23| Brüderlicher Bund

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Währenddessen saß Luzifer seit langem wieder im Blumenmeer unter dem Baum. Er wartete geduldig darauf, dass Azrael endlich kam. Der Todesengel war, wie so oft, mal wieder zu spät und das, obwohl er selbst um dieses Treffen gebeten hatte. Ganz schwach spürte er endlich die Aura seines Bruders. Dennoch dauerte es lange, bis Azrael endlich bei ihm war, da er lieber durch die Luft gleitete, als wirklich zu fliegen. Als der Todesengel schließlich landete, konnte Luzifer noch einen kurzen Blick auf die pechschwarzen Flügel werfen, die silbern schimmerten. Er hatte diese Flügel schon immer bewundert und fand sie wesentlich schöner als die rein weißen wie er sie hatte. »Sollte es nicht eigentlich so sein, dass der Tod einen nicht warten lässt?«, begrüßte Luzifer seinen Bruder.

»Erstens, ich bin nicht der Tod und zweitens, hat der Tod alle Zeit der Welt. Etwas, dass du eigentlich auch haben solltest«, merkte Azrael an, während er sich vor seinem Bruder niederließ.

»Ich kann es trotzdem nicht leiden, warten zu müssen, obwohl ich bei dir ja eigentlich nichts anderes gewohnt bin. Aber nun verrate mir endlich, warum du dieses Treffen wolltest. Denn dein Brief, wenn man die zwei Zeilen überhaupt so nennen darf, waren nicht gerade informativ«, kam der oberste Engel gleich zur Sache und sah den Todesengel neugierig an.

»Ich weiß, was du vorhast und ich wiederhole es gern, ich steh an deiner Seite«, erklärte Azrael.

»Vergiss es«, wehrte Luzifer sofort ab. »Ich werde keinen von euch in diese Sache mit hineinziehen.«

»Und doch tust du es auf gewisse Weise«, schmunzelte der Todesengel, was seinem Bruder ein brummendes »Du weißt, wie ich das meine« entlockte. Azrael setzte wieder einen ernsten Gesichtsausdruck auf, ehe er fortfuhr. »Ich werde keine Widerrede dulden. Außerdem kannst du nicht ernsthaft glauben, allein gegen ihn bestehen zu können.«

»Das habe ich auch nie behauptet. Es ist aber auch nicht mein Ziel, diesen Kampf zu gewinnen, weswegen ich auch keinen von euch dabei haben will.«

»Wenn das so ist, werde ich dich trotzdem unterstützen. Ich weiß, dass unsere Geschwister sicher auch gerne an deiner Seite kämpfen würden und da sie es nicht können, werde ich es tun.« Luzifer gab es auf seinen Bruder von dessen Vorhaben abzubringen, er wusste, dass es ohnehin nichts brachte. Nur ein resigniertes Seufzen ließ er hören, was Azrael zufrieden dreinblicken ließ. »Aber eines würde mich noch interessieren«, fuhr er fort. »Wenn du nicht gewinnen willst, was ist dann dein Ziel?«

»Wenn ich dadurch wenigstens ein paar Engel zum Umdenken bewege, würde es mir schon reichen. Es muss sich etwas ändern und wenn unser Vater nicht bereit dazu ist, sich zu ändern, müssen es eben die Engel tun«, erklärte Luzifer sich.

Azrael schaute seinen Bruder durchdringend an, bevor er sich rücklings auf die Blumenwiese fallen ließ und gedankenverloren in den Himmel starrte. Er wusste, dass Gott es nicht einfach hinnehmen würde, wenn einer seiner Engel rebellierte. Es würde eine gewaltige Strafe nach sich ziehen, die sich keiner von ihnen vorstellen konnte. Wobei, wenn er es recht betrachtete, würde Gott wohl sicher ein Exempel statuieren, doch wie dieses aussah, konnte er nicht vorhersehen. Dem Todesengel erschien es für so ein kleines Ziel ein zu großes Opfer. Ob es nicht auch einen anderen Weg gab? Doch egal wie sehr er darüber nachdachte, es fiel ihm keiner ein. Außerdem musste er Luzifer zustimmen, es musste sich etwas ändern. Kein Engel wusste besser als er, wie grausam Gott wirklich sein konnte, die meisten, Luzifer eingeschlossen, kannten nur seine gütige, warmherzige Seite. Aber Azrael hatte die wahre Seite Gottes durchaus schon kennengelernt und er fragte sich, wie die anderen Engel reagieren würden, wenn sie die Wahrheit erkannten. Wenn er es recht betrachtete, war Luzifers Weg wohl tatsächlich der beste, den er hätte wählen können. Denn zum einen könnte das Vorhaben tatsächlich etwas ändern und zum anderen könnte man die anderen endlich wachrütteln.

»Wenn du mich nicht mehr unterstützen willst, kann ich das verstehen, ich würde es sogar sehr begrüßen«, riss Luzifer ihn aus seinen Überlegungen. Azrael setzte sich auf und lächelte amüsiert.

»Machst du Witze? Je mehr ich darüber nachdenke, umso mehr kann ich mich mit der Idee anfreunden«, zwinkerte er dem obersten Engel zu, was diesen erneut frustriert stöhnen ließ. »Hab dich nicht so. Bei Brüdern wird doch immer alles geteilt, in guten wie in schlechten Zeiten.« Luzifer blickte ihn grimmig an und wollte wissen, wo Azrael denn diesen Schwachsinn herhatte, aber der Todesengel lachte nur darauf.

Bis zum Abend saßen die Brüder zusammen und legten sich einen genauen Plan zurecht. Der Todesengel war sehr überrascht, als er erfuhr, dass Luzifer schon alles organisiert hatte und es eigentlich jederzeit losgehen könnte. Der oberste Engel hatte viele Anhänger, was kaum verwunderlich war, wenn man bedachte, dass er für die Ausbildung und das Training der himmlischen Armee zuständig war. Dadurch, dass die Dämonen noch immer von der Erde verschwunden waren, standen nun sogar noch mehr kampfbereite Engel zur Verfügung als normalerweise. Fast so, als hätten die Schicksalsgöttinnen es genau so vorgesehen.

Doch bevor der Angriff startete, wollte Luzifer noch etwas erledigen. Er hatte jemandem ein Versprechen gegeben, das er nun einlösen wollte. Vielleicht war dies die letzte Gelegenheit dazu.

Chroniken der Erzengel (Sammelband) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt