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8 - Kein Bentley, kein Knopf

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Auf dem Weg über den Parkplatz stolpert der Junior ein paar Male über seine eigenen Füße, aber da ich seinen Ellbogen fest im Griff habe, rette ich sein hübsches Gesicht vor schwerwiegenden Blessuren.

Es heißt zwar immer, Kinder und Betrunkene haben das größte Glück, aber ich möchte trotzdem nicht riskieren, dass er mir meine Hose oder gar mein Auto vollblutet. Und an einem Freitagabend einen Rettungswagen rufen, ist für alle Beteiligten kein Geschenk.

An meinem Auto angekommen, parke ich ihn buchstäblich an meinem Fahrzeug, indem ich ihn an die hintere Tür auf der Beifahrerseite lehne.

„Hmmm", macht er und blickt mich schief über seine Schulter an. „Doch ein Schnääck auf dem Parkplatz?"

Kurz runzle ich die Stirn.

Was will er? Schnecken?

Oh Gott, fängt er jetzt wieder mit diesem Snackgelaber an?

Ich beschließe, ihn zu ignorieren und ziehe meinen Schlüssel hervor, um das Auto zu öffnen.

„Nopf", lallt er und zieht seine Augenbrauen zusammen, als ich den Schlüssel in das Schloss der Tür stecke.

„Nope", ächze ich und schiebe ihn auf den Sitz. „Kein Bentley, kein Knopf." Ich reiche ihm den Gurt, weil seine Hand hilflos neben ihm herumbaumelt, und schließe vorsichtig die Tür, nachdem ich mich vergewissert habe, keine Gliedmaßen mehr heraushängen zu sehen.

Als ich auf der Fahrerseite einsteige, hält er den Gurt nur in der Hand und ist wieder dazu übergegangen, träge vor sich hinzustarren.

Hauptsache, es muss der teure Whiskey sein.

Ich greife mir den Gurt und fummle ihn in die Anschnallvorrichtung, bevor ich mich selbst anschnalle und den Motor starte.

Mein Orientierungssinn war immer schon etwas, für das mich andere beneiden, denn ich kann mir jeden Weg, den ich einmal zurückgelegt oder mir genauer auf einer Karte angesehen habe, merken. Auch jetzt ist das mein Vorteil, denn ich weiß genau, wie wir am schnellsten zu seinem ‚Anwesen' kommen.

Da es mitten in der Nacht ist, sind beinahe alle Ampeln grün und es begegnen uns kaum andere Fahrzeuge auf den Straßen.

Mein Beifahrer sitzt schlaff auf dem Sitz neben mir, seine Augen halb geschlossen. Gelegentlich kippt sein Kopf zur Seite und ich befürchte, dass ich ihn auffangen muss, doch im letzten Moment fängt er sich jedes Mal wieder ab und reißt seine Augen kurz auf.

Zumindest redet er nicht viel, das macht ihn fast etwas sympathischer, doch als seine Hand plötzlich auf meinem Oberschenkel liegt, revidiere ich meine Einschätzung sogleich wieder.

„Arbeite für misch", nuschelt er und ich reiße entsetzt die Augen auf. Forsch packe ich sein Handgelenk und schiebe es auf seine Seite.

„Nein!", sage ich streng und deutlich, wie zu einem Hund, der den Befehl ‚Sitz!' lernen soll.

Er lernt vermutlich auch noch, denn so wie ich ihn einschätze, kennt er das Wort ‚Nein' nur als Aufforderung, mehr zu zahlen.

Der hat sie wohl nicht mehr alle!

Statt mir zu antworten, beugt der Schnösel sich nach vorn und dann höre ich es – das unmissverständliche Geräusch aufsteigender Kotze samt begleitendem Würgen.

„Fuck!!", schreie ich entsetzt und steige automatisch auf die Bremse.

Zu meinem – oder vielmehr unserem – Glück sind wir allein auf der Straße, denn niemand hätte diese Vollbremsung kommen sehen können.

Wie ein Irrer springe ich aus dem Fahrzeug, renne zur Beifahrerseite und reiße die Tür auf, um den schlaffen Mann herauszuziehen. Dummerweise ist er noch angeschnallt, sodass nur sein Oberkörper zu mir kippt und der nächste Schwall meine Schuhe und meine Jeans trifft.

Säuerlicher Kotzeduft gepaart mit scharfem Whiskeyaroma tränkt die Luft und ich schlage mir instinktiv die Hand vor mein Gesicht, während ich gegen den reflexartigen Würgereiz ankämpfe.

Fuck!

Viel zu spät springe ich zurück, was wiederum dazu führt, dass der Oberkörper des schlappen Juniors nach vorn kippt und ich ihn gerade so mit den Händen an der Schulter packen kann, ehe er sich ernsthaft etwas tut. Sicherheitsgurte sind eben nur dafür da, Menschen nach vorn zu sichern.

Als das Würgen nachlässt, blicke ich ihn prüfend an und frage: „Fertig?"

„Sie können misch jetz nach Hause bringen", lallt er und lässt sich mit geschlossenen Augen nach hinten gegen den Sitz fallen.

Kurz überlege ich, ob ich seine Majestät einfach hier auf dem Bürgersteig in seiner Kotze liegen lasse, schiebe den Gedanken jedoch schnell wieder weg und schlage die Tür zu.

Den Rest der Fahrt sagt keiner von uns beiden ein Wort. Er scheint eingeschlafen zu sein, was mir nur recht sein soll.

Alles ist besser als befummelt oder bekotzt zu werden.

Vor dem großen Tor angekommen, zögere ich.

Wie kriege ich ihn da rein?

Irgendwie glaube ich, dass er Ärger bekommen wird, so jung wie er ist. Andererseits hätte er den Ärger auch verdient.

Ich stoße mit meinem Ellbogen in seine Seite und rufe: „Hey!"

Erschrocken reißt er seine Augen auf und packt reflexartig meinen Oberschenkel. Schon wieder.

Vorsichtig löse ich seinen Griff und lege seine Hand zurück auf seinen Schoß.

„Du bist zu Hause."

Seine blutunterlaufenen Augen blicken matt nach draußen auf das große Tor.

„Hast du einen Schlüssel?", erkundige ich mich.

Wortlos löst er den Sicherheitsgurt, öffnet die Tür und steigt aus, um auf die Tür neben dem Tor zuzutaumeln.

„Hey!", rufe ich ihm nach. „Kommst du klar?"

Keine Antwort. Stattdessen scheint er auf dem Nummernfeld an der Mauer herumzutippen und dann öffnet sich die Tür.

Wer braucht schon Schlüssel, wenn man fucking reich ist?

Ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen, geht der merkwürdige Gast durch die Tür und ich höre das metallische Klacken, als sie hinter ihm wieder ins Schloss fällt.

Kontrollverlust | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt