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10 - Leiche im Kofferraum

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„Jetzt geh schon ran", murmle ich in mein Telefon, nachdem der Mann in dem Hemd mir eine Stunde lang sämtliche Spielereien an meinem neuen Audi A3 erklärt und sich nun endlich mit einem „Viel Spaß mit Ihrem neuen Fahrzeug, Mr. Jones" verabschiedet hat.

„Was gibt's denn, Jules?", antwortet mein Chef nach einer gefühlten Ewigkeit. „Ich wollte mich eigentlich noch eine Stunde aufs Ohr hauen, bevor–"

„Hast du dem Junior meinen Namen verraten?", motze ich ins Telefon und umrunde das schwarze, glänzende Fahrzeug am Straßenrand nun schon zum vierten Mal.

„Wem?"

„Dem reichen Futzi, den ich gestern nach Hause gefahren habe."

„Vorhin rief irgendsoein Typ an und meinte, er solle sich im Namen von seinem Chef bedanken und bräuchte die Info, wer ihn letzte Nacht nach Hause gefahren hat", lässt Matt mich wissen. „Wieso? Hat er dir Blumen geschickt?"

„Schön wär's", knurre ich.

„Was ist los, Jules?" Jetzt klingt er besorgt. „Hat er dich etwa verklagt?"

„Nein", gebe ich knapp zurück. „Kann sein, dass ich heute später komme."

„Jules?", ruft er. „Jules, was ist–"

Doch ich beende den Anruf und steige in das Auto, das, wie ich zu meiner Schande eingestehen muss, einfach fantastisch riecht und sich zudem auch noch verdammt gut anfühlt.

„Mr. Jones!", höre ich jemanden meinen Namen rufen und rolle genervt mit den Augen.

Auch das noch.

„Hey Mr. Boranov", begrüße ich meinen fettleibigen Vermieter, der wie immer in einem ranzigen, weißen Unterhemd, einer schlabbrigen Jogginghose und Flip-Flops herumläuft und geradewegs auf mich zukommt.

„Wie oft soll ich Ihnen noch sagen, dass der Hinterhof–"

„Ausschließlich für Mieter ist, die die Plätze auch gemietet haben, ich weiß", beende ich seufzend seinen Satz. „Ich wollte mein Auto gerade–"

„Gegen ein Neues austauschen?", fragt er argwöhnisch und betrachtet mein – nein, das! – neue Gefährt, in dem ich sitze. „Wird wohl doch Zeit, die Miete mal wieder zu erhöhen, wenn Sie sich jetzt so ein–"

„Nein", unterbreche ich ihn und steige wieder aus dem Audi. „Der hier gehört nur einem ... Bekannten. Ich wollte ihn gerade zurückbringen."

„Und was ist mit dem Hinterhof?", zetert er wieder los. „Ich kann auch den Abschleppdienst rufen, dann kümmern die sich darum!"

Per Knopfdruck – denn natürlich hat der Audi eine Zentralverriegelung per Knopfdruck – schließe ich das Auto und gehe schnurstracks wieder durch die Einfahrt nach hinten.

An seinem Keuchen kann ich ausmachen, dass Boranov mir hinterherwatschelt.

Mein Polo steht noch genauso dort, wie ich ihn heute Morgen hinterlassen habe, die Fußmatte noch auf dem Boden neben der Beifahrertür.

Da ich einer der Menschen bin, die alle Schlüssel an einem Schlüsselbund tragen, habe ich das Auto in Windeseile aufgeschlossen und kneife kurz die Augen zusammen, als ich die Tür öffne und mir der beißende Whiskey-Kotze-Gestank entgegenstößt.

„Du liebe Zeit, haben Sie eine Leiche im Kofferraum?", kreischt Mr. Boranov und hält sich die fetten Finger vor sein aufgedunsenes Gesicht.

„Sowas ähnliches", murmle ich und rutsche auf den Fahrersitz.

Der Gestank treibt mir buchstäblich die Tränen in die Augen, die teils heruntergekurbelten Fenster haben leider gar nichts gebracht.

Warum zur Hölle habe ich das Waschpulver oben gelassen? Ach ja richtig, der reiche Typ meinte, er müsste mir ein Auto vors Haus stellen lassen. Das hat mich wohl etwas abgelenkt.

„Das lassen Sie aber nicht so liegen, oder?", beschwert sich mein Vermieter und hält die versiffte Fußmatte neben dem Beifahrerfenster an seinem ausgestreckten Fettarm nach oben.

„Nein, das schmeiße ich gleich weg, Mr. Boranov", sage ich mit gespielter Höflichkeit und starte den Wagen.

„Sie wissen, dass das unter Sperrmüll läuft, ja?", meckert er weiter und ich überlege kurz, ob ich wohl schnell eine neue Bleibe finde, wenn ich sein Gesicht gleich einmal mit der Fußmatte massiere.

Da meine Aussichten dafür schlecht stehen, beuge ich mich herüber, öffne umständlich die Beifahrertür und winke ihn heran. „Geben Sie schon her, ich nehme es mit", weise ich ihn an und er lässt das klebrige, miefige Ding statt in den Fußraum einfach auf den Sitz selbst plumpsen, bevor er die Tür wieder zuschlägt.

Danke für nichts, Fettsack.

Angestrengt kurble ich zumindest das Fenster auf der Fahrerseite herunter und manövriere mein Auto mit halb aus dem Fenster gehaltenen Kopf durch die Einfahrt nach draußen, wo ich es gekonnt hinter dem Audi einparke.

Boranov scheint wieder in seine Wohnung gewatschelt zu sein und so greife ich mit spitzen Fingern die Fußmatte und befördere sie in den nächstgelegenen Mülleimer, ehe ich das Fenster wieder nach oben kurble und das Auto abschließe.

•••

Zwanzig Minuten später stehen vier kleine Schalen in meinem Polo. Zwei mit Kaffeepulver auf dem Rücksitz, zwei mit Waschpulver auf den vorderen Sitzen.

Ich sause mit dem Audi durch die Stadt, die teure Ledermappe neben mir auf dem Beifahrersitz.

Fuck, dieses Auto ist ein Traum. Ich möchte leben in diesem Auto. Und meinetwegen auch sterben und dann darin beerdigt werden.

Das Teil hat alles. Nicht nur, dass es ein Automatikgetriebe hat, was ich bisher nur einmal in Matts BMW ausprobieren konnte, nein, es erkennt auch automatisch die Verkehrszeichen, warnt mich bei zu geringem Abstand und scheint überhaupt so ziemlich alles alleine zu machen. Ich fühle mich ein bisschen wie in Zurück in die Zukunft, wobei ich bezweifle, dass Doc Browns DeLorean so viel Schnickschnack hatte wie dieses Ding.

Nichtsdestotrotz erreiche ich endlich das große Tor der De Koning Mansion – mal wieder – und halte davor. Mal wieder.

Beherzt drücke ich auf den Glockenknopf an der Tür und warte, bis jemand sagt: „Ja bitte?"

Der Stimme nach zu urteilen ist es der alte Mann vom letzten Mal.

Sage ich ihm wohl, dass er den Golfcart lieber stehenlassen und stattdessen den Audi nehmen soll?

„Hi, hier ist Julian Jones", entscheide ich mich doch für die höflichere Begrüßung.

Der Mann kann schließlich nichts dafür, dass sein Boss oder was auch immer der Junior für ihn ist, vollkommen den Verstand verloren zu haben scheint.

Das ... und ca. 40.000 Dollar. Die ich ihm nun zurückbringe.

Zu meiner Überraschung surrt die Tür dieses Mal sofort elektrisch und ich schlüpfe hindurch.

Kontrollverlust | ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt