"In Gefahr."

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[Johns POV]

Nachdem Siena wütend aus dem Badezimmer gestürmt war, ging ich nach unten, um mir einen Joint anzuzünden. Ich hätte ihn auch einfach in der Wohnung rauchen können, doch ich wollte kurz an die Luft. Als ich meine Hand an den Türgriff legte, bemerkte ich mein Spiegelbild in der Glastür und erstarrte. Hab' mich erschreckt vor meinem Spiegelbild. Zu viele Drogen, meine Augen sind tot., schallte mir sofort durch den Kopf. Es kam mir vor, als würde ich eine fremde Person anschauen. Dieses Gefühl hatte ich oft, wenn ich in den Spiegel blickte. Ich fragte mich, wie viele dieser Schockmomente ich noch brauchte, bevor ich wirklich was ändern würde. Es dauerte eine Weile, bis mich dieser Gedanke wieder losliess und ich mich aus der Starre lösen konnte. Ich schüttelte den Kopf und drückte dann rückartig die Tür auf, um nach draussen zu kommen. Erleichterung machte sich in mir breit, als mir die kühle Abendluft entgegen strömte. Ich schloss kurz die Augen und nahm einen tiefen Atemzug. Ich hatte den Drang, mich irgendwie zu beruhigen und zog deshalb den Joint, den ich vorhin gedreht hatte, aus der Jackentasche. Dabei betrachtete ich meine verbundene Hand, die leicht zitterte. Gebannt ballte ich sie zu einer Faust und öffnete sie dann langsam wieder. Sie fühlte sich taub an. Mein ganzer Körper fühlte sich taub an. Das Tilidin machte mich immer mehr zu einem Zombie. Ich konnte Siena verstehen. Gerade widerte ich mich sogar selbst an. Doch was würde es mir schon bringen, mich zu ändern? Eine Weile starrte ich unentschlossen auf den Joint und steckte ihn schliesslich wieder weg. Ich sah mich kurz um, setzte mich dann auf die Treppe vor dem Eingang und zog meine Kapuze hoch. Um mich auf eine andere Weise abzulenken, nahm ich mein Handy in die Hand und swipte durch die Videos, die ich vorhin aufgenommen hatte. Einige davon postete ich in meiner Instagram Story. Es war eigentlich immer das Gleiche: Karneval Vodka, Drogen und Weiber, die ihren Arsch in die Kamera halten. My Life 10/10, schrieb ich dazu. Was für eine Lüge. Gerade fühlte ich mich einfach nur beschissen. 

Ich blieb noch eine Weile da sitzen und scrollte durch meine DMs. Als ich einen Blick auf die Uhr warf, bemerkte ich, dass schon eine halbe Stunde vergangen war. Ich beschloss, wieder nach oben zu gehen, damit die anderen nicht dachten, ich sei abgehauen. Alle sassen noch gleich auf der Couch wie vorher und Siena hatte sich an Rafs Schulter angelehnt. "Siena, können wir kurz reden?", bat ich sie, worauf sie langsam ihren Kopf hob. "Oki.", antwortete sie kichernd. Ich konnte sofort in ihren Augen sehen, dass etwas nicht stimmte und runzelte die Stirn. "Was hab' ich verpasst?", wollte ich wissen und sah dann fragend zwischen den Jungs hin- und her. "Siena hat Maxwells Getränk geext.", erklärte mir Gzuz und verschränkte amüsiert die Hände hinter seinem Kopf. Fuck. Mir war sofort klar, was das hiess. Diese Menge Codein beim ersten Mal? Ich kniete mich zu ihr herunter und musterte prüfend ihre Augen. Sie war völlig weggetreten. Ich strich ihr mit einer Hand die Haare aus dem Gesicht und platzierte sie dann an ihrer Wange. "Ist dir schlecht?", fragte ich sie besorgt und sie schüttelte nur leicht den Kopf. "Hat sie schon Wasser getrunken?", wandte ich mich wieder an die Jungs. "Ja, keine Sorge, Digga. Ihr geht's gut.", wollte mich LX beruhigen. Ich nickte leicht, obwohl ich nicht wirklich davon überzeugt war und nahm dann mein Getränk mit in die Küche, um es auszukippen. Dann wusch ich mir das Gesicht mit eiskaltem Wasser und füllte mein Glas mit Wasser. Ich wollte halbwegs nüchtern werden, damit ich auf Siena aufpassen konnte. Marten stand neben mir und betrachtete mich kritisch, während er sich was mischte. "Alles gut bei dir, Digga?", fragte er irritiert. Ich stützte mich mit beiden Händen auf der Kücheninsel ab und senkte meinen Blick. "Ich bring' sie immer in Gefahr...", murmelte ich gedankenverloren. "Was?", kam noch verwirrter von ihm. Ich schüttelte leicht den Kopf, um ihm zu signalisieren, dass ich nicht darüber reden wollte, worauf er mir aufmunternd auf die Schulter klopfte. 

Wir verliessen die Küche und als wir um die Ecke bogen, knallte Marten mit Siena zusammen, worauf sich sein Getränk auf ihrem Kleid und in ihren Haaren verteilte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie überhaupt reagierte und auch dann kam nur ein leichtes Kichern, während ich sie festhalten musste, weil sie so wackelig auf den Beinen war. "Ok, das reicht.", meinte ich besorgt und packte sie mit einem Arm sanft unter den Oberschenkeln und mit dem anderen Arm unter ihrem Rücken. Sie schlang automatisch ihre Arme um meinen Hals, als ich sie hochhob. "Ich bring' sie nach Hause.", erklärte ich den Jungs. Ich bemerkte Gazos gierigen Blick, wie er Siena, die bereits im Halbschlaf war, mit einem dreckigen Grinsen musterte. Dieser Blick gefiel mir nicht. Er gefiel mir ganz und gar nicht. "Ich übernehm' das für dich.", verkündete er und schnalzte mit der Zunge. Ich funkelte ihn böse an und er lachte nur. Klar, er war mein bester Freund, doch er kannte einfach keine Grenzen. Und wenn es um Siena ging, konnte ich definitiv nicht über seine Sprüche lachen. Raf stand auf und streichelte Siena kurz über die Wange. Er hatte den gleichen nachdenklichen Blick wie vorhin. Dann musterte er mich kritisch. "Du kriegst das hin?", vergewisserte er sich. Was sollte das jetzt heissen? Ich sah ihn verwirrt an. "Logisch.", stellte ich klar. Ich traute Gazo nicht und Raf mir nicht oder wie? Er zögerte kurz, doch öffnete uns dann die Wohnungstür. Ich nickte ihm dankbar zu und verabschiedete mich von allen. 

Vorsichtig trug ich Siena die Treppe hinunter und überlegte, wie ich sie überhaupt zu ihrer Wohnung bringen sollte. Ich entschied mich dann, sie zu mir nach Hause zu bringen, da meine Wohnung nur ein paar Strassen entfernt war. Ich trug sie bis vor die Wohnungstür, wo ich sie vorsichtig weckte und herunterliess, damit ich die Tür aufschliessen konnte. Ich schob sie sanft hinein und zog dann meine Jacke aus, die vom Tragen völlig klebrig geworden war. "Musst du morgen arbeiten?", wollte ich wissen, nachdem ich einen Blick auf die Uhr geworfen hatte. Sie kniff die Augen angestrengt zusammen und nickte dann. Na toll. Ich betrachtete ihre verklebten Haare und ihr durchnässtes Kleid. So konnte ich sie wohl kaum ins Bett legen. "Am besten du gehst duschen, ok?", schlug ich ihr vor. Ein "Mhm." kam von ihr, doch sie machte nicht mal den Anschein, etwas tun zu wollen. Sie hatte vermutlich keine Ahnung, was ich von ihr wollte. Also führte ich sie ins Badezimmer und legte ihr ein Handtuch bereit. Dann schaltete ich das Wasser ein und achtete darauf, dass die Temperatur angenehm war. "Das schaffst du doch, oder?", fragte ich sie hoffnungsvoll. Sie kicherte wieder nur von sich hin und begann dann gleich damit, ihr Kleid abzustreifen. Was zum..? Ich drehte mich schnell um und verliess das Badezimmer. Die Tür liess ich einen Spalt offen. Nur für den Fall. 

Während ich das Wasser plätschern hörte, lief ich unruhig im Zimmer auf und ab. Digga, jetzt beruhig dich mal. Ich fuhr mir durch die Locken und liess mich dann aufs Bett fallen und zog mein Handy aus der Hosentasche. Nach einer Weile trat Siena mit dem Handtuch umwickelt aus dem Badezimmer. Ich hob meinen Blick vom Bildschirm und mich traf sofort ihr herausforderndes Grinsen. Ihre nassen Haare hatte sie nach hinten gestrichen und an ihren Armen und Beinen liefen noch einzelne Wassertropfen herunter. Ich räusperte mich und stand dann schnell auf, um sie nicht zu lange anzustarren. Ich öffnete meinen Kleiderschrank, zog eine Boxershorts und ein T-Shirt heraus und hielt es ihr hin. "Hier, bitte." Sie reagierte erst gar nicht und fing dann wieder an zu kichern. Ok, langsam wurde ich ungeduldig. Ich ging einen Schritt auf sie zu und suchte Blickkontakt in ihrem völlig weggetretenen Gesichtsausdruck. "Kannst du das bitte anziehen?", wiederholte ich eindringlich. Viel länger würde ich es nicht überstehen, dass sie so gut wie nackt vor mir stand. Anstatt mir die Klamotten abzunehmen, kam sie noch ein Stück näher, sodass wir uns fast berührten. Sie hob ihren Blick, um mir tief in die Augen zu sehen und biss dabei lächelnd auf ihre Unterlippe. "Sieh' mich bitte nicht so an...", murmelte ich gequält, nachdem ich mich schon in ihren Augen verloren hatte. Sie kicherte wieder und wurde dabei ganz wackelig auf den Beinen, sodass sie leicht zusammensackte und dabei das Handtuch losliess. Mit einer Hand konnte ich es gerade noch so zusammenhalten, während ich sie mit der anderen Hand am Oberarm stützte. Fuck. Das war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich anstrengen musste, eine Frau nicht nackt zu sehen. Und das, obwohl ich sie wollte. Gott, ich wollte sie so sehr. Doch nicht so. Nicht auf diese Weise. 

Ich drückte ihr das Handtuch wieder in die Hand und kniete mich dann vor sie hin und hielt ihr die Boxershorts hin. "Zieh die jetzt bitte einfach an, ok?", versuchte ich es nochmals. Sie hob ein Bein nach dem anderen und ich zog die Boxershorts vorsichtig unter dem Handtuch hoch. Na geht doch. Gerade als ich erleichtert ausatmete, fiel das Handtuch vor mir auf den Boden. "Fuck, Siena..." Ich senkte sofort meinen Blick und biss mir so fest auf die Lippe, dass ich dachte, sie würde gleich anfangen zu bluten. Bei Gott. Siena fand das Ganze wohl ziemlich witzig, denn sie grinste nur weiter vor sich hin. Ich nahm das T-Shirt und versuchte krampfhaft, sie irgendwie hineinzubekommen, ohne etwas zu sehen, was natürlich unmöglich war. Als ich das Shirt das letzte Stück heruntergezogen hatte, stockte ich kurz und fragte mich, wann ich das letzte Mal natürliche Brüste gesehen hatte. Oder überhaupt einen natürlichen Körper. Egal wie sehr ich meine Erinnerung anstrengte, in meinem Kopf waren nur Silikontitten und Arschimplantate. Es schockierte mich, dass ich mich nicht daran erinnern konnte. Erst da wurde mir wieder klar, wie verzerrt mein Frauenbild geworden war. "Das T-Shirt riecht nach dir.", kicherte Siena und brachte mich damit wieder in die Realität zurück. Ich musste lächeln. Dieser Zustand war zwar anstrengend, aber auch echt niedlich. Ich zog ihre Haare vorsichtig aus dem T-Shirt und streichelte über ihre Wangen. Sie schloss die Augen, so als würde sie meine Berührungen geniessen, doch schlief dann fast wieder im Stehen ein. Ich holte ihr noch ein Glas Wasser und führte sie dann zum Bett, damit sie sich hinlegen konnte. Ich ging auch noch kurz ins Bad und legte mich dann neben sie. Ich dachte, sie sei bereits eingeschlafen und deshalb drehte ich mich zu ihr, um die Decke über sie zu ziehen. Bevor ich mich wieder wegdrehen konnte, hielt sie mich am Arm fest und kuschelte sich an mich. "Bleib hier.", flüsterte sie. Ich zögerte und kämpfte kurz dagegen an, doch blieb dann so liegen. Ich strich ihr noch ein paar Mal liebevoll übers Haar und wir schliefen beide ziemlich schnell ein.

Angeklagt [Bonez MC]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt