KAPITEL ZWEI

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JEONGGUK KONNTE seinen Blick kaum von dem Blumenmeer losreißen, welches sich in unendlich scheinenden blauen Wellen vor ihm ausbreitete. Er war sich sicher, dass er jede Blumen- und Pflanzenart kannte, die in den weitlaufenden Bergen herum um Taletia wuchs und heimisch war—doch diese blauen Blumen hatte er noch nie gesehen. Ohne darüber nachzudenken, blieb er stehen und schaute hinab auf die bläulichen Blüten, die geformt waren wie Sterne. Was waren das für Blumen? Warum hatte er sie noch nie gesehen? Und wie kam es, dass sie trotz der kalten Jahreszeit zu einer solchen Vielzahl blühten und sich wie ein tobendes Meer vor dem Palast erstreckten? 

Jeongguk wollte die Wache, Dawon, danach fragen, doch ein Blick zu ihr genügte und er schlug sich diesen Gedanken unmittelbar wieder aus dem Kopf, auch wenn er sich sicher war, dass sie eine Antwort darauf haben musste. Man konnte unmöglich durch so ein Blütenmeer schreiten, ohne diesen sonderbaren, wenn auch wunderschönen Blumen seine Beachtung zu schenken. Der Kies unter seinen Stiefeln knirschte hörbar, als er sich schnellen Schrittes darum bemühte, Dawon wieder einzuholen, die ohne Rücksicht auf ihn einfach weiter gegangen war. Und als er das erste mal seine Aufmerksamkeit von den aberhunderten Blüten losriss und stattdessen nach vorne schaute, dort wo der Palast über ihnen aufragte, stockte ihm erneut der Atem. 

Es war eine Sache, den Palast aus der weiten Entfernung zu sehen—zwischen den Bergen prangend, mit den von Wolken umgebenen Türmen. Doch es war noch einmal etwas ganz anderes, plötzlich an dessen Fuße zu stehen und ihn vom nahen betrachten zu können. Der Palast war gewaltig. Diesen Eindruck machte er schon aus der Ferne, aber nun? Nun ragte er in die Endlosigkeit der Wolken hinauf vor Jeongguk auf. Mächtig, gar einschüchternd wirkte das Bauwerk und ein Schauer stahl sich über Jeongguks Rücken. Er konnte sich nicht vorstellen, wie viele Menschen dort drin leben mussten, um diese schier endlose Größe zu rechtfertigen. Denn es mussten da doch mehr drin leben als die Familie der Kims, nicht wahr? Jeongguk kam es so vor, als dass man in den Mauern des Palastes die ganze Stadt unterbringen könnte. Ganz Taletia!

»Ich habe doch gesagt, du sollst dich beeilen! Du bist weder hier um dir die Blumen anzuschauen, noch den Palast!« Dawons Stimme war schneidend und augenblicklich riss Jeongguk seinen Blick von den hohen Türmen los—es waren insgesamt fünf, die hinauf in die Wolken ragten und ihre Spitzen darin verbargen. Jeongguk wusste, dass es niemals dazu kommen würde, aber in ihm kam urplötzlich der Wunsch auf, hinauf in einen dieser Türme zu gehen und von dort hinab zu schauen. Man würde von da oben wahrscheinlich die ganze Stadt im Tal sehen können! Vielleicht sogar bis hinunter zum Hafen, dort wo die Schiffe anlegten! Ganz gleich wie weit man wohl sehen konnte—es musste atemberaubend sein. 

Doch dieser Ausblick würde Jeongguk nie vergönnt sein und das wusste der Junge auch. Stattdessen zog er bei Dawons schroffen Worten den Kopf ein und folgte ihr eilig. Zu ihrer Rechten befand sich ein breiterer Kiesweg, der sich durch die Blumen schlängelte, doch Dawon lief mit ihm zusammen über einen schmaleren, der zur Seite führte. Weg von der großen Treppe, die hinauf zu einer gewaltigen Flügeltür führte, auf die Jeongguk aber nur einen raschen Blick werfen konnte. Stattdessen liefen sie an der Gebäudemauer vorbei, bis sie schließlich vor einer Tür zum halten kamen, vor der eine weitere Wachen positioniert stand. Doch zu Jeongguks Erleichterung musste er sich dieses Mal nicht damit herum schlagen, denn sobald Dawon auf sie zu trat, schlug die Wache mit ihrer geballten Faust auf ihren Brustpanzer—dort wo sich Jeongguks Wissen nach das Herz befand—und öffneten wortlos die Tür. 

War diese Gestik üblich? Jeongguk hatte sie zuvor noch nie gesehen, aber andererseits bekamen sie die Soldaten aus dem Palast auch nicht so häufig zu Gesicht. Unten am Hafen befanden sich häufiger welche, doch dort unten war Jeongguk nur selten. Sie hatten im Gebiet des Hafens nur wenige Kunden aus der Bäckerei die sie belieferten, doch manchmal schickte ihn seine Mutter dorthin um frischen Fisch zu holen—sie vertraute nicht darauf, dass der Fisch auf dem Mark wirklich fangfrisch war, stattdessen ließ sie Jeongguk lieber einmal mehr laufen. 

ICEBORN | ᵗᵃᵉᵏᵒᵒᵏWhere stories live. Discover now