Kapitel 19

808 46 1
                                    

Zu meiner ersten Stunde musste ich ins Klassenzimmer. Auf den Weg dorthin unterhielt ich mich noch mit Tristan, Aaron, Jason und Emily. Im Klassenzimmer angekommen ging ich zu meinem Platz. Daneben wartete Ryan schon auf mich. „Guten Morgen, Prinzessin.", begrüßte er mich lächelnd. „Morgen." Das war jetzt schon das zweite Mal seit gestern, dass er mich so nannte. „Gut geschlafen?", fragte er. „Ja, und du? Musstest ja deine Niederlage noch verkraften.", neckte ich ihn. „Das stimmt. Es war sehr schwer.", sagte er gespielt betroffen. Jetzt kam auch Mrs. Allen herein. „Alle die Hefte weg. Wir scheiben eine kleine Prüfung!", sagte sie einmal. Alle stöhnten genervt, machten aber was sie sagte.
Nach 30 Minuten sammelte sie von allen die Papiere ein. „Wie war's?", fragte ich Ryan. „Ganz okay. Bei dir?" „Auch."
Als nächstes machten wir uns auf den Weg zu Musik. Das verlief eigentlich wie immer, da wir zusammen einfach ein paar Lieder sangen und Noten bestimmen mussten. Ich hielt mich die ganze Zeit im Hintergrund, da ich im Moment keine große Aufmerksamkeit wollte. Auch der Kampfunterricht verlief wie gewohnt. Ich kämpfe die ganzen zwei Stunden abwechselnd gegen Jason und Ryan. Am Ende schleppte ich mich erschöpft in die Umkleide. Schnell begab ich mich zum Mittagessen und machte mich dann schnurstracks auf zur Bibliothek. Doch egal wie viele Bücher ich durchsah, ich fand weder etwas über Cronos noch über das andere Vieh. Wahrscheinlich war es wirklich nur meine Fantasie gewesen. Enttäuscht ging ich zurück in mein Zimmer. Dort schnappte ich mir einfache weiße Papiere und einen Bleistift. Den Rest des Nachmittags verbrachte ich damit, Cronos und das andere Tier zu zeichnen, um nicht zu vergessen, wie sie aussahen.
Knock! Knock! Blinzelnd schlug ich meine Augen auf. Vor mir auf dem Schreibtisch lagen die fertige Zeichnung der Ungeheuers, ich hatte es Blitzwerfer genannt, und die noch unvollständige Zeichnung von Cronos. „Leila? Bist du da?", hörte ich Josi vor meiner Tür rufen. Schnell sprang ich auf und ging zu ihr nach draußen. „Hey. Was hast du denn den ganzen Nachmittag gemacht?", fragte Josi neugierig. „Ach, ich habe nur gemalt. Mehr nicht.", winkte ich ab. „Na gut. Wir müssen uns jetzt aber beeilen. Die anderen sind schon alle beim Essen." Mit diesen Worten machten wir uns auf den Weg.
Nach dem Essen ging ich wieder in mein Zimmer und zog mich um. Ich wartete bis alles ruhig geworden war und machte mich dann auf zum Schulgebäude, vor dem Ryan auf mich wartete. „Na? Schon aufgeregt, fertig gemacht zu werden?", neckte er mich. „Ja, genau. Weil ich auch diejenige sein werde, die fertig gemacht wird.", sagte ich sarkastisch. „heute schon, meine Liebe. Denn wir probieren etwas Neues aus.", sagte er lächelnd. Damit begaben wir uns in die Halle. „Also, wir fangen an mit Element und Waffe gleichzeitig zu trainieren.", erklärte er mir. Danach musste ich mir einen langen Vortrag anhören, dass ich meinen Instinkten vertrauen sollte. Als wir dann endlich anfingen, war ich voller Energie. „Du kannst dein Element als individuelle Waffe benutzen oder du kannst damit deine eigene Waffe verbessern, indem du sie beispielsweise mit Feuer überziehst.", listete er auf. Er nahm sich ein Schwert und hielt es nach oben. Wenige Sekunden später strahlte es hell und ich konnte Flammen sehen, die um das Schwert züngelten. Fasziniert sah ich es an. „Du musst dir vorstellen, dass du ein Tuch aus Feuer um deine Dolche wickelst.", sagte er ruhig. Ich versuchte, wie geheißen, und kurz darauf erstrahlten meine Dolche durch das Feuer. Ich spürte ein leichtes Kribbeln, sobald mich eine meiner Flammen auf der Haut berührte. „Super. Natürlich kannst du noch viel mehr Sachen machen.", lobte er mich. Grinsend sah ich Ryan an. „Und jetzt?", fragte ich gespannt. „Jetzt, Leila, jetzt spielen wir!" Plötzlich sprang er auf mich zu. Schnell duckte ich mich unter seinem Flammenschwert, welches über meinem Kopf vorbei zischte. Schnell wirbelte ich herum und warf einen meiner Dolche nach ihm. Dieser prallte aber an eine Feuerwand ab, welche aus dem Erdboden geschossen kam.
Ach, so ein Spiel will er spielen? Da mach ich gerne mit!
Ich befahl einem Feuerfalken, meinen Dolch zu holen. Kreischend flog er los du wich allen Attacken von Ryan aus. Während Ryan seine komplette Aufmerksamkeit meinem Falken widmete, konzentrierte ich mich auf ihn und schickte Ranken aus Feuer zu ihm, welche sich um seine Beine schlangen und ihn kurzeitig bewegungsunfähig machten. Es war aber genug Zeit für mich, um ihn zu besiegen. Schnell lief ich auf ihn zu, während er versuchte, sich aus den Ranken zu befreien, doch ich schickte immer mehr. Mein Falke flog auf mich zu und ließ meinem Dolch aus seinem Schnabel fallen. Geschickt fing ich ihn auf. Vor Ryan angekommen hielt ich ihm meinen Dolch an den Hals. „Okay, ich ergebe mich.", sagte er und hob seine Arme über den Kopf. Sein Schwert ließ er auf den Boden fallen. Langsam trat ich zurück und ließ die Ranken um ihn herum verschwinden.
„Heute ist wohl echt nicht so mein Tag. Ich hatte mich niemals von deinem Falken so ablenken lassen sollen!", sagte er etwas frustriert. Ich grinste ihn ein klein wenig höhnisch an. „Du lässt dich heute wirklich leicht unterkriegen.", gab ich aber zu. Ich drehte mich um und ging zu einer Bank, auf die ich einen Haargummi gelegt hatte. Diesen schnappte ich mir und band meine Haare zu lockerem Zopf. „Warte mal, Leila! Ich glaub du hast da was im Nacken.", sagte Ryan laut und kam auf mich zu. Angespannt stand ich still. „Du hast mir gar nicht erzählt, dass du ein Tattoo hast.", meinte Ryan amüsiert. „Wieso sollte ich? Ich habe ja auch keines!", sagte ich skeptisch. „Verarsch mich nicht! Natürlich hast du eins. Hier im Nacken.", sagte er. Ich fühlte, wie ein Finger die Stelle berührte, an der Ryan meinte, ein Tattoo zu sehen. „Ich habe wirklich keins?!", sagte ich hysterisch. „Doch!" Er packte mich am Arm und zog mich in eine Umkleide. Vor einem Spiegel drehte er mich so, dass ich auf meinen Nacken schauen konnte. Man konnte ein paar schwarze Striche auf meiner Haut erkennen. Sie führten unterhalb meines T-Shirts. Langsam zog ich das T-Shirt an meinem Rücken nach unten. Je weiter es meinen Rücken frei gab, desto mehr konnte man die Umrisse eines Vogels erkennen. Durch meinen Sport-BH wurde das Meiste aber verdeckt. „Darf ich?", fragte Ryan leise. Es war mir zwar etwas unangenehm, aber ich wollte unbedingt sehen, was auf meinem Rücken war. Langsam nickte ich. Ryan trat näher an mich ran und schob vorsichtig den BH zur Seite. Auf meinem Rücken war das Bild eines Phönix dargestellt. Nein, das ist Cronos! Unter seinem Abbild war noch etwas geschrieben. Doch ich konnte es nicht genau erkennen.
„Was steht da?", fragte ich Ryan. „Da steht <iterum nata>.", erklärte Ryan. Ich verstand aber nur Bahnhof. „Und was heißt das?", fragte ich etwas verwirrt. „Das ist Latein und bedeutet sowas, wie wiedergeboren.", überlegte er kurz. Geschockt verarbeitete ich die ganzen Informationen. „Ich glaube, es wäre besser, wenn wir für heute aufhören.", flüsterte ich. „Ähm, okay. Wenn du das willst.", sagte Ryan verwirrt. Bevor er noch etwas sagen konnte, verabschiedete ich mich von ihm und lief regelrecht zu meinem Zimmer. Dort ging ich sofort in mein Zimmer und riss mir meine Kleidung vom Leib. Doch auch jetzt prangte das Tattoo auf meinem Rücken. Langsam ließ ich mich an der Wand herunter gleiten. Sprachlos vergrub ich mein Gesicht in den Händen.

Ich erwachte auf einer Lichtung. In der Nähe hörte ich einen kleinen Bach plätschern. Gähnend streckte ich mich. Verstohlen blickte ich mich um und nahm meine Umgebung in mich auf. Überall flogen Vögel umher und man konnte die Bäume leise im Wind wiegen hören. Seufzend ließ ich mich wieder ins Gras gleiten und schloss für einen Augenblick meine Augen. Die Sonne erwärmte angenehm meine Haut und kitzelte meine Nase. Circa zwanzig Meter entfernt graste eine Herde Rehe. Vorsichtig nährte ich mich ihnen und ließ mich zehn Meter entfernt nieder. Bewundernd betrachtete ich die Tiere. Sie sahen so elegant aus! Der Hirsch thronte majestätisch auf einem kleinen Hügel und beobachtete das Geschehen vor ihm. Ich war so eingenommen von dem Anblick vor mir, dass ich zusammen zuckte, als ich ein helles Kreischen in der Ferne hörte. Auch die Herde ergriff ängstlich die Flucht. Ich wollte auch schon loslaufen, aber etwas hinderte mich. Ich spürte plötzlich ein leichtes Ziehen in meinen Gedanken.
Hallo, Leila!
Schön, dass wir uns wiedersehen.
Bist du das, Cronos?
Ich wollte nur sicher gehen, ob ich nicht doch wegrennen sollte. Wie das letzte Mal, als der Blitzwerfer gekommen war.
Natürlich! Oder hat sich schon ein anderer Gefährte mit dir verbunden?!
Irritiert starrte ich auf den Boden. Was hatte er da gerade gesagt?
Was ist ein Gefährte?
Cronos machte ein komisches Geräusch, das sich in meinen Gedanken anhörte wie ein genervtes Seufzen.
Du weißt wirklich überhaupt nichts, Mädchen. Das wird eine lange Nacht werden!
Jetzt war ich noch verwirrter. Bis mir ein Licht aufging.
Träume ich das gerade?
Ja und nein. Du schläfst, aber dein Geist ist in meine Welt rüber
gewandert. Warum, weiß ich nicht. Jedenfalls kannst du hier sterben. Das heißt dein Geist kann es und wird deshalb nicht mehr zu deinem Körper zurückkehren.
Das heißt also wenn ich hier sterbe, bin ich tot. Auch in meiner Welt....
Ja!
Und zu diesem Gefährten-Ding...heißt das, du bist mein Gefährte?
Warte kurz. Ich bin gleich bei dir!
Wie auf Kommando konnte ich Cronos starke Flügelschläge hören. Ich schütze meine Augen mit meiner Hand vor der Sonne und suchte den Himmel nach einem riesigen Phönix ab. Kurze Zeit später erblickte ich ihn. Er war noch einige hundert Meter entfernt, näherte sich aber stetig. Als er zur Landung ansetzte, ging ich einige Meter weiter weg, damit ich nicht in der Gefahrenzone stand.
„Hallo, Cronos. Kannst du mir jetzt meine Frage beantworten?", fragte ich neugierig und blickte nach oben in seine goldenen Augen.
Sein Gefieder vibrierte unter den komischen Geräuschen, die er auf meinen Auftritt machte. Er lachte! Ich hatte einen Phönix zum Lachen gebracht. Bei dem Gedanken schlich sich ein kleines Lächeln auf mein Gesicht.
Um deine Frage zu beantworten, ich kann sie dir deine Fragen beantworten. Doch nicht hier. Wir wollen bestimmt nicht von einer Hydra überrascht werden.
In meinem Kopf tauchte ein Bild von einem vielköpfigen schlangenähnlichen Ungeheuer auf.
„Gibt es hier noch mehr Gefahren?", fragte ich ängstlich.
Genug! Also komm. Ich bringe uns zu meinem Nest.
„Und wie?" Irritiert sah ich ihn an. Ohne eine Antwort beugte er seinen Kopf herunter. Ängstlich wollte ich ihm schon ausweichen, doch er erwischte mich mit seinem Schnabel an meinem T-Shirt. Erschrocken quiekte ich auf. Cronos setzte mich aber seelenruhig zwischen seine Flügel.
Wenn ich du wäre, würde ich mich jetzt gut festhalten.
Eine weitere Warnung bekam ich nicht. Er hob seine Flügel und
wir schossen nach oben. Kreischend klammerte ich mich an seinem Gefieder fest und kniff die Augen zusammen. Der Wind peitschte um uns herum und riss meine Haare aus meinem Zopf. Nach einer Weile wurde es ruhiger und ich traute mich, meine Augen zu öffnen. Es verschlug mir die Sprache, um uns herum befanden sich Lauter Wolken und wenn man nach unten sah, konnte man den Wald sehen, der nur so vorbeiflog. Ich breitete meine Arme aus und spürte den Wind der an uns vorbeizog. Es war ein unglaubliches Gefühl, so hoch über dem Boden zu fliegen. Der Wind war angenehm kühl und wirbelte meine Haare umher.
Gefällt es dir hier oben?
Da meine Stimme den Wind nicht übertönen konnte, dachte ich meine Antwort.
Ja, es ist unglaublich toll!

Legende des Phönix - Wiedergeboren (Bd. 1)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt