25. Der Platzverweigerer und der Kenner von Welt

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Als die Schiebetüren zugingen und der Zug losfuhr, konnten wir einmal durchatmen. Ich fragte die Gruppe, die sich ratlos umsah: „Hat jeder seinen Sitznachbarn?" Verwirrte Blicke flogen umher und Sasha machte: „Hä?" Nüchtern erklärte ich: „Vermisst jemand jemanden?" Nachdem sich jeder kurz umgesehen hatte, folgte allgemeines Kopfschütteln. „Wunderbar, dann sucht euch einen Platz zum Sitzen", meinte ich und deutete in das beinahe leere Untergeschoss des Zuges.

Ich fühlte mich wie eine Kindergartentante als ich unseren Freunden dabei zusah, wie sie sich durch den Gang schoben, diskutierten wer mit wem zusammensaß und wie Levi sich darüber beschwerte, dass man ja nicht wissen konnte, mit was alles dieser Sitz schon in Berührung gekommen war.

Ruby, die vor mir im Gang stand und das Getümmel ebenfalls überschaute, fragte plötzlich: „Wo ist Hanji?" Ich sah skeptisch auf die Leute, fand aber unseren hyperaktiven Wuschelkopf nirgends. Auch die anderen, die vereinzelt noch standen, sahen sich nach der Wissenschaftlerin um, konnten sie aber ebenfalls nicht entdecken. Ich schaute aus dem Fenster, konnte aber nur noch die immer schneller vorbeirauschenden Sträucher sehen. Wir hatten doch jetzt nicht ernsthaft Hanji vergessen?!

Levi, der nach wie vor im Gang stand und sich weigerte sich hinzusetzen, murmelte augenverdrehend: „Nirgendwo kann man mit ihr hingehen." „Mit wem?", fragte eine Stimme hinter mir so urplötzlich, dass ich zusammenzuckte und mich so schnell umdrehte, dass ich leichtes Übergewicht nach hinten bekam. Ich fiel um wie ein Stein und landete auf Ruby, die zwar versuchte mich abzufangen, aber dabei selbst zum Dominostein wurde. Ich sah uns schon wie zwei gefällte Bäume am Boden liegen und uns beschweren, dass wir nicht weiterkamen als eine am Rücken liegende Schildkröte, da wurde unser Fall gestoppt.

Mit Levis abfälliger Frage „Seid ihr eigentlich zu irgendetwas fähig?" wurden wir wieder in die Senkrechte gebracht und Hanji erschien in meinem Blickfeld. Beleidigt drehten wir uns zu Levi und Ruby meckerte: „Fähig genug, um außerhalb der Mauern zu überleben." Ohne ihn noch einmal anzusehen, ging sie an ihm vorbei und ließ sich schnaubend neben Connie auf einen Viersitzer fallen.

Mit hochgezogener Augenbraue sah der Miesepeter ihr nach, ehe er zu mir sah. Schnaubend drehte ich mich wieder von ihm weg und zog Hanji am Arm zu Ruby und Connie, während ich ihr erzählte: „Wir dachten schon, wir hätten dich vergessen." Levi ignorierte ich gekonnt. Immerhin war ich noch lange nicht so schlagfertig wie Ruby. Wenn man es vergleichen wollte, würde ich sagen, Ruby wäre ein Känguru und ich ein fluffiger Koala.

Der Gedanke brachte mich zum Grinsen, verpuffte aber wie Grishas Traum die Eldia zu befreien als Zeke ihn verraten hatte, als Hanji mir zugrinste: „Keine Sorgen, mich werdet ihr nicht so schnell los. Ich werde an euch kleben wie eine Klette, bis ich auch noch das letzte bisschen von eurer Welt gesehen habe." Wir ließen uns auf die gepolsterten Sitze fallen und Ruby und ich begannen herzhaft zu lachen. „Dafür reicht kein einzelnes Leben", lachte Ruby. Interessierte Blicke wurden uns von rundherum zugeworfen. „So groß kann eine Welt doch gar nicht sein", meinte Jean. Ich grinste zu ihm und seiner Gruppe bestehend aus Sasha und Armin und zählte auf: „Na ja, unsere Welt hat fast 200 Länder. Jedes Land mit anderer Kultur, die sich innerhalb des Landes auch noch einmal unterscheiden kann. Es gibt zwar Sprachen, die in mehreren Länder gesprochen werden, sich aber so weit verändert haben oder einen so unverständlichen Dialekt haben, dass sie dann schon als eigene Sprache zählen. Dann hätten wir noch Wüsten, Vulkanlandschaften, Eisfelder, Tropen, Wälder, Sümpfe und so weiter und so fort. Das Meer haben wir bis heute noch nicht fertig erforscht und vom Weltall fange ich erst gar nicht an." Auffordernd sah ich zu der Pferdefresse, klimperte unschuldig mit den Augen und setzte fort: „Und das sind nur die geografischen Dinge. Von der Technik und Mechanik und Genetik und Biologie und ..." „Ist ja gut, ich hab's verstanden", nuschelte Jean in seinen nicht mal ansatzweise vorhandenen Bart.

Zufrieden überschlug ich die Beine und sah zu Levi, der noch immer im Gang stand und uns beobachtete. Augenverdrehend stand ich auf und ging an Levi vorbei, nur um mich in seinen Rücken zu stemmen und mit aller Kraft zu meinem leeren Platz zu schieben.

Als er mit verschränkten Armen abfällig auf den abgesessenen, mittelblauen Sitz schaute und dann zu mir sah, deutete ich auf den Platz und befahl: „Hinsetzten." Unbeeindruckt blieb er stehen: „Nein." „Doch", erwiderte ich. Er zog eine Augenbraue hoch. Man konnte ihm den Gedanken ansehen, den er gleich darauf aussprach: „Willst du mich zwingen?" Ich wechselte die Strategie, wobei ich stark bezweifelte, dass ich ihn überzeugen konnte: „Nein, so gut wie du bin ich nicht. Du bist einfach zu perfekt." Ich lächelte mein bestes Engelslächeln und setzte den niedlichsten Hundeblick auf, den ich zu bieten hatte. Nebenbei ließ ich mich auf den leeren Platz neben Sasha plumpsen und überging Rubys und Hanjis Lachen.

„Tz", machte Levi und blieb stur auf den Füßen. Mein Gesichtsausdruck wechselte zu genervt und ich überschlug wieder die Beine. „Dann eben nicht", schnaubte ich und blickte an Sasha vorbei aus dem Fenster.

Als ich das unverkennbare Geräusch der Verbindungstür zwischen den Waggons vernahm, sah ich auf und wie erwartet, steuerte ein Schaffner auf uns zu. Auch Ruby hatte den Uniformierten entdeckte und deutete den anderen, dass sie die Zettel, die wir am Bahnhof verteilt hatten, zur Hand nehmen sollten. Etwas umständlich kramten sie nach den Papieren, aber das war auch schon die einzige Problematik, die es bei der Kontrolle gab.

Die restliche, knapp einstündige Zugfahrt wurde viel gequatscht und erzählt. Es erinnerte mich irgendwie an die gemütlichen Abende im Gemeinschaftsraum. Und ich sonnte mich geradezu in dieser heimeligen Atmosphäre.

Attack on Titan becomes reality 2 - Willkommen in der RealitätWhere stories live. Discover now