"Ich will auch, dass du bleibst."

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Nachdem die Sonne am Horizont verschwunden war, blieben wir noch eine Weile so stehen, bis plötzlich Johns Handy klingelte. Langsam wich er ein Stück von mir zurück und zog sein Handy aus der Hosentasche. Sein Blick verfinsterte sich, als er auf das Display blickte und er zögerte kurz, bevor er ranging. "Hallo?" Seine Stimme klang belegt. Er ging ein paar Schritte weg von mir, sodass ich ausser Hörweite war. Ich betrachtete ihn kritisch, wie er unruhig hin und her ging. Wer war das bloss? Nach wenigen Sätzen kam er wieder auf mich zu und ich konnte noch hören wie er sagte "Bin gleich da.", bevor er auflegte. Ich sah ihn verwirrt an. "Was ist los?" Langsam machte ich mir Sorgen. "Ich muss nochmal weg. Geht nicht anders, sorry.", erklärte er mir. Er wirkte unruhig. "Alles okay?", hakte ich nochmals nach. "Jaja, alles gut. Ist nur so 'ne Sache, die ich erledigen muss.", versicherte er mir bevor er anfing, auf seinem Handy herumzutippen. "Passt es für dich, wenn ich dich wieder zu Raf bringe?" Ich nickte. "Ich kann auch alleine zurückfahren.", bot ich ihm an. Er sah mich skeptisch an. "Denkst du echt ich lass' dich hier einfach stehen?" Bevor ich noch etwas einwenden konnte, nahm er mich an die Hand und zog mich sanft mit in Richtung U-Bahn Station. Wir gingen zurück zum Studio, wo sein Auto stand, um damit zu Raf zu fahren. Während der Fahrt schwieg er und starrte konzentriert auf die Strasse. Die ganze Sache kam mir seltsam vor, aber ich fragte nicht nochmals nach. Es ging mich schliesslich auch nichts an. Er begleitete mich nach oben zu der Wohnung und drehte sich vor der Eingangstür zu mir um. "Danke für deine Hilfe heute. Und sorry nochmal. Ich meld' mich bei dir, ja?", sagte er mit ernster Miene. Ich nickte und setzte ein Lächeln auf. "Alles gut.", beteuerte ich ihm, obwohl ich ein ungutes Gefühl hatte. Er zog kurz einen Mundwinkel hoch und klingelte dann an der Tür. Es dauerte nicht lange, bis Raf aufmachte und uns begrüsste. John hatte ihn wohl schon vorgewarnt. John zog mich kurz mit einem Arm an sich zum Abschied und nickte währenddessen in Richtung Flur, um Raf anzudeuten, dass er mitkommen soll. Kurz darauf verschwanden die beiden um die Ecke und ich konnte nur noch undeutliches Brummen hören.

Ein paar Minuten später kam Raf mit dem gleichen kritischen Blick wie John zurück in die Wohnung und ich sah ihn fragend an. "Alles in Ordnung?" Er lächelte mich an. "Ja, keine Sorge. Hast du Hunger?" Es war schon halb 10 und wir hatten noch nichts gegessen. Beim Song schreiben und auf der Brücke hatte ich wirklich alles vergessen, sogar den Hunger. Mein Magen knurrte und ich grinste unschuldig. "Ein bisschen?" Raf lachte und winkte mich zu sich. "Trifft sich gut, ich hab' gerade Pasta gemacht. Ist das Rezept meiner Mutter, aber es schmeckt natürlich besser wenn sie es macht.", erzählte er mir. Ich folgte ihm in die Küche, wo es schon herrlich nach Tomatensauce duftete. "Das klingt fantastisch, sehr gerne." Raf holte zwei Teller und Besteck aus der Schublade. Ich übernahm das Tischdecken, während er eine Flasche Rotwein öffnete. "Hast du noch was vor heute?", wollte ich wissen, als wir anfingen zu essen. Er schüttelte den Kopf. "Ne, heute will ich den Abend auf der Couch verbringen.", meinte er. "Am Samstag Abend? Ich hätte ehrlichgesagt mehr von dir erwartet.", stichelte ich. "Wenn man viel unterwegs ist, schätzt man es umso mehr, mal zuhause zu bleiben.", erklärte er mir. "Ausserdem bin ich hier in bester Gesellschaft." Er zwinkerte mir zu und schenkte mir nochmals Wein nach. Nach dem Essen schmissen wir uns in Jogginghose auf die Couch und guckten einen Film. Es war richtig gemütlich und ich genoss es, mit ihm einen ruhigen Abend zu verbringen.

02.08.2020

Am nächsten Tag schlenderten wir nochmal ein wenig durch die Stadt und gingen shoppen am Ku'damm. Von John hatte ich nichts mehr gehört und ich wollte auch nicht Raf nochmal nach ihm fragen. Ich wusste nicht wieso, aber das ungute Gefühl von gestern liess mich einfach nicht los. Mir fielen Marks Worte wieder ein. Sei vorsichtig, ja? Vielleicht hatte ich diesen Satz doch etwas voreilig als lächerlich abgestempelt. "An was denkst du?", brachte mich Raf wieder zurück in die Realität. Ich schüttelte den Gedanken wieder ab und setzte ein Lächeln auf. "Nicht so wichtig. Wann wollten mich Alex und Maxwell abholen?", lenkte ich vom Thema ab. "Sie kommen gleich hierher und dann essen wir noch zusammen, wenn du willst.", bot er mir an. "Sehr gerne. Danke, dass du dir so viel Zeit für mich nimmst.", erwiderte ich mit einem Lächeln. Raf war wirklich so ein lieber Mensch und hatte das ganze Wochenende mit mir verbracht, obwohl wir uns erst zwei Tage kannten. "Aww." Er fing an, breit zu grinsen. "Wie süss du bist. Komm lass dich knuddeln.", veralberte er mich und zog mich in eine enge Umarmung. Ich musste lachen als er auch noch anfing, mich hin- und her zu wiegen und schlang ebenfalls meine Arme um ihn. Über Rafs Schulter konnte ich sehen, wie John und die anderen auf uns zukamen. Ich räusperte mich und löste mich langsam von Raf, worauf auch er sich umdrehte und den Jungs zuwinkte. Alex begrüsste uns mit einem langgezogenen "Naaaa?" und auch die anderen konnten ihr Grinsen nicht lassen. Nur John verzog keine Miene.

Während dem Essen suchte ich immer wieder Johns Blick, da ich wissen wollte, ob er okay war. Er sass am anderen Ende des Tisches und verhielt sich passiv, was untypisch für ihn war. Bevor wir uns wieder auf den Weg machen wollten, ging ich auf die Toilette. Ich rückte mein Top vor dem Spiegel zurecht und stützte mich dann mit den Händen am Waschbecken ab. Die kalte Keramik erinnerte mich an das Geländer auf der Oberbaumbrücke und ich schloss meine Augen, um diesen Moment nochmal in Erinnerung zu rufen. Ich errinnerte mich an Johns Wärme, als er hinter mir stand und mich festhielt. Wir hatten eigentlich nur dagestanden und es war eine simple Geste von ihm und doch brachte sie mich dazu, mich dorthin zurück zu wünschen. Reiss dich zusammen, Siena. Die anderen warteten bestimmt schon auf mich. Ich atmete nochmal tief durch und verliess dann hastig die Damentoilette. Ich kam allerdings nicht weit, da ich schon bei der ersten Ecke mit jemandem zusammenstiess. Als ich meinen Kopf hob, blickte ich direkt in Johns Augen, die mich anfunkelten. "Du kannst es wohl kaum erwarten, nach Hause zu fahren.", stellte er belustigt fest. Ich lachte leicht. "Eigentlich würde ich lieber hierbleiben." Er ging langsam ein Stück um mich herum. "Ach ja?" Ich drehte mich mit ihm mit, sodass ich mit dem Rücken zur Wand stand. Seine rechte Hand platzierte er an der Wand neben meinem Kopf und kam einen Schritt näher. "Ich will nämlich auch, dass du bleibst.", raunte er leise, während er abwechselnd zwischen meinen Augen und meinen Lippen hin und her sah. Mein Puls raste in die Höhe. Wie schaffte er es nur immer, mich nervös zu machen? Eigentlich liess ich mich durch gar nichts aus der Ruhe bringen, was auch essenziell für meinen Beruf war. Aber er wollte es anscheinend immer wieder provozieren. Ich lehnte mich leicht gegen die Wand und sah dann direkt in seine Augen. "Manche Leute haben richtige Jobs.", meinte ich kühl. Er grinste mich an. "Dann machen die was falsch." Da war was dran. "Kommst du wieder mal her?", fragte er mich. "Wann kommst du denn zurück nach Hamburg?", stellte ich die Gegenfrage und zog ihn an seiner Jacke näher zu mir. Er verzog schmerzverzerrt sein Gesicht und ich liess ihn erschrocken los. "Was hast du?" Er schüttelte den Kopf. "Geht schon." Ich musterte ihn kritisch und wollte nochmal seine Seite anfassen, aber er hielt mein Handgelenk fest. "John..", flüsterte ich. Nun machte ich mir richtig Sorgen. Was zur Hölle war gestern passiert? Und wieso wollte er mir nichts davon erzählen? "Ich hab' noch ne Menge Arbeit im Studio vor mir, aber in 1-2 Wochen fahre ich nach Hause, um Tyga zu sehen.", beantwortete er meine vorherige Frage. Ich schwieg und nickte nur leicht. Es stand mir nicht zu, ihn zu irgendwas zu drängen und ich wollte es auch nicht. "Dann wünsche ich dir viel Erfolg mit deinem Album und danke, dass du mich mitgenommen hast.", sagte ich schliesslich. "Ich hab' zu danken. Schön dass du hier warst. Ich ruf dich an, ja?" Ich nickte und schenkte ihm ein Lächeln, bevor ich zurück zum Tisch ging. Ich bedankte und verabschiedete mich auch noch von Gzuz, Sa4 und besonders von Raf. "Du hast meine Nummer, meld dich mal.", ermutigte er mich und ich sagte zu. Ich hatte die Jungs alle schon ins Herz geschlossen und schätzte es sehr, dass sie mich das ganze Wochenende überallhin mitgenommen hatten. Die Heimreise mit Maxwell und LX war genauso unterhaltsam wie die Hinfahrt, aber meine Gedanken schweiften trotzdem immer wieder zu John. Wieso machte er aus allem ein Geheimnis? Ich wurde einfach nicht schlau aus ihm. Kurz vor Hamburg klingelte mein Handy. "Hallo?" Am anderen Ende der Leitung war meine beste Freundin Johanna. Sie weinte und ich konnte kein Wort von dem verstehen, was sie sagte. "Johanna? Was ist passiert? Ich versteh' dich nicht.", fragte ich besorgt. Sie schluchzte. "Lukas.. er.. er hat mich rausgeworfen. Wir haben gestritten und.. und.." Weiter kam sie nicht und fing wieder heftiger an zu weinen. Ich war geschockt. Sie hatte oft Streit mit ihm, aber dass er sie auf die Strasse stellen würde, hätte ich nie gedacht. "Oh Gott. Wo bist du?" Es dauerte eine Weile, bis sie sich wieder gesammelt hatte. "Vor deiner Tür." -
"Warte da, ich komme gleich." Ich legte auf und bemerkte Alex' besorgten Blick im Rückspiegel. "Was ist los?", wollte er wissen. "Der Freund meiner besten Freundin hat sie aus der Wohnung geworfen.", murmelte ich vor mich hin und konnte es selbst nicht fassen. "Brauchst du unsere Hilfe?", schaltete sich Maxwell ein. Ich schenkte ihnen ein kurzes Lächeln. "Das ist lieb von euch, aber wir kriegen das schon hin.", lehnte ich dankend ab. Sie fuhren mich bis zu meiner Wohnung und wir tauschten unsere Handynummern aus. "Falls du doch noch Hilfe brauchst oder wieder mal 'ne Mitfahrgelegenheit.", meinte Alex grinsend. Ich bedankte mich bei ihnen und umarmte sie zum Abschied, bevor ich mich umdrehte und sah, wie Johanna auf der Treppe vor dem Hauseingang sass. Ich stürmte auf sie zu und kniete mich zu ihr herunter, um sie in den Arm zu nehmen. Die Jungs blieben vor dem Auto stehen, bis die Haustür hinter uns ins Schloss fiel.

Angeklagt [Bonez MC]Where stories live. Discover now