31. Kapitel

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Offensichtlich bin ich doch tatsächlich eine ganze Weile eingeschlafen, denn als ich die Augen wieder öffne, ist es draußen schon dunkel geworden.
Ich setze mich auf und greife nach meinem Messer unter dem Kissen.
'Nur zur Sicherheit', denke ich mir, während ich es an seinem Platz in meinem Stiefel verstaue.
Als es so in meinem Schuh steckt, dass man – nur bei genauerem hinsehen – nichts weiter als ein paar Zentimeter des Griffes erkennen kann, komme ich ins Grübeln.
Simon und Ethan und der andere Kerl, hatten mir alle meine Messer und auch meine 9Millimeter abgenommen, als sie mich in den Wagen verfrachtet haben, der mich hierher zurück gebracht hat.
Alle Messer bis auf dieses, von dem sie keine Ahnung hatten.
Doch als Negan, vor ein paar Tagen bei mir war, als ich geschlafen habe, hat er keine Anstalten gemacht mir mein Messer abzunehmen, als er sah, dass ich es unter dem Kissen hervorzog.
Im Gegenteil, er schien sogar ein wenig darüber amüsiert zu sein, dass ich mit einer Waffe unter meinem Kopf schlafe.
„Wieso hast du es mir nicht abgenommen?", höre ich mir selbst diese Frage stellen.
Es ist eine seiner Regeln, dass KEINE seiner Frauen eine Waffe trägt... oder wohl eher, dass niemand eine Waffe trägt, dem er es nicht gestattet.
Ich bezweifle, dass er mir erlauben würde meine Schusswaffe wieder zu tragen, wenn ich ihn fragen würde.
Allerdings seine Regel... naja, ich bin schließlich keine seine Frauen mehr... weder die Nummer Eins noch sonst irgendeine - zumindest nicht, wenn es nach mir geht.
Und dass er mir, nach allem was war, weiterhin in so einem Maße vertraut, dass ich hier mit einem Messer herumspaziere, kann ich mir auch eher weniger vorstellen.
Negan weiß, dass ich mit Messern umgehen kann und zwar ziemlich gut, besser als mit irgendeiner Pistole oder etwas ähnlichem, deswegen überrascht es mich nur noch mehr.
Wenn er denkt, ich würde durch diesen kleinen Vertrauensbonus seinerseits, auf irgendeiner Art und Weise die Saviors bzw. Ihn irgendjemandem vorziehen, dann irrt er sich aber gewaltig!
Aber so dumm ist er nicht, er muss also irgendetwas planen... irgendetwas im Schilde führen!
Und selbst wenn nicht, würde ich mit meinem Messer auf Ihm oder Simon losgehen, wären die Saviors parat um die Beiden zu verteidigen, ich hätte also sowieso keine Chance...

„Natürlich.... und das weißt du auch, Negan."
Er testet mich. Er weiß, dass ich mir nichts mehr gefallen lasse.
Ich meine, er selbst hat es gesagt: die Zeit da draußen, hat mir Eier wachsen lassen.
Wenn ich hier drinnen ausflippe, kriegen es entweder meine Leute draußen oder ich selbst hier drinnen zu spüren.
Und das will er vermutlich sogar, weil es ihm Spaß macht jemanden in die Schranken weißen zu müssen.
Deswegen habe ich immer noch dieses eine Messer.

Während ich aufstehe, entschließe ich mich dazu, die brave Julie zu miemen.
Nicht aus der Reihe zu tanzen, um ihn auch nicht nur den geringsten Anlass bieten zu können, mir meine einzige Waffe... die einzige Sicherheit, die ich hier drinnen habe... zu nehmen.

Ich höre ziemlichen Tumult auf dem Flur, während ich zur Türe gehe.

'Was ist denn hier los?'
Normalerweise ist das Sanctuary ein relativ ruhiger Ort, wenn sich nicht gerade wieder ein Beißer vom Zaun los reist oder einer der „Arbeiter" durchdreht.
Offensichtlich ist Negan mit den Anderen wieder zurück.
„Oh man, ich sag's dir.. der Boss hat es denen aber gezeigt!"
„...bin gespannt ob die sich dran halten werden!"
Diese Beiden und noch mehr solcher Aussagen dringen an mein Ohr, während ich auf dem Weg zu Negan bin.

Lautstarkes Gelächter und Gejohle ist zu hören, als ich an einigen der Saviors vorbeigehe.
Kurz bevor ich an Negan's Türe ankomme, treffe ich auf Simon.
„Hey Prinzesschen!... Ich hoffe du hast gut geschlafen!", sein Gesicht ziert ein ekliges Grinsen.
„Was willst du?", frage ich ihn scharf.
Er schnalzt mit der Zunge und mustert mich.
Ich verschränke die Arme vor der Brust, in Simon's Gegenwart, bin ich nicht die taffe Julie, die der tägliche Kampf ums Überleben aus mir gemacht hat.

„Ich wollte nur nach dir sehen!", seine Stimme trieft nur so vor Sarkasmus.
„Das hast du ja jetzt getan...", gebe ich von mir und will mich an ihm vorbei zur Tür drücken, da spüre ich seine Hände auf meiner Hüfte.
Angewidert drehe ich den Kopf weg, doch bedauerlicherweise gebe ich ihm so meine Ohren-Nacken-Partie frei. Simon vergräbt dort sein Gesicht ihn meinem Haar und zieht scharf die Luft ein.
„Mmmmmh... weißt du noch die guten alten Zeiten?"
Ich versuche mich aus seinem Griff zu befreien, was ihn nur dazu verleitet mich fester zu halten.
Erst Negan's Stimme bringt ihn dazu langsam seine Hände von mir wegzunehmen.
„Simon.... geh und hilf Dwight... unser Gefangener probt einen Aufstand!"

Obwohl ich es nicht will, bin ich unendlich dankbar dafür, dass Negan ausgerechnet jetzt aufgetaucht ist.
Nur widerwillig lässt Simon von mir ab und schlendert lässig den Flur entlang.

Starr vor Entsetzen darüber, was hier gerade ablief, sehe ich immer noch auf die Stelle wo Simon bis eben war.
„Wolltest du zu mir, mein Täubchen?", Negan öffnet die Tür zu seiner Wohnung und bittet mich hinein.
Ich atme erst einmal einige Male durch, um mich zu sammeln.
„Wenn du zu mir wolltest, nur um mich ansehen zu können, das hättest du auch einfacher haben können, dann wär' dir die Sache vorhin mit Simon erspart geblieben."

Ich hebe den Blick und sehe Negan an.
Er steht erwartungsvoll vor mir.
„Wo wart ihr die ganze Zeit?", sprudelt es aus mir raus.
Negan beginnt breit zu Lächeln: „Frische Luft schnappen.", gibt er von sich, während er mit Lucille zum Waschbecken geht.
Ich folge ihm und bleibe ein paar Schritte entfernt stehen.
Als er das Wasser aufdreht und beginnt seinen geliebten Baseballschläger sauber zu machen, stockt mir für einen Augenblick der Atem, denn erst jetzt erkenne ich es:
Der Kopf des Schlägers und der Draht sind über und über mit Blut verschmiert und auch ein paar „Fetzen", die ich nicht zuordnen kann, fallen ins Waschbecken, während der Schläger geputzt wird.
Entsetzt blicke ich zwischen Lucille und Negan hin und her.
Er ist so in seine Arbeit vertieft, dass er es gar nicht bemerkt... zu meinem Glück.
Denn so habe ich die Möglichkeit, ihn zu mustern. Sein Profil genau anzusehen und da sehe ich es:

Einige Blutspritzer sind an seiner Wange und am Hals zu erkennen.
„Was ist passiert?", frage ich und klinge dabei besorgter als ich eigentlich will.
Ich meine Ja!, ich bin besorgt, wegen Rick und dem Rest draußen, aber ich möchte auf keinen Fall dass Negan denkt, ich würde mir um ihn Gedanken machen.

„Ach, da war 'ne riesige Horde von den toten Dreckskerlen.... Lucille hat sich ausgetobt!", gibt er mir lässig als Antwort.

Ich lege die Stirn in Falten: „Das Blut in deinem Gesicht... und die Fetzen an Lucille... sehen aber verdammt frisch aus. Das war niemals von einem Beißer!"

Ich höre wie Negan leise in sich hineinlacht, dann dreht er sich zu mir um: „Es geht alles seinen Gang, Julie... Schon bald wirst du erkennen WER hier das Sagen hat. Rickyboy hat's schon begriffen!"

Mit diesen Worten legt er sich die saubere Lucille wieder um die Schulter und verlässt lässig seine Wohnung. Die Tür steht offen und ich kann ihn lachen hören, während er sich auf dem Weg – wohin auch immer – macht.

Aber ich stehe immer noch hier. Starr vor Angst und Entsetzen.
Denn jetzt bin ich mir sicher, dass das, was an Lucille klebte garantiert nicht von einem Beißer stammte.

The dead beside meWhere stories live. Discover now