Kapitel 12

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Lucian

Ich war gerade mit Accalia bei der täglichen Patrouille. Ich erzählte ihr von dem Kuss zwischen Isalie und mir. Heute war die erste Gelegenheit, in der wir in Ruhe miteinander reden konnten, da mein Dad mich in den letzten Tagen stark beansprucht hatte.

Ich wurde in Aufgaben und Angelegenheiten des Rudels eingeweiht. Die letzten Tage waren stressig, aber ich war froh darüber... Ich war froh darüber, endlich eine feste Rolle im Rudel zu haben.

Accalias braune Wolfsgestalt lief neben mir her. Ihre Stimme tauchte in meinen Gedanken auf.

»Und du hast sie seitdem nicht mehr gesehen?«

»Nein. Ich mache mir Sorgen um unsere Freundschaft. Was, wenn wir sie damit zerstört haben? Was, wenn wir uns nur noch peinlich in die Augen sehen und nicht mehr normal miteinander reden können?«

»War es denn so schlimm?« Sie schaute mir interessiert in die Augen.

»Nein... Ganz im Gegenteil. Es war magisch. Irgendwie besonders. Perfekt...«

»Okay Romeo, vielleicht braucht sie einfach nur Zeit, um ihre Gedanken zu ordnen. Ich meine, der Kuss kam ja ziemlich überraschend.« Sie wartete auf eine Antwort, doch ich stockte.

Direkt vor mir lag eine Spur. Eine frische Fährte. Erst wenige Stunden alt. Der Geruch stieg mir in die Nase. Ein Fremder...

»Lia, sieh dir das an.« Ich neigte meinen Kopf Richtung Boden. Sie wirkte misstrauisch. Berechtigt...

»Was meinst du, woher die stammt?« Alle ihre Sinne waren angespannt.

»Jedenfalls ist klar, dass diese von einem Wolf aus einem fremden Rudel stammt. Oder sogar von einem Ausgestoßenen. Ich muss davon umgehend dem Alpha berichten. Vielleicht eine Bedrohung, wenn man den Ängsten der Neuen Beachtung schenkt. Es könnte wichtig sein.«

Ich befahl ihr, dass sie die Fährte allein verfolgen sollte. Sie gehorchte und war im nächsten Augenblick hinter den Bäumen des Waldes verschwunden.

Ich sprang auf den schnellsten Weg wieder zurück ins Dorf, um meinem Dad davon zu berichten. Es war ausgeschlossen, dass der einzelne Wolf Hilfe in einem anderen Rudel suchte, da seine Spuren wieder wegführten. Er hatte wen beobachtet...

Mein Dad verstand dies als Warnung. Wir müssten vorsichtig sein. Vielleicht sind die Sorgen der anderen Rudelmitglieder berechtigt...


Am Abend saßen Lia, meine Eltern und ich beim Abendessen. Der Tag verlief sonst relativ ruhig. Mein Dad informierte seinen Rat und besonders die restlichen Mitglieder des Rudels. Jede merkwürdige Sache sollte umgehend gemeldet werden...

Die Stimmung war angespannt. Keiner traute sich, etwas zu sagen. Wohl eher konnte keiner etwas sagen, da wir alle in unseren Gedanken gefangen waren.

Nur meine drehten sich im Moment nicht um das Rudel oder um eine mögliche Bedrohung, sondern einzig und allein um Isalie...

Ich hatte beschlossen, es ihr zu sagen. Ich müsste Isalie sagen, dass sie ein Werwolf ist. Ich müsste ihr sagen, dass sie ihr ganzes Leben lang belogen wurde und dass ihre Mom nicht die ist, für die Isalie sie hält.

Sie bedeutet mir etwas und ich will, dass sie die Wahrheit kennt und selbst entscheidet, wer sie sein will.

Ich weiß, dass der Zeitpunkt nicht der beste ist, aber ich kann nicht länger damit warten...


Am nächsten Morgen wachte ich früh auf. Es dämmerte gerade einmal... Ich hatte so gut wie nicht geschlafen.

Wolfsmädchen - Im Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt