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Nur mit Mühe konnte Melinda Sophie daran hindern, den Kerlen hinterherzulaufen und ihnen mit der Axt den Wagen zu demolieren. Sie hörte wie Autotüren ins Schloss fielen. Ein Motor wurde gestartet. Kurz darauf fuhr ein Wagen mit schleudernden Reifen davon.
Sophie schäumte vor Wut. Sie befreite sich aus Melindas Griff und ließ sich auf den Boden fallen. Wie angestochen krabbelte sie über die verschneite Terrasse und sammelte zusammen, was von ihrer Fotoausrüstung übrig war.
»Das darf doch nicht wahr sein! Dieser Arsch! Dieser verdammte Arsch!«
Melinda steckte den Revolver zurück in den Hosenbund und half ihr. Es schneite noch immer heftig. Unter anderen Umständen hätte Jans Garten ein vorweihnachtliches Winterparadies abgegeben. Fehlten bloß noch der Tannenbaum und die Lichterketten.
»Sophie, was geht hier vor? Weshalb schleicht ihr hier herum?«
Schulterzucken.
»Ich habe euch gesehen! Zu zweit! Mit wem bist du hier?«
Sophie blickte in den Garten hinein, als stünde dort die Antwort geschrieben. Dann fuhr sie fort, Glassplitter und Metallteile in ihre Fototasche zu werfen.
»Was meinen Sie? Ich bin allein.«
Melinda stand auf, stemmte die Hände in die Seite und sah auf Sophie herunter.
»Erzähl das deiner Großmutter!«
»Die ist tot.«
»Wolltet ihr Dressler ausspionieren? Warum?«
An der Rückseite der Garage wurde von innen eine Tür geöffnet und Jannik trat heraus. Melinda starrte ihm ungläubig entgegen.
»Jannik, du? Was zum Teufel ...?«
Zippo war bei ihm, der sogleich zu Melinda lief und an ihr hochsprang. Sie freute sich und tätschelte ihm den Kopf. Jannik kam mit hängenden Schultern zu ihnen und musterte den mit Blut besprenkelten Schnee.
»Oh mein Gott, ist das ...?«
Melinda versuchte ihn zu beruhigen.
»Er hat's überlebt und ist bereits auf dem Weg zu Mutti.«
Jannik kratzte sich nervös am Hals.
»Es war meine Idee. Ich habe Sophie hierher gelockt.«
Sophie hob den Kopf. Ihr Blick signalisierte Unverständnis.
»Locken ist hier wohl das falsche Wort! Du hast mich gebeten, dir bei deinem Vorhaben zu helfen, weil ich mich mit einer Kamera auskenne! Es war meine Entscheidung mitzukommen. Kann ja keiner ahnen, dass diese Typen hier auftauchen! Was waren das eigentlich für welche?«
Jannik zuckte mit den Schultern und sah sie unbeteiligt an, woraufhin Sophie ihm einen Vogel zeigte.
»Der Typ hätte mir fast den Schädel eingeschlagen!«

Melinda dachte nach. Ihr Blick fuhr über die Hauswand und blieb an der notdürftig reparierten Wohnzimmerscheibe hängen. Jan hatte ihr erzählt, dass sich die Klinge seiner Axt gelöst und durch die Scheibe geflogen sei, doch die Axt lag wohlbehalten neben Sophie im Schnee. Entweder verfügte Jan über mehrere Äxte oder er hatte sie angelogen.
Sie sah sich das von innen verklebte Loch an. Hier konnte alles mögliche hindurchgeflogen sein. Das Glas war dünn und das Fenster nur einmalverglast.
»Neulich in der Bibliothek hast du mir wirklich sehr geholfen, Sophie! Das heißt aber nicht, dass du dich ohne Absprachen in laufende Ermittlungen ...«
Melinda unterbrach sich. Sie mussten nicht erfahren, was sie über Jan Dressler wusste und was sie über ihn dachte. Die Aktion mit den zwei Schlägern hatte gezeigt, wie schnell Dinge sich verselbständigen konnten.
»Weshalb Dressler?«
Sophie und Jannik drehten die Köpfe weg und schwiegen.
»Hey, ihr zwei! Weshalb Jan Dressler?«
Etwas in ihr schien die Antwort bereits zu kennen. Jannik brach das Schweigen. Seine Wangen hatten die Farbe von Rotwein angenommen.
»Das sind doch alles Schweine! Die haben ihr doch alle an den Hintern gefasst!«
Melinda wusste nicht, wovon er sprach. Sophie starrte ihn irritiert an.
»Die ganze Skatrunde. Alles perverse Grabscher!«
Tränen traten ihm in die Augen. Er ließ sie laufen.
»Du meinst die Skatrunde im Gasthaus? Warum hast du mir nicht schon früher davon erzählt?«
»Erschien mir nicht so wichtig.«
»Und jetzt ist es wichtig?«
»Weiß nicht ...«
Melinda rieb sich die Hände und sprang ein paar Mal auf und ab. Ihr war kalt.
»Hat Dressler Stella auch betatscht?«
Jannik nickte.
»Ständig diese Chauviesprüche, wenn sie an ihren Tisch kam und sie bediente!«
Sophie verzog das Gesicht. Melinda wurde unerwartet warm im Gesicht, was wohl an ihrer anschwellenden Halsader lag.
»Zum Beispiel?«
Jannik dachte nach. Melinda sah ihm an, dass er sich fremdschämte.
»So viele Kurven und ich ohne Bremse. Womit verhüten Emanzen? Mit dem Gesicht.«
Sophie tat, als würde sie sich den Finger in den Hals stecken. Melinda überkam die Lust, Dressler etwas sehr Böses anzutun. Jannik war ein weiterer Spruch eingefallen, doch Melinda hob abwehrend die Hand.
»Danke! Reicht!«
Sie sah Sophie einen großen Stein aufheben und in der Hand wiegen. Ehe Melinda sie daran hindern konnte, schmiss sie ihn durch die Panoramascheibe in Jans Wohnzimmer, wo er mit einem dumpfen Geräusch aufschlug. Sie rieb sich die Hände an der Hose sauber und lächelte zufrieden.
»Jetzt geht es mir schon besser!«

Pilzgericht (Krimi)Where stories live. Discover now