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Es klopfte und schon in der nächsten Sekunde steckte eine Krankenschwester ihren Kopf durch die Tür. Sie wirkte außer Atem.

„Dr. Frank, kommen Sie schnell! Es gab einen Zwischenfall mit der Kleinen!"

Sofort läuteten bei Julia alle Alarmglocken und sie machte sich schreckliche Sorgen. Was war passiert?

„Was ist passiert?", stellte Dr. Frank genau dieselbe Frage, während sie bereits aufsprang.

„Wir wollten sie zum Röntgen bringen. Bei der Tür ist sie durchgedreht. Sie hat sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Jetzt sitzt sie auf dem Boden und wir trauen uns nicht, ihr zu nahe zu kommen."

„Frau Schneider, kommen Sie mit!", hörte Julia plötzlich ihren Namen. Überrascht sah sie auf, die Erzählung der Krankenschwester hatte sie einen Moment erstarren lassen. Dr. Frank war bereits bei der Tür und winkte sie zu sich. „Kommen Sie!"

Das ließ Julia sich nicht zweimal sagen. Sofort war sie auf den Beinen. Im Stechschritt verließen die drei das Büro und flitzten durch die Gänge.

„Sie hatten da vorhin einen wertvollen Moment mit Emily, Frau Schneider. Ich würde es ja selbst tun – mit der Kleinen sprechen, meine ich – aber ich schätze Ihre Chancen am größten ein, zu ihr durchzudringen. Sie haben bereits eine Verbindung zu ihr aufgebaut und diese können wir nutzen."

Julia nickte nur. Sie war vollkommen überfordert.

„Und was soll ich tun?"

„Zunächst einmal versuchen Sie sie zu beruhigen. Und dann versuchen Sie herauszufinden, warum sie nicht durch die Türe gehen wollte. Denn nur, wenn wir den Grund kennen, können wir ihr vielleicht die Angst nehmen. Meinen Sie, Sie kriegen das hin?"

Wieder nickte Julia, obwohl sie sich nicht sicher war. Ganz und gar nicht. „Ja, ich... denke schon", meinte sie wenig überzeugt.

„Sie schaffen das", ermutigte Dr. Frank sie.

Und da waren sie bereits bei dem Krankenzimmer angekommen. Ein dicker Kloß bildete sich in Julias Hals. Was würde sie gleich erwarten?

„Wir haben ihr über den Zugang bereits etwas zur Beruhigung gespritzt, vielleicht ist sie also inzwischen ein wenig ruhiger geworden", klärte die Krankenschwester Julia und Dr. Frank auf, bevor sie die Türe öffnete.

Bei dem Anblick, der sich Julia bot, wurde ihre Brust sofort enger und sie schnappte kurz nach Luft.

Da saß sie, Emily. Keinen Meter von der Tür entfernt. Ihren freien Arm hatte sie um die Knie gelegt und sich ganz klein zusammengezogen. Ihr zierlicher Körper wirkte dadurch noch zerbrechlicher. Sie wippte leicht vor und zurück, ihr ganzer Körper zitterte. Und sie weinte. Gott, es zerriss Julia das Herz!

Als die Krankenschwester die Tür geöffnet hatte, war Emily kurz zusammengezuckt und hatte über die Ränder ihrer Sonnenbrille zu Julia aufgesehen. Die Verzweiflung in ihren Augen glühte wie Feuer und hatte Julia mitten in ihr Herz getroffen. Julia musste Emily unbedingt beruhigen!

„Hey", begann sie vorsichtig. „Darf... darf ich vielleicht zu dir kommen?"

Kaum hatte Julia das erste Wort gesagt, schnellte Emilys Blick wieder zu ihr hoch. Zitternd und wimmernd. Offensichtlich hatte sie schreckliche Angst. Julia war froh, dass das Mädchen dieses Mal den ganzen Kopf gehoben hatte und die Augen der Kleinen so hinter der Sonnenbrille verborgen blieben. Denn der Anblick der blanken Panik, die ihre Augen ausstrahlten, war für Julia nur schwer zu ertragen. Dieses Mädchen hatte so viel durchgemacht! Und es nahm einfach kein Ende.

„Okay, ich setze mich zu dir. Aber keine Angst, ich tu dir nichts. Ich möchte nur ein bisschen mit dir reden."

Das Wimmern wurde kurz lauter, als Julia tatsächlich tat, was sie gesagt hatte. Sie setzte sich auf den Boden des Flurs, hielt jedoch weiterhin Abstand zu Emily.

Lost GirlWo Geschichten leben. Entdecke jetzt