„Frau Schmitt, da muss ein Irrtum vorliegen", sagte ich ungläubig.
„Ich wünschte es wäre so."
„Aber ..."
Ich erhob mich, wollte durch das Büro laufen, um einen klaren Gedanken fassen zu können, doch das war unmöglich, da meine Knie zu zittern begannen. Ich setzte mich wieder. Versuchte zu verstehen. Dieses Chaos, diese Lüge, dieses Missverständnis. Ja, das musste es gewesen sein — ein Missverständnis.
Ich musste mit Lynn reden. Sie würde herkommen und Frau Schmitt erklären, dass das ein Missverständnis war. Sie würde mich aus dieser Lage herausholen. Das würde sie doch, oder? Ich zuckte zusammen, als Frau Schmitts Telefon läutete.
„Ja, sie können jetzt herein kommen", sprach sie in den Hörer.
Kurz darauf öffnete sich die Tür zum Büro, Lynn trat herein, mit Lorik an der Hand. Meine Rettung! Jetzt würde sich alles klären.
„Majlinda, du wirst nicht glauben, was hier gerade vorgeht", begann ich.
Ich setzte ein erleichtertes Lächeln auf, das jedoch sofort verschwand, als ich Lynns Gesichtsausdruck sah — kalt und abweisend.
Sie näherte sich dem Schreibtisch und begann Lorik auszuziehen. Erst die Jacke, dann den Pulli. Bis er schließlich nur noch in seinem blauen Unterhemd dastand, auf dem an der linken Brustseite ein süßes Bärenmotiv aufgedruckt war.
War es nicht merkwürdig, dass mir in dieser Situation, ein solch winzigen und unwichtiges Detail auffiel? Meine Augen klebten förmlich dran. Ich war wie erstarrt — bis Lynn das Wort ergriff.
„An beiden Armen hat er blaue Flecken", sagte sie und deutete auf Lorik, dessen Blick auf dem Boden gerichtet war.
Ich war nicht darauf vorbereitet. Nein, das war ich nicht! Loriks kleine, dünne Ärmchen waren übersät von blauen Flecken, es sah so aus, als hätte ihn jemand gekniffen und keine Stelle ausgelassen. Dieser Anblick tat unglaublich weh!
Panik, die mich bis in die Fingerspitzen erzittern ließ, machte sich in mir breit. Ich rang um Fassung, griff mir mit einer Hand an den Kopf, während sich die andere auf meinen Bauch legte. Mir war übel, der Raum schien sich zu drehen.
„Lynn .. ich .. ich war das nicht."
Sie ignorierte mich, zog stattdessen den Kleinen wieder an.
„Lorik, kannst du mir sagen, wer das getan hat?", fragte Schmitt.
Der Kleine schwieg und rührte sich nicht.
„Es ist okay, Liebling", sprach Lynn mit liebevoller Stimme auf ihn ein. „Du kannst es sagen."
Schließlich hob er den Kopf, zeigte mit dem Finger auf mich. Da! Die Böse, die Übeltäterin! Ich fühlte mich, als hätte soeben ein Pfeil meinen Brustkorb durchbohrt. Ganz kurz, für eine klitzekleine Sekunde, trafen sich unsere Blicke.
Ich habe dir nicht weh getan, und das weißt du, sprach ich stumm in mich hinein. Ich träume. Das ist nur ein Traum. Gleich werde ich aufstehen, mir den Schweiß von der Stirn wischen und lachen. Ich werde lachen, weil das ein absurder und lächerlicher Traum war.
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Seelensplitter
General FictionVerlust. Ein starkes Wort. Es gibt so viele verschiedene Arten davon, aber keine schmerzt so sehr, wie der Verlust des eigenes Kindes - ob ungeboren oder nicht. Die Seele zerbricht und die Splitter bringen die Wunde immer wieder von Neuem zu bluten...