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1 - Der Rest ist für mich

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„Drei Tequila!", schreit mir die mittlere der drei Ladies, die gerade erst an den Tresen vorgedrungen sind, über den laut dröhnenden Bass entgegen. Das Ende ihres Ausschnitts kann ich von meiner Position aus nicht erkennen. Gut möglich, dass ihre Bluse einfach gar nicht zugeknöpft ist.

Ihre Freundinnen sind in einem ähnlich aufreizenden Stil gekleidet und alle drei blicken sich neugierig nach potenziellen Opfern um.

„Ausweis!", brülle ich zurück, ohne hinzuschauen. Wenn auch nur eine von denen bereits einundzwanzig ist, beginne ich morgen einen Kurs in Suaheli. Als Lehrer.

Offene Bluse schiebt mir einen gefälschten Ausweis über den Tresen und ich werfe nur interessehalber einen Blick darauf.

Zumindest zeigt die kleine Karte eine Frau.

Allerdings ist diese laut der Daten Mitte vierzig, dunkelhaarig und trägt eine Brille, die ihre Augen unnatürlich groß wirken lässt.

Die Person vor mir hat keins dieser Merkmale und ich bin mir sehr sicher, dass sie nicht Mai-Ling Nguyen heißt.

Mit einem gleichgültigen Nicken lasse ich sie gewähren und bekomme ein breites Grinsen und ein Zwinkern als Antwort. Gekonnt befülle ich drei Shotgläser, die bereits auf einem kleinen Brett mit Zitronenscheiben und Salz stehen.

Samstags geht Tequila immer gut.

„Vierundzwanzig!", rufe ich, während ich das Brettchen zu ihnen herüberschiebe.

Offene Bluse schluckt einmal deutlich und kramt dann hektisch in der winzigen Tasche, die über ihrer Schulter baumelt, um mir einen Zwanziger und einen Zehner zuzuschieben.

Grinsend nehme ich die Scheine entgegen und gehe zu den nächsten Gästen, ohne mich noch einmal umzudrehen.

Der Rest ist für mich.

„Jules!", höre ich jemanden meinen Namen rufen und drehe mich zu meinem Chef um, während ich weitere Shotgläser aufreihe. „Kannst du gleich einmal zwei Flaschen Grey Goose und einen Pack Energy in die Lounge bringen?"

Mit erhobener Augenbraue wende ich mich ihm zu.

Er weiß, was ich von Menschen, die einen separaten Bereich in einem Club mieten, halte. Nichts.

Ich bin für den Tresen zuständig, die Bereiche macht normalerweise Ian.

„Ian macht die Fässer", scheint der Boss meine nächste Antwort zu erraten. „Und die Kohle wartet nicht."

Ich rolle mit den Augen, denn mir ist klar, dass ich keine weiteren Gegenargumente habe. Noch beschissener als die Bereiche sind die Fässer, die aus dem Lagerraum zwischen den tanzenden Menschen hindurchjongliert werden müssen, wenn man sichergehen will, dass Nachschub für die Gäste gewährleistet ist.

„Alles klar", stimme ich zu und wische meine Hände an meiner abgetragenen Jeans ab.

„Vier Bier!", ordert ein Muskelprotz lautstark und ich zeige nur kopfschüttelnd zu meinem Chef, der jetzt Gin Tonic in mehreren Gläsern vorbereitet.

„Du hast doch gerade nichts zu tun", beschwert sich der Futzi und ich hebe meine Augenbraue.

„Wie gut, dass du weißt, was ich zu tun habe", gebe ich herablassend zurück, während ich einen riesigen Sektkühler mit Eis fülle.

„Komm schon, vier Bier sind doch schnell gemacht!", will der Typ nicht locker lassen und ich schüttle abermals den Kopf.

„Du bist aber nicht dran!", rufe ich ihm zu und zeige wieder zu Matt. „Stell dich bei ihm da an und bestell gefälligst dort!"

Im Kühlschrank hinter mir finde ich die verlangten Vodkaflaschen und platziere diese im Eis. Anschließend packe ich die zugehörigen Dosen mit Energydrinks dazu. Dass Menschen sowas immer noch trinken und freiwillig dafür Geld zahlen, verstehe ich ganz und gar nicht.

„Sowas nennt ihr hier Service?", wird der Muckimann nun aufmüpfig und ich merke, wie ich mich allmählich immer mehr anspanne.

Ein Abend ohne Nervensägen – ist das denn wirklich zu viel verlangt?

Ich stütze meine Hände auf der Arbeitsfläche ab und blicke den Spinner direkt an.

„Nein", rufe ich über die Musik. „Service wäre, wenn ich dich bedient hätte, was ich aber nicht getan habe, weil du nicht dran bist. Also geh jetzt da rüber und bestell bei ihm und–"

„Ich will sofort den Geschäftsführer sprechen!", plustert sich der Kasper auf, während ich in aller Seelenruhe meinen Satz beende.

„– er ist auch gleich der Geschäftsführer, wenn du dich beschweren willst."

Muskelmann starrt mich perplex an und ich zucke lediglich mit den Schultern, während ich mir den vollen Sektkühler greife und zum Ende der Bar gehe.

„Vier Bier für den Spacko da hinten", rufe ich Matt im Vorbeigehen zu und nicke mit meinem Kopf in die Richtung des Beschwerers.

Mein Chef nimmt die Bestellung nickend zur Kenntnis, während er von seinen aktuellen Gästen Geldscheine einsammelt.

Dabei fällt mir etwas ein und ich bleibe kurz stehen. „Wie viel für den Kram?", will ich von ihm wissen und er wendet sich mir zu.

„Normalerweise zweihundert, aber dem Typen scheint es egal zu sein, wenn du mich fragst", bekomme ich als Antwort, bevor Matt mit flinken Handbewegungen Bierflaschen öffnet und den Beschwerdegast auffordernd heranpfeift.

„Challenge accepted", singe ich in seine Richtung, ehe ich mich mit dem Sektkühler zwischen die tanzenden, engen Menschenmassen schiebe.

Kontrollverlust | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt