daraus hatte er gelernt. Ihm war nie wieder ein Laib Brot in die Flammen gefallen und falls es doch passieren sollte, würde er sich nun davor hüten, es aus der Glut ziehen zu wollen. Doch das waren Erfahrungen—wenn auch schmerzhafte—an denen man wuchs und aus denen man lernte. 

Aber weder die Tatsache, dass er sich hatte um die Brote im Ofen kümmern müssen, noch das verdrießliche Wetter waren ein Grund für Jeongguk, um das Lächeln auf seinen Lippen zu verlieren. Auch nicht, dass er hinauf bis zum Palast laufen musste—viel mehr war das der Grund, weshalb ihm die gute Laune anhaftete. Er war noch nie in der direkten Nähe des Palastes gewesen, ganz zu schweigen im Inneren. Der Palast der königlichen Familie lag nicht wie Taletia selber im Tal, sondern weiter oben in den Bergen. Dort, wo die dichten Wolken die Türme auch bei gutem Wetter umwoben und es zu jeder Jahreszeit so aussah, als würde im nächsten Moment die ersten Schneeflocken fallen. 

Es war ein atemberaubender Anblick, hinauf zum Palast zu schauen—vorausgesetzt der Nebel war licht genug, als dass man soweit schauen konnte. Dies war jedoch nicht der Fall, als sich Jeongguk mit den warmen Brotlaiben und Gebäck in seinen Taschen auf den Weg machte, um die Waren zum Palast hinauf zu bringen. 

Seine Eltern waren beinahe vor Stolz geplatzt, als sie gestern benachrichtigt worden waren, dass sie von nun an dafür zuständig sein würden, die königliche Familie mit ihren Broten und Gebäcken zu beliefern. Und auch Jeongguk hatte der Gedanke mit Stolz erfüllt—mit Stolz gegenüber seiner Familie, die mit so einer Ehre beschenkt worden war. Doch unter dem Stolz lag auch ein wenig Nervosität. Angst davor, dass der königlichen Familie ihre Brote nicht schmecken würden—dass sie nicht fein genug waren. Vielleicht waren sie anderes Mehl gewöhnt, besseres Getreide, als das, was seine Familie in der Bäckerei verwendete. 

Diese Unruhe begleitete Jeongguk, jedoch ließ er sich davon nicht das Gemüt trüben. Er würde eine Weile unterwegs sein—es dauerte einige Zeit, bis er den Weg hinauf bis zum Palast erklommen haben würde und seine Familie besaß kein Pferd oder Zugtier, mit den er den Weg hätte antreten können. Doch das störte ihn ebenso wenig. Er mochte es, durch die Straßen von Taletia zu ziehen, den Menschen zu begegnen, die er seit seiner Kindheit kannte, und dem Treiben zuzusehen, was in der Stadt herrschte. Denn auch wenn die Wolken und der Nebel schwer auf den Gassen lastete, so brummte dennoch das Leben in Taletia. Die Stimmen der Bewohner erreichten Jeongguk, bevor er sie im Nebel ausmachen konnte und jeder, der ihn zu Gesicht bekam, begrüßte ihn, so wie er es ihnen gleich tat. 

Jeongguk würde behaupten, dass er jeden kannte, der in Taletia lebte. Möglicherweise nicht mit Namen, denn so ungern er es auch zugab, konnte er sich Namen nur schlecht merken. Aber er hatte sie alle schon einmal in der Bäckerei gesehen und auch sie kannten ihn alle als den Sohn des Bäckers. So lief er durch die Gassen—das Brot wärmte ihn durch den Stoff der Tasche hindurch, als es mit der Zeit doch kälter wurde, während er die Leute begrüßte und langsam den Weg hinauf zum Palast erklomm. 

ICEBORN | ᵗᵃᵉᵏᵒᵒᵏWhere stories live. Discover now