Kapitel 7

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"Wieso bist du eigentlich so besorgt um mich? Mir geht es wirklich gut, Mila. Keine Sorge", versichere ich ihr noch einmal klipp und klar nachdem ich das schon gefühlte hundertmal getan habe. Sie tut so als wäre ein kleines Mädchen, welches alleine zu Hause sitzt und von der Mutter jede Minute angerufen wird, ob auch wirklich alles in Ordunung ist. Ich weiß Mila's Angst wirklich sehr zu schätzen, aber langsam übertreibt sie wirklich. Dabei bin ich schon 19 Jahre alt und kann schon mein eigenes Leben führen, wer es glaubt oder nicht.

Nach kurzem Überlegen habe ich beschlossen, da es noch früh am Morgen ist, dass ich nach Starbucks gehe und dort etwas trinke. Ich habe momentan keine Lust mir irgendetwas selbst zu machen, weil mir das Telefonat mit Mila noch im Kopf spuckt. Im Starbucks angekommen, bestelle ich mir zuerst eine Tasse Tee und genieße diese, während ich dabei aus dem Fenster schaue und die ganzen Menschen beobachte. Echt überwältigend wieviele Menschen hier täglich unterwegs sind, aber langsam gewöhne ich mich dran. Jetzt bin ich ja auch schon eine ganze Weile hier in London. Wie schnell doch die Zeit vergeht. Es kommt mir vor wie gestern.

Ich sitze noch eine ganze Weile hier in Starbucks und genieße hier die Atmosphäre. Ich mag es nicht, wenn ich zu Hause sitze und alles still ist. Dann komme ich mir immer so alleine vor und das Gefühl versuche ich zu vermeiden, denn dann bin ich meistens nicht mehr so gut gelaunt. Früher war ich immer gut gelaunt und mochte echt gerne zur Schule gehen auch wenn das die meisten gerade nicht nachvollziehen können und mich darum für bescheuert halten. Nach dem Tod meiner Eltern, habe ich mich sehr auf die Schule fokussiert. Ich musste mich mit irgendwas ablenken, sonst wäre ich irgendwann durchgedreht und das war dann die Schule. Stundenlang saß ich in meinem Zimmer, machte Hausaufgaben, recherchierte im Internet und lernte für Klausuren, weshalb ich dann auch sehr gute Noten bekam. Alle unternahmen etwas mit ihren Freunden, während ich in meinem Zimmer hockte und nur für die Schule lernte. Im Nachhinein weiß ich, dass das nicht besonders klug von mir, aber ich wollte niemanden sehen und mit niemanden reden. Ich war einfach zu schwach, hatte keine Kraft irgendjemanden anzusprechen und zu fragen, ob jemand etwas mit mir unternehmen möchte. Bis eines Tages der Sohn von der Nachbarin meiner Tante kam. Lucas. Er wusste natürlich von dem Unglück und hat mich sozusagen gezwungen, dass ich aus meinem Zimmer komme. Dank ihm, habe ich gemerkt, dass es nichts bringt, mich in meinem Zimmer einzusperren und mich aus der Außenwelt zu entfernen. Wir haben in der Zeit sehr viel zusammen gemacht. Ich bin echt froh, dass ich ihn als meinen besten Freund nennen darf. Ich lächele leicht, als mir die ganzen Erinnerungen in den Kopf kommen. Ich muss mich mal wieder bei ihm melden. Seitdem ich hier bin, habe ich noch nichts wieder von ihm gehört. Ich sehe sein enttäuschtes Gesicht noch vor mir, wie ich das Dorf verlassen habe. Er war wirklich traurig, dass ich weggegangen bin. Dort hatte er auch fast nur mich als Freundin. Viel mehr Leute, die in unserem Alter sind, leben dort nicht.

Bis zu meinem 12. Lebensjahr, als meine Eltern starben, lebte ich noch in einer einigermaßen großen Stadt. Zwar auch nicht mit so vielen Einwohnern, aber deutlich mehr als in dem Dorf bei meiner Tante. Dort habe ich auch Mila kennengelernt. Wir lebten bis zu dem Zeitpunkt noch in derselben Stadt. Danach zog ich zu meiner Tante etwa 100 Kilometer entfernt von meiner Heimat, in ein kleines Kaff am Ende der Welt. Dort hatte ich dann so gut wie niemanden. Mila kam dann eine Zeit lang mit zu meiner Tante auf den Hof und blieb bei mir. Danach musste ich natürlich auch wieder zur Schule, aber auf eine andere wechseln, die ein paar Kilometer entfernt vom Dorf war. Vorher mochte ich die Schule wirklich überhaupt nicht, aber dann habe ich mich so sehr in die Schule vertieft, sodass ich den Rest des Lebens verdrängte und ignorierte. Mila kam dann auch nicht oft, als ich 14,15,16 Jahre alt war. Es gab eine Zeit in der wir keinen Kontakt haben, aber Gott sei Dank hat sich das schnell wieder geändert. Lucas war der Einzige, der mich verstanden hat und einfach nur bei mir war. Mehr wollte ich auch gar nicht. Einfach nur jemanden bei mir haben. Und er war da. Mila dann später natürlich auch wieder. Und jetzt bin ich hier in London.

"Vielen Dank für Ihren Besuch. Auf Wiedersehen", verabschiedet sich die nette Bedienung von mir, woraufhin ich den Laden verlasse. Nun stehe ich draußen, bleibe auf einem Fleck stehen und atme tief ein und wieder aus. Wo soll ich denn jetzt hin?

...

Jetzt sitze ich hier im Schneidersitz auf der Couch und halte nervös mein Smartphone in der Hand. Soll ich oder soll ich nicht? Ich habe mich vorhin dazu entschlossen, Lucas anzurufen. Aber jetzt weiß ich nicht, ob ich es doch machen soll. Ich habe so Angst, wie er reagieren wird. Nachdem ich Starbuchs verlassen habe, bin ich direkt nach Hause gelaufen und habe mir auf dem Weg noch eine Zeitung beim Kiosk gekauft. Später will ich mal darin gucken, ob es interessante Jobs für mich gibt. Zittrig sitze ich hier nun und überlege nur noch, ob ich es jetzt wirklich machen soll. Nervös hebe ich meine Hand und wähle seine Nummer. Ich mache es jetzt. Schlimmer kann's nicht werden. "Berger", kommt nach zweimal mal Klingeln seine vertraute Stimme zum Vorschein. Lucas Berger. Ich sehe ihn direkt vor meinen Augen, wenn ich an seinen Namen denke. "Hallo?", fragt er. "Hallo!", antworte ich nervös. Kurze Zeit herrscht Stille. "Isabella?", fragt er erschrocken. "Lucas", lächele ich. "Bella, du bist es. Ich dachte schon, ich werde nie wieder etwas von dir hören", gesteht er enttäuscht. Oh man, wieso habe ich mich nicht eher gemeldet? - Hätte ich gewusst, wie sehr er sich darüber freut, dann hätte ich schon viel eher angerufen. "Wie geht's dir?", frage ich leise. "Joar, wie man's nimmt. Hier ist es so still ohne dich. Und wie geht es dir? Fühlst du dich wohl? Geht es dir besser? Wie ist London?", sprudeln tausend Fragen hintereinander aus seinem Mund. "Mir geht es gut. London ist wirklich sehr schön und groß, sehr groß", lache ich und mache eine kurze Pause. Ich höre sein Lachen am Ende der Leitung. "Mila hilft mir so gut sie kann. Es ist noch etwas ungewohnt und manchmal denke ich mir, ob es auch wirklich richtig war, aber ..", rede ich einfach drauf los und weiß nicht wie ich fortfahren soll. "Du brauchst nichts weiter sagen, ich glaube es dir. Ich will nur das es dir gut geht, Isabella. Ich will nicht, dass der Kontakt zwischen uns abbricht. Du bist meine Freundin, ich kann nicht ohne dich und das weißt du auch. Bitte", öffnet er sich mir gegenüber seinen Gefühlen. "Lucas, es tut mir wirklich leid, dass ich nicht eher angerufen habe. Ich will auf keinen fall den Kontakt abbrechen, im Gegenteil. Du musst mal hierher kommen und mich besuchen. Oder ich komme zu dir. Mila ist momentan auf Fortbildung, ich bin alleine in der Wohnung und weiß langsam nicht mehr was ich machen soll", lache ich. Ich höre sofort sein Lachen im Telefon und muss noch mehr grinsen. Es ist einfach schön mal wieder seine vertraute Stimme zu hören.

Wir reden noch eine ganze Weile über mein Leben und über seines. Er hat mir auch noch ein wenig über den Hof erzählt, dass das wohl jetzt zum Verkauf steht und viele zum Besichtigen kommen. Ich bin mit Lucas so verblieben, dass er mich bald wieder anrufen wird und wir vielleicht mal ein Treffen abmachen. Mal schauen, was die Zukunft so bringt.

'qualifizierte Arbeitskraft für das Reinigen einer Firma', bekomme ich hier zu lesen. Jeder 3. Beruf hat irgendetwas mit Reinigung oder Service zu tun. Ich gehe nun schon zum 2. Mal die Liste der aktuellen möglichen Jobs durch, die in der Zeitung enthalten ist. Mit einem Textmaker markiere ich ansprechende Stellenangebote und esse währenddessen einen Apfel. Es kann doch nicht sein, dass ich soviel in der Schule getan habe und wirklich gute Noten hatte und nun in der Reinigungsabteilung lande? Vielleicht sollten ich Bewerbungen wegschicken und dann mal gucken, ob ich zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen werde, weil solche Jobs kann ich nicht nehmen.

Nun sitze ich erneut auf der Couch, schaue ein wenig fern und schreibe ab und zu mit Mila. Ich habe mich vorhin bei ihr entschuldigt, dass ich am Telefon nicht besonders nett zu ihr war und ich natürlich weiß, dass sie es nur gut meint mit mir. Daraufhin hat sie geschrieben, dass sie auch übertrieben hat und es ihr Leid tut. Sie akzeptiert es und wenn ich etwas auf dem Herzen habe, komme ich zu ihr und sage ihr es. Mila ist einfach die Beste Freundin die man sich wünschen kann und Lucas ist ebenfalls ein sehr guter Freund! Meine einzigen 2 Bezugspersonen in meinem Leben.

Love Me Harder | h.sWhere stories live. Discover now