Kapitel 3

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Heute ist wieder so ein Tag, den ich öfters habe. Meine Laune ist nicht besonders gut, bin genervt und will einfach nur meine Ruhe haben. Ich könnte mich jetzt so in die Ecke verkriechen und einfach nur weinen, wenn ich darüber nachdenke, dass mein Leben ein reinster Scherbenhaufen ist. Ich vermisse einfach so sehr die Menschen, denen ich einmal sehr nahe war. Meine Familie, meine Verwandten. Eigentlich existiert noch eine Person von meiner Familie. Meine Cousine. Jedoch habe ich keinen Kontakt zu ihr. Sie lebt in den Vereinigten Staaten, genauer gesagt in New York. Mehr weiß ich nicht. Sophie ist die Tochter von Tante Betty. Sie kam nicht zur Beerdigung ihrer Mutter, obwohl ich sie angerufen hatte und ihr davon erzählt habe. Sophie war nicht sehr daran interessiert, dass ihre Mutter gestorben ist. Sie beide hatten vor einiger Zeit einen sehr schlimmen Streit. Leider weiß ich nicht worum es bei diesem Streit ging. Es würde mich wirklich interessieren, was der Grund dafür ist, dass Sophie nicht einmal über ihren Schatten springen kann, wo sie doch weiß, dass sie gestorben ist. Tante Betty hat ziemlich daran gelitten, das habe ich gemerkt. Aber nach einer Zeit hat sie, so wie ich es empfunden habe, nicht mehr getrauert sondern mich irgendwie als ihre Tochter gesehen. Sie war wie meine Mutter, obwohl sie es nicht war. Sie war die Schwester meiner Mutter und sah ihr deswegen auch ein wenig ähnlich. Vielleicht habe ich mich deshalb bei ihr so wohl gefühlt und sie als meine Ersatzmutter gesehen? Weil ich wusste, dass ist die Schwester meiner Mutter. Sie kannten sich und sahen sich ziemlich ähnlich. Auf solche kleinen Dinge habe ich damals wirklich geachtet. In so einer Situation denkt man an die kleinsten und unmöglichsten Sachen, das weiß ich jetzt aus eigener Erfahrung.

Als ich Sophie eine Woche später nach Tante Bettys Tod angerufen habe und ihr davon erzählt habe, klang sie ziemlich gelassen. Mich hat ihre Reaktion sehr geschockiert und verwundert. Ich meine, ihre Mutter ist gestorben. Sie wird sie nie wieder sehen. Ist das, was zwischen ihnen vorgefallen ist, so schlimm, dass ihr sogar der Tod egal ist? Ich habe das nie verstanden und werde es auch nie verstehen.

Sophie und ich haben uns früher eigentlich sehr gut verstanden. Von meiner Mutter weiß ich, dass wir früher als Babys oft unzertrennlich waren. Sophie ist ein paar Jahre älter als ich. Sie ist 23 Jahre alt. Auch vor knapp 2 Jahren waren wir noch gut miteinander befreundet. Wir haben oft miteinander telefoniert und geschrieben, aber das wurde nach einer Zeit immer weniger. Der Kontakt löste sich. Ich schrieb ihr dann später noch einmal, doch sie antwortete mir nicht. Keine Ahnung was ich ihr getan habe. Vielleicht weil ich bei ihrer Mutter lebte? Hatte sie ein Problem damit? Als sie dann 18 wurde, hatte sie nichts besseres zu tun, als ihre Tasche zu packen und zu verschwinden. Es zerriss Tante Betty das Herz, das merkte ich sofort, auch wenn sie es nicht zugeben wollte.

Durch das Klingeln meines Handys werde ich aus den Gedanken an meine Tante gerissen. "Isabella, wo bist du?", ertönt die Stimme von Mila. "Ich bin hier irgendwo in einem Park und sitze auf einer Bank. Wieso fragst du?", frage ich verwirrt nach. "Ich bin zu Hause und du bist nicht da. Ungewohnte Situation, nachdem du nun schon seit einer Woche bei mir bist, findest du nicht?", lacht sie. "Ja das stimmt, ich komme gleich. Ciao", verabschiede ich mich von ihr und lege mein Handy wieder in meine Jackentasche. Erst jetzt bemerke ich, dass es schon dunkel wird. Ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass es bereits 18:23 Uhr ist. Mila war heute wieder arbeiten und da wollte ich ein wenig spazieren gehen. Wie gesagt, heute ist nicht so mein Tag.

Nachdem ich noch ein wenig das schöne Wetter genossen habe, mache ich mich dann auch auf den Weg nach Hause. In dieser einen Woche habe ich wirklich schon viel hier ausfindig machen können. Ich bin schon öfters einkaufen gewesen und mit der Bahn zu verschiedenen Stationen gefahren. Langsam fühle ich mich hier wohl und akzeptiere es. Ich akzeptiere, dass ich ein neues Leben anfangen werde. Alleine.

"Hey, bin wieder da", rufe ich durch die Wohnung und schließe die Wohnungstür. Sofort steht Mila im Flur und lächelt mich an. "Alles in Ordnung mit dir?", fragt sie. "Ja klar alles gut", antworte ich stirnrunzelnd, hänge meine Jacke an die Garderobe und laufe an ihr vorbei rüber ins Bad. Ich stütze meine Arme am Waschbecken ab und atme genervt aus. "Was ist denn los, Bella?", überrascht mich Mila. Sie steht am Türrahmen und schaut mich an. Ich meide den Blickkontakt. Ich stütze mich am Waschbeckenrand ab, drehe den Wasserhahn auf und spritze ein wenig Wasser an mein Gesicht und schaue hoch in den Spiegel. Wenn ich mich so ansehe, komme ich mir total fremd vor. "Hey", kommt Mila zu mir, während mir immer mehr Tränen aus den Augen fließen. Ungewollt. "Bella, wieso redest du nicht mit mir?", murmelt sie. Ich drehe mich zu ihr um, sodass ich nun in ihre Augen schauen kann. "Was soll ich denn sagen? Mein Leben ist scheiße, ich will nicht mehr?", Schreie ich unter Tränen. Sie nimmt mich sofort fest in die Arme. Und erst nach und nach merke ich, was ich gerade getan habe. "Es tut 1mir leid", flüstere ich. Ich wollte sie nie so anschreien. "Du musst dich nicht entschuldigen. Ich kann dich wohl verstehen", antwortet sie und wir lösen und wieder voneinander. "Du kannst immer mit mir reden. Egal wie es dir geht, ja?", schaut sie mir tief in die Augen. Ich nicke nur. Das weiß ich ja, aber ich bin nicht gut darin, meine Gefühle auszusprechen.

Love Me Harder | h.sWhere stories live. Discover now