11| Erwählt

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Fast völlige Dunkelheit herrschte in dem großen Saal. Die einzige Lichtquelle bildete ein Kamin, in dem ein kleines Feuer vor sich hin prasselte. Der Raum war ansonsten fast vollkommen leer, wenn man von dem gewaltigen schwarzen Thron absah, der an einem Ende des Saals stand. Eine Gestalt stand davor, die fast schon gespenstisch wirkte. Bis auf die Konturen waren sonst nur die feinen silbernen Linien zu erkennen, die sich über den gesamten Körper zogen und manchmal vom Schein der Flammen beleuchtet wurden. Wenn man ganz genau hinsah, konnte man auch den Dreizack erkennen, den das Wesen in seiner Hand hielt.

»Wir können nur hoffen, dass die Situation sich nicht weiter verschlimmert.«

»Als wäre das Ganze nicht schon katastrophal genug!«, donnerte die dunkle Stimme von Asmodeus, der auf seinem Thron saß. Vor Wut leuchteten seine Augen noch heller als sonst. »Muss ich dich daran erinnern, wie viele bereits getötet wurden und mindestens genauso so viele befinden sich auf der Flucht.«

»Das weiß ich selbst, Bruder. Ich finde nur, wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben«, sprach der Erzdämon des Wassers beruhigend auf ihn ein.

»Hoffnung«, spuckte der ältere verächtlich aus. »Die gibt es nur, wenn der König vernichtet wird.« Asmodeus hatte die Hoffnung längst aufgegeben. Die Welt war verloren und nichts würde daran etwas ändern können. Es sei denn, vielleicht… .Noch bevor er den Gedanken zu Ende bringen konnte, spürte er eine starke Magie, die sich in der Welt der Menschen zusammenbraute. Diese Magie an sich war für ihn nichts Ungewöhnliches, spürte er sie doch alle tausend Jahre. Nein, das, was ihn daran irritierte, war der Standort. Der Erzdämon wusste, dass Luzifer und Senara sich dort aufhielten. Das konnte kein Zufall sein. »Ich muss weg«, teilte er seinem Bruder mit und verschwand im selben Augenblick.

Er tauchte in unmittelbarer Nähe zum Erzengel wieder auf. Die Menschen, die bei seinem plötzlichen Auftauchen erschrocken zur Seite sprangen, ignorierte er gekonnt. Genauso wie ihre ängstlichen und zugleich faszinierten Blicke, die sie ihm aufgrund seiner Gestalt zuwarfen. Langsam schritt Asmodeus auf den Engel zu. Er erkannte Senara in dessen Armen. Würde er nicht ihren Herzschlag hören, hätte man sie für tot halten können. »Was ist passiert?«

»Sie wurde erwählt«, flüsterte Luzifer zur Antwort, ohne sich zum Dämon umzudrehen.

Dies hatte sich Asmodeus schon gedacht. Er ließ sich neben den Engel auf den Boden nieder. »Macht verdammt nochmal das ihr wegkommt«, fuhr er die Menschen knurrend an. Kurz darauf waren sie auch schon allein.

Luzifer achtete nicht sonderlich darauf. Seine Aufmerksamkeit galt einzig und allein Senara. Er konnte sehen, wie sich ihre Augen mit einem Mal unter den geschlossenen Lidern hin und her bewegten. Ob sie gerade womöglich eine Vision hatte, fragte sich der Engel. Die Kleine war doch eigentlich noch viel zu jung, um erwählt zu werden, wie er fand. Diese Bürde brachte Gefahren mit sich, mit denen sie in ihren jungen Jahren noch gar nicht umgehen konnte. Er fragte sich, was die Götter sich dabei gedacht hatten. Der Engel nahm das Amulett, welches sie noch immer in ihren kleinen Händen hielt, an sich und betrachtete es eingehend.

»Ist das die Karte?«, wollte Asmodeus wissen.

»Vermutlich«, erwiderte er nachdenklich und musterte dabei die feinen Linien auf dem goldenen runden Anhänger. »Aber ich kann sie nicht entziffern, dass kann nur Senara.«

»Wir sollten sie auf dem Weg dorthin begleiten«, schlug der Erzdämon vor, was ihm einen bösen Blick von Luzifer einfing, der daraufhin meinte, dass er dies ohnehin vorgehabt hätte. Niemals würde er Senara diese Reise allein antreten lassen.

Das kleine Mädchen begann sich derweil in seinen Armen leicht zu bewegen. Kurz darauf öffnete sie ihre Augen und sah Luzifer verwirrt an. Als sie wissen wollte, was passiert sei, klärte er sie über alles auf. Nur das sie auserwählt wurde, verschwieg er noch. Der Engel hoffte, dass sie sich von allein daran erinnerte. Senara wirkte noch ein wenig benommen, selbst die Anwesenheit von Asmodeus schien sie noch nicht bemerkt zu haben. Doch je mehr sie sich wieder ihrer Umgebung bewusst wurde, umso klarer wurde ihr Verstand. »Ich habe geträumt«, begann sie plötzlich zu erzählen. »Ein wunderschöner Garten mit einem kleinen Teich über den eine Brücke führte. Es war warm und die Blumen dufteten so schön. Und dann gab es dort noch einen großen Stein.« Sie hielt in ihrem Redefluss inne und schien mit einem Mal in ihren Gedanken versunken zu sein. Eine Weile verharrte sie so, ehe sie erneut zu sprechen begann. »Das war gar kein Traum, oder?«

»Ich wünschte, es wäre einer gewesen«, bestätigte Luzifer ihre Befürchtung mitfühlend. Er hörte wie Senara sich leise fragte, warum gerade sie es traf, aber darauf hatte auch er keine Antwort.

Asmodeus stand derweil auf und meinte, dass sie langsam aufbrechen sollten. Erst jetzt schien das Mädchen ihn zu bemerken. Sie strahlte über das ganze Gesicht, als sie ihn ansah. »Du hast dein Versprechen gehalten«, meinte sie glücklich. Der Erzdämon lächelte sie nun ebenfalls an, ehe er mit einem »Natürlich« antwortete. Die Kleine sprang auf und umarmte ihn fest.

Luzifer konnte derweil nur amüsiert seinen Kopf schütteln. Er war sich sicher, dass jeder andere Mensch sofort geflüchtet wäre, wenn dieser das Lächeln des Dämons gesehen hätte. Immerhin hatte er dabei seine spitzen scharfen Zähne entblößt, was das Ganze irgendwie in einen grotesken Gesichtsausdruck verwandelt hatte. Aber Senara schien das nicht zu stören. Der Erzengel stand nun ebenfalls auf und gab ihr das Amulett zurück. Er erklärte ihr, was es damit auf sich hatte.

Nach kurzem Betrachten kannte Senara den Weg. Sie ging schnurstracks Richtung Osten, dicht gefolgt von ihren beiden ungleichen Begleitern. Der Engel schmunzelte, als Asmodeus darauf hinwies, welch ein seltsames Grüppchen sie drei bildeten. Da konnte Luzifer ihm nicht widersprechen.

Chroniken der Erzengel (Sammelband) Where stories live. Discover now