6. Kapitel

29 7 4
                                    

Ein paar Tage waren vergangen nachdem bei uns eingebrochen wurde.
Kai hatte sich die zwei darauffolgenden Tage frei genommen und wie versprochen hatten wir nun eine Alarmanlage und generell hatten wir alles etwas einbruchssicherer gemacht.
Heute war der dritte Tag und Kai ging morgens wieder zur Arbeit.
In der Nacht des Einbruchs hatte ich mir vorgenommen, meine Medikamente nicht mehr einzunehmen und das tat ich auch. Sehr viel anders fühlte ich mich nicht, nur wacher. Es war schön, nicht mehr durchgehend müde und erschöpft zu sein. Die letzten zwei Tage war ich auch gemeinsam mit Kai spazieren.
Auch heute griff ich nach meiner Jacke und ging hinaus.

Die Tage wurden kürzer und der Wind kühler. Der Winter näherte sich, doch zuerst kam der Herbst. Diesen mochte ich besonders gerne, wenn sich die Blätter der Bäume verfärbten. Dann wurde die Natur und die Stadt farbenfroher.
Schon jetzt leuchteten die meisten Bäume in orange, gelb und rot. Nur noch vereinzelt gab es grüne dazwischen.
Als ich durch den Park ging war die grüne Wiese schon stellenweise von den bunten Blättern bedeckt. Gärtner rechten sie zusammen zu großen Haufen am Rand von den Gehwegen.
Als Kind bin ich immer gerne in diese farbenfrohen Haufen gesprungen und meine Mutter hatte immer Sorgen, dass darunter möglicherweise etwas war, an dem ich mich verletzen könnte. Glücklicherweise ist nie etwas passiert.
Das kindliche Bedürfnis, in die Blätter zu springen war noch immer in mir, doch ich konnte es gut ignorieren, schließlich war ich nun eine erwachsene Person und kein kleines Kind mehr. Wie würde das aussehen, wenn ich jetzt dort hineinspringen würde?
Kurz schmunzelte ich bei der Vorstellung und setzte meinen Weg dann zügig fort. Heute war es besonders kalt, obwohl die Sonne schien. Auf dem Boden gab es schöne Schattenspiele und als ich meinen Blick hob, sah ich, wie die Sonne die gelben Blätter erleuchten ließ wie Gold.
Begeistert von dem Anblick blieb ich für einen Moment stehen. Meine Hände steckte ich tief in die Taschen meines Mantels, doch schnell gelang die Kälte auch in diese tiefen Taschen und fror meine Fingerspitzen ein.
Seufzend beschloss ich, meinen Spaziergang zu beenden und nach Hause zu gehen.

Dort wollte ich mich mit einer heißen Tasse Tee aufwärmen und während das Wasser kochte, schaute ich gedankenverloren durch das Fenster hinaus.
Aus der Küche hörte ich das vertraute Geräusch, dass das Wasser fertig gekocht war. Also stand ich auf um in die Küche zu gehen. Doch als ich in der Küche war hörte ich ein Geräusch, das mich erstarren ließ. Es klang als ob jemand auf dem Balkon stand und hinein wollte. Ein kalter Schauer fuhr über meinen Rücken und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Die Polizei hatte den Einbrecher noch nicht gefangen. Was war also, wenn er wiedergekommen war um sein Werk zu beenden?
Meine Hände zitterten und der Tee in der Tasse meiner Hand schwappte etwas über.
Nun stand ich mitten in der Küche mit der Teetasse in meiner Hand und unfähig, mich zu bewegen.
Die Geräusche waren weg, doch ich war mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht war. Vielleicht war er wieder in der Wohnung? Wir hatten zwar alles sicherer gemacht, doch ein Profi würde doch sicherlich trotzdem hineingelangen, oder nicht?
Eine gefühlte Ewigkeit stand ich so da und achtete auf jedes noch so leise Geräusch. Doch es war rein gar nichts zu hören bis auf meinen Herzschlag, meiner Atemzüge und das Ticken der Uhr. Leicht entspannte ich meine Schultern und wollte meinen Weg ins Wohnzimmer fortsetzen, als ich wieder etwas hörte. Lauter als zuvor und es klang so, als würde er gegen die Scheibe der Balkontür schlagen.
Vor Schreck ließ ich die Tasse in meinen Händen los und sie zersprang in viele kleine Teile auf dem Boden. Der kochendheiße Tee brannte auf meinen Beinen und Füßen. Fluchend sprang ich zurück. Der Tee sollte eigentlich meine Waffe sein. Wenn jemand in der Wohnung war und plötzlich vor mir stand, wollte ich ihn der Person ins Gesicht schütten. Doch daraus wurde nun nichts mehr.
Bevor ich aufräumte sammelte ich meinen Mut zusammen und schnappte mir ein großes Messer aus der Küchenschublade. Mit diesem schlich ich ins Wohnzimmer. Zum Glück war es draußen noch hell, so sah ich schnell, dass niemand auf dem Balkon war. Leise schlich ich durch alle Räume und umklammerte das Messer fest mit beiden Händen, bereit es als Waffe einzusetzen.
Es stellte sich heraus, dass keiner außer mir hier war, was mich erleichtert durchatmen ließ. Ich schaute selbst auf dem Balkon selber nochmal nach, doch es gab nicht ein einziges Anzeichen, dass jemand hier war. Sicherheitshalber schaute ich auch nochmal hinunter. Schließlich gab es auch genug Geschichten, in denen ein Einbrecher am Geländer hing und sobald sich der Hausbesitzer umdrehte, ihn niederschlug. Doch auch da hang niemand und ich konnte beruhigt hineingehen.

Das Messer legte ich zurück in die Schublade und dann räumte ich endlich auf. Die Scherben lagen auf dem gesamten Küchenboden verteilt. Sorgfältig fegte ich alle zusammen und schmiss sie in den Müll. Dabei wurde mir erst so wirklich klar, dass ich mir alles nur eingebildet hatte.
Betrübt kochte ich einen neuen Tee und beschloss Kai nichts von der Sache zu erzählen. Sollte er die Scherben im Müll sehen konnte ich immer noch sagen, die Tasse sei mir aus der Hand gerutscht oder so. Sowas konnte nunmal passieren.
Mit meinem neuen Tee setzte ich mich wieder ins Wohnzimmer auf die Couch und schaltete den Fernseher ein, um mich abzulenken. Aber ich konnte mich nicht wirklich darauf konzentrieren.

Als Kai nach Hause kam, begrüßte er mich wie immer und nachdem er sich umgezogen hatte, setzte er sich zu mir auf die Couch. Augenblicklich schmiegte ich mich an ihn und atmete seinen Geruch ein. Liebevoll strich er über meinen Rücken und drückte mich etwas an sich.
Ich erkundigte mich nach seinem Tag und er fragte mich dann wie es mir ging. Wir redeten ein bisschen bevor wir gemeinsam in die Küche gingen um Essen zu machen.
Den Vorfall erwähnte ich mit keinem Wort, wie ich es mir vorgenommen hatte. Er hätte sich sowieso nur Sorgen gemacht. Man sah keine Scherben oder ähnliches mehr auf dem Boden, also hatte ich doch alles gut aufgefegt. Ihm schien auch nichts ungewöhnliches aufzufallen.

Der Abend verlief ereignislos und wie gewöhnlich.
Auch die nächsten Abende verliefen ruhig und waren wunderschön. Obwohl nichts besonderes passierte. Aber ich war froh, dass ich normal war obwohl ich meine Medikamente nicht nahm. Anfangs hatte Kai immer kontrolliert, ob ich sie wirklich runterschluckte, doch mittlerweile schaute er nur ab und zu in die Packung und sah nach, ob welche fehlten. Natürlich war ich so schlau und nahm morgens und abends eine Tablette heraus, doch ich spülte sie im Klo runter oder versteckte sie im Müll, dass Kai sie auch nicht sah, wenn er selber was in den Müll warf oder ihn rausbrachte. Insgesamt war ich schon ziemlich Stolz auf mich.

Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, dass es wieder schlimmer werden konnte mit meiner Krankheit.

---------

𝑨𝑴𝑵𝑬𝑺𝑰𝑨 || 𝑲𝒂𝒊𝑺𝒐𝒐 (ABGESCHLOSSEN)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt