17| Das pure Böse

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Tief in einem Berg verborgen lag eine Höhle. Magisch erschaffen, um dem Bewohner bis in alle Ewigkeit als Gefängnis zu dienen. In der Höhle herrschte völlige Dunkelheit, wenngleich auch in der Mitte ein Feuer prasselte. Doch die Flammen konnten nicht das kleinste bisschen der Schwärze durchdringen. Augen, dunkel wie die Nacht, ruhten auf dem Durchgang zur Höhle. Das Wesen wartete geduldig auf den willkommenen Eindringling. Es war das erste Mal in den unendlich vielen Jahren seiner Gefangenschaft, dass jemand freiwillig zu ihm kam. Und gerade dieser Gast zauberte dem Wesen ein boshaftes Lächeln ins Gesicht. Dann trat der Eindringling endlich durch die Barriere und war nun genauso gefangen wie er selbst. »Du bist entweder sehr mutig oder einfach nur dumm«, erklang die Stimme des Wesens, eiskalt und verführerisch zugleich.

»Zieh deine Aura zurück«, forderte Luzifer, ohne auf dessen Aussage einzugehen.

»Wie Ihr wünscht, oh großer Erzengel«, erwiderte das Wesen sarkastisch. Die Dunkelheit in der Höhle zog sich größtenteils zurück und das Licht des Feuers konnte nun endlich ein wenig Helligkeit hineinbringen. Damit konnte Luzifer nun auch sein Gegenüber betrachten. Der Dämon vor ihm hatte wie Asmodeus pechschwarze Haut nur ohne dieses funkeln. Außerdem konnte der Erzengel hässliche Narben an dessen Körper erkennen. Vermutlich noch aus dem blutigen Kampf, den der Dämon gegen die Erzdämonen und Sartana geführt hatte. Luzifer fragte sich, warum er diese Verletzungen nicht heilen ließ. »Diese Narben erinnern mich stets daran, dass ich einmal frei war und dass ich es irgendwann wieder sein werde. Sie sind der Grund, warum ich diese Einsamkeit ertrage. Und bevor du jetzt fragst, ja ich habe deine Gedanken gelesen. Du kannst hier nichts vor mir verborgenen halten.« Das hatte Luzifer sich schon fast gedacht. Doch etwas anderes ließ ihn nachdenklich werden. Hatte er sich das nur eingebildet, oder klang in der Stimme des Dämons wirklich so etwas wie Traurigkeit mit. »Und jetzt setz dich, ich kann es nicht leiden, zu einem schwächlichen Wesen aufblicken zu müssen.« Die Stimme klang nun wieder gewohnt kalt.

Luzifer wollte ihm sagen, dass er lieber stehen blieb, doch da griff schon die Macht des Dämons nach ihm und zwang ihn auf den Boden. Der Erzengel hätte seinem Gegenüber gerne haufenweise Sachen an den Kopf geworfen, aber er blieb still. Er wusste, wie gefährlich und unberechenbar dieses Wesen war. Ein falsches Wort würde genügen und er würde den morgigen Tag nicht mehr erleben. »Ich bin nicht grundlos hergekommen«, kam er gleich zur Sache. Er wollte so wenig Zeit wie möglich in dieser Höhle verbringen. »Ich brauche Antworten, die nur du mir geben kannst.«

»Ich weiß längst, dass du wegen der Vision des Orakels hier bist. Ich verrate dir, was Senara gesehen hat, wenn du mich aus meinem Gefängnis befreist.«

»Niemals. Wenn ich dich freilasse, wirst du nur Tod und Zerstörung auf deinem Weg hinterlassen«, lehnte Luzifer sofort ab.

»Eine Welt in Blut getränkt, eine wahrlich schöne Vorstellung«, lachte der Dämon. »Dann werde ich dir auch keine deiner Fragen beantworten.« Der Erzengel wollte etwas erwidern, aber das Wesen unterbrach ihn sofort. »Du wirst mich noch befreien, verlass dich darauf.« Allein der eiskalte Blick aus den Augen des Dämons ließ Luzifer das Blut in den Adern gefrieren und eine böse Vorahnung stieg in ihm auf.

Luzifer spürte noch im selben Augenblick, wie die Aura des Dämons nach ihm griff und in seinen Körper hineinfuhr. Die Dunkelheit des Dämons breitete sich in seinem Inneren aus und verdrängte das Licht. Der Erzengel hatte das Gefühl, von innen heraus zu erfrieren. Er versuchte sich gegen diese Macht zu wehren, doch erfolglos. Hilflos spürte er, wie sein inneres Licht, das sonst lichterloh in ihm erstrahlte, auf einen kleinen schwachen Funken zusammenschrumpfte. Der Schmerz, den er dabei empfand, war unerträglich.

Ungerührt blickte der Dämon auf den scheinbar leblosen Körper am Boden. Nur die goldenen Augen, die in dieser Umgebung gespenstisch wirkten, strahlten den Schmerz aus, den der Körper empfand. Ein Anblick, den das Wesen sichtlich genoss. Folter, eine wahre Wohltat für seine abgrundtief schwarze Seele. Das Wesen zog seine Dunkelheit aus dem Engel zurück und wartete.

»Wieso tötest du mich nicht?«, kam es dann schwach über Luzifers Lippen. Er wusste nicht, wie lange die Dunkelheit sein Inneres vereinnahmt hatte, doch es hatte sich wie Tage angefühlt. Mühsam stemmte sich der Erzengel hoch. Zumindest versuchte er es, aber er war zu geschwächt.

»Weil ich dich noch brauche. Du hast immer noch die Wahl. Zerstöre mit deinem Schwert die Barriere und ich gebe dir deine Antworten.« Natürlich lehnte Luzifer sofort wieder ab. Das Wesen dachte nach und hatte schließlich eine Idee. Er erzählte dem Erzengel von der Vision. Zufrieden sah er dabei zu, wie sich die goldenen Augen vor Entsetzen weiteten. »Ich könnte dir dabei helfen«, lächelte das Wesen.

»Nein, das kann unmöglich der Wahrheit entsprechen. Du lügst doch nur, um deine Freiheit zu bekommen.« Darauf fragte das Wesen, warum er lügen sollte, er könnte sein Ziel auch auf ganz andere Weise erreichen. »Du bist ein Dämon von der schlimmsten Sorte, du..«, weiter kam er nicht.

»Ich bin nicht irgendein Dämon! Ich bin ein Gott!«, schrie das Wesen den Erzengel an. »Ich bin das pure Böse in seiner reinsten und ursprünglichsten Form. Deine Macht ist verglichen mit meiner nicht einen Funken wert!«

»Und doch reicht deine ach so große Macht nicht aus, um dich selbst aus deinem Gefängnis zu befreien«, lachte Luzifer freudlos, was er kurz darauf bereute. Das Wesen drang mit seiner Dunkelheit erneut in ihn ein und schrumpfte sein Licht wieder auf einen kleinen schwachen Funken. Der Schmerzensschrei, der darauf erklang, erfüllte ihn mit einer tiefen Befriedigung. Er könnte das Licht vollkommen im Keim ersticken, doch dann wäre Luzifer nicht mehr das, was er war und das Flammenschwert für ihn nutzlos.

Von Luzifer unbemerkt glitt der Blick des Dämons mit einem Mal in scheinbar weite Ferne. Er zog seine Dunkelheit erneut zurück und wartete, dass das Licht sich wieder verstärkte. »Du kannst gehen«, meinte er plötzlich.

Verblüfft schaute der Erzengel zu ihm auf. Mit allem hatte er gerechnet, aber sicher nicht damit, dass der Dämon ihn wieder gehen lassen würde. »Wieso auf einmal?«, wollte er schwach wissen.

Die schwarzen Augen des Dämons blickten ihn durchdringend an. »Es ist keine Frage, ob ich frei komme, sondern wann«, sprach er beinahe desinteressiert. »Es werden andere zu mir kommen und ich weiß, dass einer von ihnen mich befreien wird.«

Nach mehreren Versuchen hatte Luzifer es endlich geschafft sich aufzusetzen. Er blickte seinen Gegenüber herausfordernd an. »Wenn das wirklich so wäre, würdest du mich töten.«

»Nein, denn damit diese Wesen überhaupt existieren, bist du erforderlich«, erwiderte der Dämon geheimnisvoll. Luzifer fragte ihn, wie er das meinte, aber dieser antwortete ihm nicht. Stattdessen legte sich ein grausames Lächeln in seine Züge und seine Augen blitzten unheilvoll auf. »Ja, ich kann noch warten«, flüsterte das Wesen leise lachend. Zum ersten Mal in seiner Existenz verspürte Luzifer so etwas wie Furcht. Was auch immer das Wesen damit andeuten wollte, es konnte nur etwas Schreckliches sein.

Chroniken der Erzengel (Sammelband) Where stories live. Discover now