"Verkackt."

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"Hey Siena, störe ich dich gerade?", ertönte Rafs Stimme aus der Leitung. "Hey Raf.", begrüsste ich ihn mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich freute mich über seinen Anruf. "Nein, du störst nicht, wir sind nur gerade-". Weiter kam ich nicht, da alle anfingen, wild durcheinander zu rufen: "Ist das Raf?" - "Stell mal auf laut!" - "Was geht, Digga?" Raf fing an zu lachen und ich stellte mein Handy auf Lautsprecher und legte es auf die Kücheninsel, damit ihn alle hören konnten. Das Gespräch war ziemlich chaotisch, aber wir konnten alle unsere Neuigkeiten mit Raf austauschen. Dabei erfuhr ich, dass Gzuz am Dienstag beim Prozess aus dem Gerichtssaal geflogen war, was mich ehrlichgesagt überhaupt nicht erstaunte. Er polarisierte am meisten von den Jungs und es kümmerte ihn kein bisschen, wie sein Benehmen bei anderen ankam. Ich versuchte jedoch, mich so gut wie möglich aus der ganzen Sache rauszuhalten. "Ey, wo ist Bonez?", fragte Raf nach einer Weile. Alle sahen mich an, doch ich wusste nicht was ich sagen soll. "Der hat verkackt, Digga.", meinte Marten schliesslich. Besser hätte ich es nicht ausdrücken können. "Ich versteh' nicht.", antwortete Raf verwirrt. "Ja, Siena, was hat er eigentlich getan?", wollte Alex wissen und musterte mich neugierig. Die Situation war mir unangenehm und ich lehnte mich gegen die Wand hinter mir und verschränkte die Arme, während ich auf meiner Unterlippe herumkaute. "Hat er keinen hoch bekommen oder wie?", schaltete sich Maxwell ein. "Was? Nein!", wies ich seine Aussage irritiert zurück und verzog das Gesicht. "Also hat er ihn hochbekommen?", hakte er mit einem breiten Grinsen nach und Alex und Marten konnten sich das Lachen nicht verkneifen. "Jungs! Jetzt lasst sie in Ruhe. Sie will offensichtlich nicht darüber sprechen.", schallte aus dem Handylautsprecher. Wenigstens einer, der es kapierte. "Danke, Raf.", sagte ich extra laut, um das Gelächter zu übertönen.

"Aber du kommst doch trotzdem an meinen Geburtstag, oder?", vergewisserte sich Alex, nachdem sich alle wieder beruhigt hatten. "Am 3. September. Du musst unbedingt kommen!", fügte er hinzu und sah mich eindringlich an. Ich fühlte mich geschmeichelt, dass er darauf bestand, dass ich dabei war. "Ja klar, ich komme gerne.", bestätigte ihm und musste leicht lachen. Ein zufriedenes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. "Bombe. Du kommst auch Raf, oder?", wandte er sich ans Handy. "Logisch bin ich dabei, Digga. Dann sehen wir uns ja wieder. Ich freu' mich drauf." Der letzte Satz war offensichtlich an mich gerichtet, doch Alex fühlte sich angesprochen. "Aw, vermisst du mich schon?", fragte er mit einer zuckersüssen Stimme und einem noch breiteren Grinsen als zuvor. "Ähm, eigentlich hab' ich Siena gemeint, aber klar Alter, dich vermisse ich auch.", gab er zurück und ein kurzes Gelächter ertönte. "Auch?", wiederholte ich und zog grinsend eine Augenbraue hoch. "Erwischt.", gab er zu und ich musste lächeln. Wir hatten wirklich Spass zusammen in Berlin und ich freute mich auf darauf, ihn wiederzusehen. "Ich ruf dich später nochmal an, okay? Bis dann, Jungs.", verabschiedete er sich und alle riefen wieder etwas in Richtung Hörer, bevor ich auflegte und mein Handy einsteckte. Wir nahmen die letzten Umzugskartons mit nach unten und fuhren dann zu Johannas neuer Wohnung, um dort ihre Möbel wieder aufzubauen. Ich war wirklich froh um die Hilfe der Jungs. Johanna und ich hätten allein eine Ewigkeit gebraucht, doch so waren wir ziemlich schnell fertig und bestellten uns danach noch eine Pizza.

26.08.2020

Ich arbeitete gerade konzentriert an einem Fall, als ich durch ein Klopfen an der Tür meines Büros aus den Gedanken gerissen wurde. "Ja?", rief ich, worauf die Tür einen Spalt geöffnet wurde und eine Assistentin ihren Kopf hinein streckte. "Ein gewisser John Moser möchte dich sprechen.", teilte sie mir mit. War das sein Ernst? Gerade als ich dachte, er würde mich in Ruhe lassen, taucht er bei der Arbeit auf? War er völlig bescheuert? Niemand durfte erfahren, dass wir uns kennen, da ich sein Verfahren sonst gar nicht hätte leiten dürfen. Ich stand auf, knöpfte meinen Blazer zu und atmete tief durch, bevor ich das Büro verliess. John stand - wie immer in Jogginghose - vorne am Empfang. Als mich sein Blick traf, blieb mein Herz kurz stehen. Verdammt. Ich vermisste ihn. Ich ging auf ihn zu und musste mich beherrschen, damit ich nicht meinen kontrollierten Gesichtsausdruck verliere. "Guten Tag, Herr Moser.", begrüsste ich ihn formell. "Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte ich, so als würde ich nicht wissen, wieso er hier war. "Eh ja, hallo.", murmelte er halbherzig, nachdem er kapiert hatte, wieso ich mich so verhielt. Er sah sich kurz um und meinte dann: "Ich möchte Akteneinsicht beantragen." Ich zog eine Augenbraue hoch. "Akteneinsicht?", wiederholte ich, aber es klang mehr wie eine abfällige Bemerkung als eine Frage. "Ja, wegen dem Verfahren und so.", stellte er klar, so als gäbe es noch andere Akten, die er einsehen könnte. Ich setzte ein falsches Lächeln auf, so wie sonst auch, wenn mir ein Klient auf die Nerven ging. "Das Verfahren wurde eingestellt. Die Akten bestehen nur aus dem Vernehmungsprotokoll und dem Hausdurchsuchungsbeschluss.", erklärte ich ihm. Er zuckte hilflos mit den Schultern und warf mir dann einen flehenden Blick zu. "Können wir das bitte einfach kurz anschauen?", versuchte er es nochmals. "Ich habe gleich einen Termin, aber ich verweise Sie gerne an unsere Assistentin.", teilte ich ihm mit und deutete mit der Hand zum Empfang neben uns. Er zögerte, da er offenbar nicht mehr wusste, was er sagen soll und ging dann seufzend hinüber.

Angeklagt [Bonez MC]Where stories live. Discover now