Prolog

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Nina und Sonja erinnerten ihn an zwei wilde Katzen. Eigensinnig, undurchschaubar, angriffslustig und wahnsinnig anziehend. Noch immer lief ihm ein wohliger Schauer über den Rücken, wenn er an den Abend vor zwei Wochen dachte.
Er hatte an der Theke gesessen, an seinem Stammplatz ganz hinten, in der Nähe der Klotüren und des Hinterausgangs. Obwohl die „Rote Zora”, dieser dämmrige Schuppen am Stadtrand, ihm bisher guten Schutz geboten hatte, konnte man nie wirklich wissen, wer hier plötzlich hereinschneite. Bullen, Rechte, ehemalige Weggefährten, die es auf ihn abgesehen hatten, mit gezückter Waffe auf ihn losstürmten und bamm!

Nein, zwei dermaßen scharfe Mäuse hatte er hier noch nicht gesehen. Die meisten Mädels hier hatten grüne oder blaue Haare, die komplett verfärbt und bis zur Unkenntlichkeit verschnitten waren, alles Marke Eigenbau. Löchrige, selbst beschriftete Lederjacken, zerrissene Hosen, Springerstiefel, Ringe in Ohren, Nasenlöchern und Lippen. Das hatte für ihn nichts mehr mit Weiblichkeit zu tun, das war einfach nur zum Abgewöhnen. Wer sagte eigentlich, dass die Revolution unsexy sein musste?
Nina war blond, trug das Haar hochgesteckt. Ihr weites T-Shirt war mit einer hochgereckten Faust bedruckt, die kurze schwarze Hose endete kurz unter ihrem Hintern. Sie trug eine löchrige Netzstrumpfhose und kniehohe Lederstiefel. Eine echte Kämpferin.
Sonja hingegen trug ihr rotes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden. Ihr Outfit bestand aus Bomberjacke, Jeans, Stiefeln und einem Palistinänsertuch. In ihrem Mundwinkel hing eine Zigarillo. Hammerhart! Sie interessierten sich für seine Tattoos, wollten wissen, weshalb er diesen Hund am Hals, den Drachen im Nacken, den Bären auf dem rechten und den Löwen auf dem linken Unterarm trug. Er erzählte es ihnen, lies kein Detail aus, während die Bierchen und Schnäpschen über die Theke wanderten.

Sie kamen fix zur Sache. Ob er an einer Aktion interessiert sei, so was Richtigem, nicht diesem Pillepallekram wie Scheiben einwerfen, Autos anzünden und sowas, etwas Echtem, etwas, das die Dinge endlich mal nach vorne brachte! Die Herrschenden ließen sich mit Dauergequatsche und Demos nicht bekehren, das hatten schon Baader und Meinhoff begriffen. Die Herrschenden verstanden bloß eine Sprache: die Sprache der Gewalt.
Alles was sie brauchten war Geld, und dann ab in den Untergrund. Sie hätten gehört, er könne Waffen besorgen.

Zuerst glaubte er, sich verhört zu haben, doch je mehr die beiden auf ihn einredeten, desto überzeugter war er, dass sie es ernst meinten. Sehr ernst sogar.

Nie im Leben hatte er geglaubt, dass es so schnell gehen würde. Wie viele Ideen hatte er entwickelt und am Ende wieder verworfen! Wie viele treue Genossen waren fest zu einer Aktion entschlossen gewesen, nur um im letzten Moment doch den Schwanz einzuziehen.
Und jetzt kamen diese beiden hübschen Ladies hier hereinspaziert, knallten ihm ihre Pläne auf den Tisch und baten ihn um Unterstützung! Verkehrte Welt! Vielleicht gab es da oben über den Wolken doch noch mehr als kalten luftleeren Raum und vielleicht meinte es dieses ominöse Etwas gut mit ihm.
Er musste nicht lange nachdenken, er sagte Sonja und Nina spontan zu.

Sie trafen sich von nun an jeden Abend, immer zur selben Zeit in der hintersten Ecke der „Roten Zora", um an ihren Plänen zu feilen. Nicht immer waren sie sich einig, einiges schätzte er anders ein als Nina und Sonja, anderes verwarfen sie gemeinsam, manchmal ließen die beiden sich von ihm überzeugen. Je länger sie sich jedoch kannten, desto deutlicher wurde: Nina und Sonja bestimmten, wo es lang ging. Er ließ es sich gefallen, schluckte seinen Widerspruch herunter. So eine Gelegenheit bekam er nicht noch einmal. Sie brauchten ihn. Er war der Waffenmeister. Ohne Waffe konnte man keinen Supermarkt überfallen.

Jetzt saß er in dieser Rostlaube, hörte Radio und rauchte. Fünfzehn Minuten hatten sie sich für die Aktion gegeben. Fünfzehn Minuten. Nicht mehr. Er sah auf die Uhr. Zehn Minuten waren schon vorbei. Der Parkplatz war menschenleer. Dünne Straßenlampen warfen ihr orangefarbenes Licht auf nassen Asphalt. Sobald Nina und Sonja im Hintereingang auftauchten, wollte er losfahren und sie einsammeln. Doch sie kamen nicht.

Noch drei Minuten.

Er spürte erste Zweifel. Zweifel, die sich schon bei ihrer ersten Begegnung tief in seinem Inneren geregt hatten, die er sich jedoch nicht hatte eingestehen wollen. Es war ein gutes Gefühl, gebraucht zu werden.
Diese zwei hübschen Ladies, waren sie brutal genug, das hier durchzuziehen? Wieder blickte er auf die Uhr. Vierzehn Minuten. Jetzt mussten sie langsam auftauchen.
Nach weiteren fünf Minuten hielt er es nicht mehr aus. Er fuhr den Wagen hundert Meter näher an das Gebäude heran und parkte ihn hinter einem dichten Gebüsch neben einem vollgestopften Mülleimer. Aus dem Handschuhfach nahm er die Pistole und steckte sie in die Jackentasche.
Die Tür des Hintereingangs, durch die Sonja und Nina vorhin verschwunden waren, war nur angelehnt. Er schlüpfte hinein und stand in einem spärlich beleuchteten Gang. Wo steckten die beiden? Was hielt sie auf? Weshalb kamen sie nicht wie verabredet zurück? Seines Wissens nach hielten sich um diese Zeit nur vier Personen im Markt auf. Der Wachdienst, zwei Mitarbeiter und die Filialleiterin. Mit zwei Schrotflinten ließen die sich doch locker in Schach halten!

Schüsse knallten durchs Gebäude. Er hörte Rufe. Hinter ihm sprang eine Metalltür auf und traf ihn am Rücken. Jemand schubste ihn. Er fiel zu Boden und schlug sich den Kopf an einem Müllcontainer. Er schmeckte Blut. Jemand riss an seiner Jacke.

„Komm hoch, Mensch! Komm hoch!"

Das war Nina. Er sah eine Hand. Die kurzen Nägel. Einen Unterarm. Darauf der tätowierte Bär. Sein Bär.

„Lass ihn liegen! Wir müssen hier raus!"

Sonja. Noch einmal bekam er die Augen auf, sah ihren Nacken und den tätowierten Hund darauf. Seinen Hund.
Das konnte nicht sein! Sie wollten ihn hier doch wohl nicht so liegenlassen? Er versuchte sich aufzurichten, tastete nach seinem Ohr. Es schmerzte schrecklich. Der Kopf brummte wie ein Bienenschwarm im Angriffsmodus. Eine weitere Person trat an ihn heran, rammte ihm die Fußspitze in die Nieren. Dann ein kräftiger Schlag, wieder aufs Ohr. Sein Blick wurde trüb.

Bevor er das Bewusstsein verlor, fiel ihm mit Schrecken ein, dass der Autoschlüssel noch im Zündschloss steckte.

Pilzgericht (Krimi)Where stories live. Discover now