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Arndt stand vor dem großen dunklen Fenster seines Büros und blickte hinaus ins Schneetreiben. Die Schreibtischlampe tauchte den Raum in ein spärliches Licht. Es war wieder spät geworden. Bea hatte schon vor Stunden das Präsidium verlassen, sie wollte noch ein paar Zutaten fürs Abendessen besorgen. Bullerjahn hatte vor einer Stunde den Mantel übergezogen und war ihr gefolgt.

Skagen saß auf seinem Hotelzimmer, telefonierte mit seiner Frau in Lund und klagte ihr sein Leid. Die Ermittlungsarbeit der Kollegen in Deutschland empfand er als zu langwierig und zu unstrukturiert. Sie dachten nicht quer, ließen keine Kreativität zu. Seine Begegnung und das Gespräch mit den Jungen im Wald, das sichergestellte Lolli-Papier, sie hatten es einfach ignoriert. Stellas Zimmer, was war mit dem Zimmer? Skagen wurde das dumme Gefühl nicht los, dass sie es noch immer nicht gründlich genug untersucht, sie wichtige Dinge übersehen hatten. Was war mit Stellas Eltern in Dänemark? Hatten Bullerjahn und Arndt sie inzwischen ausfindig gemacht?

Die zwei Stellwände neben dem Besprechungstisch hatten sie durch eine dritte ergänzen müssen. Arndt hatte darauf bestanden, jedes noch so geringe Detail im Fall Stella Blume aufzuschreiben und darauf zu befestigen. Irgendwann hatte der Platz nicht mehr ausgereicht. Ein unwissender Betrachter konnte anhand der Materialfülle zu dem Schluss kommen, dass sie den Fall im Griff, den Täter oder die Täterin eingekreist hatten und eine Lösung in Sicht war.
Das Gegenteil war der Fall. Arndt fühlte sich geheilt und hochgradig beflügelt, Melinda stand jedoch offiziell nicht weiter zur Verfügung, Bullerjahn arbeitete nur noch im Standby-Modus und Skagen fehlte der Durchblick. Seine merkwürdige Aussprache und seine gewöhnungsbedürftigen Sprichwortverdreher waren da das geringste Problem. Bea schließlich schien mehr mit ihren Romanhandlungen, als dem Geschehen im Präsidium beschäftigt zu sein. Was war los in diesem Laden? Spielten sie alle bloß Kriminalpolizei?

Die Antwort lag auf der Hand. Sie waren zu wenige und der Fall eine Nummer zu groß. Christiansen hatte für kommende Woche Dienstag eine Pressekonferenz anberaumt. Am selben Tag sollten die Spezialisten aus Hannover kommen. Die zugesagte Verstärkung aus Northeim war noch vor ihrem Eintreffen wieder abberufen worden, was Bullerjahn erwartet hatte. Er bezweifelte, dass die Kollegen aus Hannover eine Hilfe waren. Seine Begründung: sie kennen weder diese Gegend, noch die Leute und was dort oben im Wald vorgeht, verstehen sie erst recht nicht.

Die Gewissheit, dass Melinda zu diesem Zeitpunkt allein in ihrem Krankenhauszimmer saß und in absehbarer Zeit auch nicht wieder in den Dienst zurückkehrte, bereiteten ihm Bauchschmerzen. Erneut trat Arndt vor die Stellwand, betrachtete Stellas Bild und fuhr mit dem Finger die Verbindungslinien zu Jannis Gramberg, dem Gasthaus, Dressler und den Details des Tatorts entlang.

Was weiß ich eigentlich über Stella Blume? Erschreckend wenig. Was weiß ich über Melinda Sieben? Eine ganze Menge!

Arndt schnappte seine Jacke von der Garderobe und löschte das Licht
im Büro. Dann lief er hinunter zum Parkplatz, sprang in seinen Wagen und fuhr zum Krankenhaus. Die Scheibenwischer stellte er auf höchste Stufe. Auf der Straße stand das Wasser und knallte bei jeder Pfütze unter die Karosserie.

Es will Winter werden. Mit aller Macht. Doch es ist zu warm. Welch ein Kampf! Gibt es eigentlich noch Pilze? Ich hätte Lust, welche pflücken zu gehen. Stellas Korb war vollgefüllt mit Pilzen. Wenn sie welche gefunden hat, dann sollte mir das auch gelingen!

Die Fahrt schien ewig zu dauern. Links tauchte der dunkle Streifen des Stadtwalds auf, links die weiß gestrichenen Einfamilienhäuser. Zwei Jugendliche mit Bierflaschen in der Hand und einem Holzschlitten im Schlepptau standen am Straßenrand und prosteten sich zu.

Nach der nächsten Kurve kam das Krankenhaus in Sicht. Gelb getünchte Mauern, rote Ziegeldächer, hell erleuchtete Fenster. Ein Sanitätsfahrzeug bog mit eingeschaltetem Blaulicht vom Hof und schoss an Arndt vorbei. Schmutziges Wasser spritzte gegen die Fahrertür und ergoss sich über die Windschutzscheibe. Arndt musste abbremsen und warten, bis er wieder klar sehen konnte.

Pilzgericht (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt