22| Die Lage Spitzt Sich Zu

10 2 0
                                    

Luzifer stand einmal mehr vor den Toren des Palastes seines Vaters. Auch wenn er wusste, dass er auch diesmal keine Antwort bekommen würde, so musste er es dennoch noch einmal versuchen. Überrascht stellte der oberste Engel fest, dass Gott auf seinem Thron saß, was überaus selten der Fall war. Dessen Gesichtsausdruck war jedoch alles andere als erfreut, als er Luzifer erblickte. Er sah eher so aus, als hätte er in einen sauren Apfel gebissen. »Bist du wieder aus demselben Grund hier?«, kam es fast schon genervt von ihm.

»Ja«, erwiderte der oberste Engel. »Ich verstehe nicht, warum du es mir nicht einfach erklären kannst.«

»Und ich kann nicht verstehen, warum du die Dinge nicht einfach akzeptieren kannst, wie sie sind.«

»Weil mir diese Sache nun einmal wichtig ist und ich es mir und allen anderen Engeln gegenüber für ungerecht halte«, erklärte Luzifer aufgebracht. In der letzten Zeit hatte sich in ihm immer mehr Frust und Zorn aufgestaut. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er blickte seinen Vater wütend an, ehe er ihm die nächsten Worte provozierend entgegen spie. »Ich kann dir sagen, warum es dir so schwer fällt. Du hast einfach nur Angst davor, wie die anderen reagieren, wenn sie erfahren, dass du uns einfach nur kontrollieren willst?« Er ignorierte die vier Throne, die sich ebenfalls im Saal befanden und nun entsetzt, aber teils auch neugierig drein blickten.

»Du gehst zu weit Luzifer!«, donnerte Gott, während er sich von seinem Thron erhob.

»Nein. Viel zu lange habe ich mich vor der Wahrheit verschlossen, weil ich nicht glauben wollte, dass wir für dich nur Marionetten sind, gezwungen, jeden deiner Befehle auszuführen.«

»Du hast keine Ahnung, was du da von dir gibst. Du solltest jetzt besser gehen, bevor ich noch etwas tue, was ich bereuen könnte.« Luzifer hörte deutlich die unterschwellige Drohung heraus. Er wägte ab, ob es sinnvoll wäre, dieses Gespräch fortzuführen, oder ob es klüger wäre, den Rückzug anzutreten. Er entschied sich für letzteres, auch wenn es ihm nicht sonderlich gefiel.

Kurze Zeit später

Ein kleiner dichter Wald lag vor ihr. Die Bäume hier wurden an die 20 Meter hoch und hatten sehr dicke Stämme. Dichter Nebel hüllte sie ein und erschwerte ihr zusätzlich zu der hier herrschenden Dunkelheit die Sicht. Fliegen war in diesem Gebiet keine gute Idee. Zu groß war die Gefahr sich zu verletzen und auch teleportieren ging nicht, da sich dieser Wald immer wieder auf mysteriöse Weise änderte. Das galt auch für den Standort vom Haus des Schmieds, zu dem sie unterwegs war. Sie brauchte lange, bis sie die Lichtung endlich fand, die durch fahles Licht einigermaßen erhellt wurde. Eilig ging sie auf das Haus zu, atmete erst einmal tief durch, ehe sie eintrat. Die Luft im Inneren war aufgeheizt und stickig, überall schien es zu brodeln und dampfen.

Um sie herum lagen und hingen Waffen sowie Rüstungen in verschiedensten Formen und Größen. Sie blieb einfach stehen und wartete, denn sie wusste, dass der Schmied nicht gerne bei seiner Arbeit gestört wurde. Er war ein kräftig gebauter Trickster, der imstande war, das Metall mit bloßen Händen zu bearbeiten. Niemand wusste, von welchem Gott er genau abstammte, geschweige denn, wie der Schmied hieß. Er ließ von seiner Arbeit ab, wischte sich die Hände an seiner Schürze ab und wandte sich dann endlich ihr zu. »Ein Engel ist ein äußerst seltener Gast«, begrüßte er sie.

»Ich wurde mit einem Auftrag hergeschickt«, erwiderte sie, während sie eine Schriftrolle hervor kramte und diese dem Trickster überreichte.

Neugierig rollte er sie aus und ließ seinen Blick darüber gleiten. Je mehr er las, umso größer wurden seine Augen. »Scheint, als wären die Gerüchte von einem bevorstehenden Krieg wahr«, flüsterte er mehr zu sich selbst, ehe er sie direkt ansah und fortfuhr. Lauter als noch zuvor. »Mir ist egal, was bei euch vor sich geht, solange sich dein Herr an die hier stehende Abmachung hält, bin ich bereit das Nötige fertigzustellen. Es wird allerdings eine Weile dauern, bis ich fertig bin.«

»Wie lange wirst du brauchen?«, wollte sie wissen. Nachdenklich beäugte er nochmals die Liste, bis er schließlich meinte, dass es mindestens einen Monat dauern würde. Sie nickte verstehend und versprach, es ihrem Herrn auszurichten. Anschließend verließ sie das Haus und ging davon. Sie hoffte, dass es das letzte Mal sein würde, dass sie dieses Grenzgebiet betreten musste. Nachdem sie es hinter sich gelassen hatte, breitete sie ihre sechs schneeweißen Flügel aus und flog davon in Richtung Heimat. Ihr Herr würde sicherlich sehr zufrieden sein.

Chroniken der Erzengel (Sammelband) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt