Kapitel 57

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Als wir wieder bei den Anderen ankamen, hatten diese alles schon zur Abreise hergerichtet. Ich bemerkte sofort die stechenden Blicke von Ryan, die er mir zuwarf, sobald wir uns ihnen näherten. Genervt verdrehte ich die Augen. Hatte er sich immer noch nicht ein bekommen?

„Da seid ihr ja wieder.", begrüßte uns Moon erfreut. „Habt ihr etwas Interessantes entdeckt?", fragte sie gespannt. Ich deutete auf den Haufen an Blumen, den ich noch mit mir herumtrug. „Ich habe auf dem Weg ein paar Kräuter und Blumen gesammelt, von denen ich weiß, dass sie uns nützlich sein könnten.", erzählte ich ihr. „Das ist wunderbar! Packen wir sie ein.", meinte Moon und zog mich mit sich. Somit ließen wir Jason und Ryan hinter uns. „Ist irgendetwas?", fragte ich verstört, da es mir so vorkam, als wollte sie nur etwas Abstand zu den Jungs. „Ich wollte nur mit dir reden. Unter vier Augen....", sagte sie ernst. Mir flogen zwar unendlich viele Fragen in meinem Kopf herum, doch es beließ es dabei und folgte ihr.

„Also?", fing ich an, da wir stehen blieben. „Ich weiß zwar nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber Ryan fand es gar nicht gut, dass du mit Jason gegangen bist.", zischte Moon mir zu. Ihre Augen blitzten dabei gefährlich auf. „Na und? Das ist sein Problem.", sagte ich emotionslos. Eigentlich wollte ich, dass es mir egal war, doch ich konnte nicht verhindern, dass mein Herz bei ihren Worten anfing, schneller zu schlagen. „Es ist sehr wohl dein Problem! Besser gesagt unser alles Problem. Was denkst du passiert, wenn wir im verbotenen Wald sind und er Jason mitten drin an den Hals springt, weil ihr wieder zusammen irgendwo hingehen wollt?" Provokant verschränkte sie ihre Arme und blickte mich auffordernd an, als würde sie wollen, dass ich sofort zu Ryan ging und das Problem aus der Welt schaffte. Wenn es doch nur so einfach wäre...

„Ich würde doch gerne mit ihm reden, aber ich kann es einfach nicht.", murmelte ich verzweifelt vor mich hin. „Wieso?", fragte Moon sanft und sah mir mitfühlend in die Augen. Sie wusste, dass irgendetwas los war. Und ich wusste, dass sie mir helfen wollte. „Ich bin ehrlich... Ich weiß nicht, ob ich es dir schon erzählt habe oder ob ich es für mich behalten habe, aber kurz bevor wir vom Turnier zurück gekehrt sind, habe ich ein Gespräch zwischen Ryan und seinem Vater angehört. Sie sprachen über mich. Mir war schon beim ersten Treffen mit Ryans Vater diese Gefühlslosigkeit und Kälte aufgefallen, mit denen er mich immer musterte. Er ermahnte Ryan, dass er mich bald ausliefern müsste. Dann hat Ryan gesagt, dass er mich um den Finger wickeln würde und es so für ihn einfacher sein würde, mich zu entführen." Bei jedem Wort kamen die allbekannte Kälte und der Schmerz in mir hoch. Schluchzer kamen leise aus meinem Mund und ich musste mich zusammenreißen, um nicht vor Trauer auf den Boden zu sinken. 

Verschwommen konnte ich Moons Gesicht ausmachen. Besorgt blickte sie mich an und nahm mich in den Arm. „Alles wird gut... Ich weiß, dass das jetzt sehr naiv klingen muss, doch du solltest mit ihm darüber reden. Selbst wenn er wirklich damals den Auftrag gehabt hatte.... Er hat es nicht getan! Und sieh ihn dir an. Er wird es auch nicht tun.", flüsterte sie in mein Ohr, während ich zu Ryan sah, der gerade den Proviant und das weitere Gepäck verstaute. Ich beobachtete den Mann, in den ich mich verliebt hatte. Der Mann, der mir eigentlich schaden sollte, falls er es nicht schon getan hatte. „Ich weiß, dass du es nicht bemerkst, doch er mustert dich immer, wenn du gerade nicht hinschaust, mit so liebevollen Blicken. Doch jedes Mal verändert er sich... Der Blick wird traurig. Ich bin mir sicher, dass er irgendetwas für dich empfindet. Auch wenn er vielleicht Fehler gemacht hat, die man einem nicht verziehen kann.", sagte sie ehrlich. Während sie mir das Ganze erzählte, verfolgte ich mit meinem Blick jede auch nur erdenkliche Bewegung von Ryan. Als er sich bückte, um einen weitere Rucksack aufzuheben, blickte er mir geradewegs in die Augen. Zuerst sah man die Angst, dann die Freude und dann die Trauer durch seine Augen. Moon hatte Recht. Ich war wie gefangen von seinen Augen, die mir seine Gefühle wie ein offenes Buch präsentierten. Doch der Moment wurde viel zu schnell unterbrochen, denn Jason schnappte sich den Rucksack aus Ryans Händen.

Etwas beschämt wandte ich meinen Blick ab. Mein Herz schlug stark und schnell in meiner Brust und ein Kribbeln rumorte in meinem Bauch. Nein! Ich konnte keine solchen Gefühle gebrauchen. Selbst wenn wir miteinander reden würden und alles würde wieder gut sein, es würde mich von der Mission ablenken und das konnte ich nicht gebrauchen. Schnell schob ich diese ganzen Gefühle ganz tief hinter eine riesige Mauer... Ich würde sie nicht mehr so schnell an mich ranlassen. Ohne einen weiteren Blick zu Ryan drehte ich mich wieder zu Moon um. „Ich werde mit ihm reden, doch ich kann dir nichts versprechen.", sagte ich monoton und ließ sie damit stehen. Ich wusste, dass es ihr gegenüber nicht gerecht war, doch ich konnte nicht weiter darüber reden und brauchte jetzt einfach Abstand.

Ohne es zu merken schlug ich den Weg zu Cronos ein. Er hatte sich mittlerweile auch bereit gemacht, um zu starten. Sofort erhellte sich mein Gesicht, als ich ihn erblickte. Neugierig musterte er mich. Er ließ einen kreischenden Laut aus, um mich zu verdeutlichen, dass er glücklich war, mich zu sehen. Seufzend lehnte ich mich an seine Brust und strich über die feuerroten Federn. Sofort machte sich eine starke Ruhe in mir breit und spülte all die Zweifel, Wut, Trauer, Verwirrung und Schmerzen aus mir hinaus. „Danke." Ich wusste, dass es Cronos Verdienst war, dass alle schlechten Gefühle aus mir verschwunden war. Wir standen noch einige Zeit so da, bis die Anderen nach und nach zu uns kamen. Es war wohl Zeit, uns wieder auf den Weg zu machen. Bevor wir abhoben, blickte ich mich noch ein letztes Mal in dem zauberhaften Wald um.

Als ich dann sah, wie die Bäume unter uns immer kleiner wurden, je höher wir stiegen, kam mir nur ein Satz in den Sinn.

Ich komme Alistair! 

Legende des Phönix - Wiedergeboren (Bd. 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt