Nach dem Abendessen verzog sie sich in ihr Zimmer und sperrte die Tür ab. Sie wählte Francescos Nummer und lief ungeduldig in ihrem Zimmer auf und ab. Er hob nicht ab. Als nächstes rief sie Gabe an, doch auch er meldete sich nicht.

"Scheiße", flüsterte Katleen. Irgendetwas stimmte hier gar nicht. Sie hatten Glück gehabt, denn die Lagerhalle lief auf den Namen eines Toten, das bedeutete, dass niemand des Kartells direkt verdächtigt wurde. Trotzdem, jemand hatte einen Hinweis an die Polizei gegeben, den nur Mitglieder wissen könnten. Sie hatten einen Verräter in ihrer Mitte.

Katleen musste einfach wissen, was los war. Entschlossen schnappte sie sich ihren Autoschlüssel und verschwand mitsamt ihrer Waffe aus dem Fenster. Über die Feuertreppe gelangte sie nach unten. Mit dem Auto fuhr sie zu Francescos Haus und klopfte an der Türe, darauf bedacht, von niemandem gesehen zu werden. Niemand öffnete ihr. Es war auch kein Licht zu sehen. Schließlich kroch Kat zurück in ihr Auto und fuhr noch ein paar Mal um den Block, bevor sie sich dazu entschloss, im Bürogebäude zu suchen.

Sie parkte etwas weiter weg von dem Hochhaus und ging den restlichen Weg zu Fuß. Die Luft war warm und trocken, zum Glück weniger heiß als untertags. Katleen war nicht die einzige, die sich nachts durch Honolulu bewegte, was sie zum Glück weniger verdächtig machte. Sie begegnete Jugendlichen, die auf dem Weg zur nächsen Bar waren, ein paar Leuten, die zu ihrer Nachtschicht mussten, und jungen Pärchen, die einfach einen Spaziergang machen wollten. Als sie schließlich vor dem Bürogebäude stand, kamen in ihr Zweifel auf. Würde sie Francescos Büro leer auffinden, oder vielleich mit einer Leiche darin?

Wieder nickte Katleen der Frau am Empfang zu und fuhr mit dem Aufzug in den obersten Stock. Die Ebene war finster. Von draußen viel genug Straßenlicht durch die Fensterwände, dass Katleen auch kein weiteres Licht benötigte, um sich zurecht zu finden. So leise wie möglich schlich sie zu Francescos Büro und lauschte an der Flügeltüre, bevor sie einrat. Kein Geräusch. Der Raum war leer, keine Leiche. Einerseits war Kat erleichtert, andereseits vielen ihr kaum andere Orte ein, an denen Francesco sein könnte. Schließlich wandte sie sich zum Gehen um, als sie in ihrem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm. Sie fuhr herum und starrte angestrengt in die Dunkelheit. Jedoch entdeckte sie nichts. Katleen schüttelte den Kopf, als müsste sie eine schlechte Erinnerung verscheuchen. Bestimmt war das nur das Licht eines vorbeifahrenden Autos, das die Schatten erzeugt hat. Aber das Licht eines Autos im obersten Stock eines Hochhauses? Dann war es eben nur Katleens Paranoia, die nur darauf gewartet hat, ihr einen Streich zu spielen. Kat seufzte, verließ das Gebäude und fuhr wohl oder übel wieder nach Hause. Ihr Schlaf in dieser Nacht war unruhig und kurz, bis Katleens Wecker sie weckte. Die Arbeit rief.

"Oh Gott, was ist mit dir passiert?", fragte Jess, als sie Katleens verbundenen Oberarm betrachtete.

"Küchenunfall", antwortete Kat und erzählte ihrer Arbeitskollegin dieselbe Geschichte, die sie ihren Eltern erzählt hatte.

Da betrat ein Kunde das Geschäft und bestellte bei Jess einen Erdbeershake, den Katleen sofort zubereitete. Als sie dem Mann das Getränk überreichte, viel ihr ein großer, silberner Ring auf der rechten Hand des Kunden auf. Darauf waren geschwungene Linien zu sehen, die bei genauerem Hinschauen ein C bildeten. Kat überspielte ihre Verwunderung und ihre schlechten Gedanken mit einem Lächeln und blickte dem Mann wieder ins Gesicht. Er war ungefähr so groß wie Katleen und hatte eine etwas dünklere Hautfarbe. Seine schwarzen Haare waren ein klein wenig zu kurz. Als er den Shop wieder verließ, schaute die junge Frau ihm unbemerkt nach. Sobald er den Gehsteig betrat, griff er nach seinem Handy und wählte eine Nummer. Anschließend ging er weg.

Katleens Gedanken drehten sich den restlichen Tag um den Ring. Das C könnte für seinen Vornamen stehen, oder für den Namen seiner Frau. Aber ihre Paranoia flüsterte Katleen das Wort Cartwright zu. Aber warum ein Ring und kein Tattoo? Wieder schüttelte Kat die Gedanken weg. Vielleicht war nicht einmal ein C auf dem Ring, sondern einfach nur geschwungene Linien. Wieder tauchte Francesco in Kats Kopf auf. Wo zur Hölle war er?

In diesem Moment läutete ihr Telefon. So schnell wie noch nie hob sie ab und verschwand im Mitarbeiterkämmerchen.

"Gott, Francesco, wo sind Sie?", fauchte sie ins Telefon.

"Ich hatte ein paar persönliche Probleme", antwortete der Mann nach einer kurzen Pause. Katleen hörte keine Emotion aus seiner Stimmer heraus. Er log sie an, seinen Boss. Doch Kat tat so, als hätte sie die Lüge nicht bemerkt.

"Dann kümmern Sie sich um ihre Probleme. Haben Sie etwas von Gabe gehört?"

"Nein, Ma'am."

"Melden Sie sich, sobald Sie ihn irgendwie entdecken. Warum haben Sie mich angerufen?"

"Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass ich noch am Leben bin."

Katleen verdrehte die Augen. "Was für eine Erleichterung. Wenn es sonst nichts gibt, dann Tschüss." Sie beendete das Gespräch, bevor Francesco etwas antworten konnte. Sie war sauer auf ihn, und zwar so richtig. Er konnte nicht einfach verschwinden und sich fast zwei Tage nicht melden. Sowas hatte er noch nie getan. Katleen wusste, dass er ihr etwas verschwieg. Und sie würde herausfinden, was es war.

Kats Schicht war vorrüber und sie fuhr nach Hause, um ihren Vater schlafend auf der Couch zu finden. In seiner Hand war eine fast leere Vodkaflasche.

"Was zum Teufel, Dad?"

Kat eilte zu ihm und rüttelte John wach.

"Kat?", murmelte er und sie konnte den Alkohol deutlich aus seinem Atem riechen.

"Warum hast du dich betrunken?"

"Weiß nicht."

"Seit wann bist du schon zu Hause?"

"Weiß nicht."

"Warst du heute überhaupt arbeiten?"

"Weiß nicht."

Es war hoffnungslos. Katleen nahm ihrem Vater die Flasche weg und drückte ihm stattdessen ein Glas Wasser in die Hand. Da kam ihre Mutter durch die Türe und schlug sich die Hand vor den Mund als sie ihren betrunkenen Ehemann sah.

"Was ist passiert?", fragte sie geschockt.

"Er weiß es nicht", antwortete Kat. "Du brauchst ihn auch gar nicht zu fragen, er weiß nichts."

Zuerst redete Madeleine ruhig auf ihren Mann ein, doch als sie anfing, mit ihm zu schimpfen, schlich Katleen sich in ihr Zimmer. Die Stimmung war ihr eindeutig zu angespannt. Um zweiundzwanzig Uhr klopfte es plötzlich an ihrer Zimmertüre.

"Herein?"

Katleens Mutter öffnete die Türe leise und betrat den Raum.

"Wie geht es Dad?", erkundigte sich Kat.

"Er schläft", entgegnete Madeleine. "Er hat mir später noch gesagt, dass er mit dem Fall nicht weiterkommt und sein Chef ihn unter Druck setzt."

Katleen sah ihre Mutter mitleidig an. "Er steigert sich einfach nur in die Sache hinein, mehr nicht."

"Nein, Kat. Er war so glücklich, endlich eine wirklich wichtige Aufgabe zu bekommen, und es macht ihn fertig, keinen Erfolg zu haben. Er denkt, er muss seine Stadt vor den Bösen beschützen."

Katleen seufzte. "Vielleicht schafft er es ja irgendwann."

Play with FireWhere stories live. Discover now