8 - Clara de Flocon

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Ava hat gelogen. Sie schickt mich nicht in den riesigen Glaskomplex des Sunhunter Departments, sondern zu einer Villa am Stadtrand der Bubble, wie sie mir zwei Minuten, bevor meine Bahn New Helsinki erreicht, mitteilt. Ich war noch nie hier, aber jemand droppt über das Netzwerk der Bubble eine digitale Landkarte auf meine Datawatch, damit ich die Adresse nicht in ein trackbares Programm eingebe. Ich verdrehe die Augen.
Mein vorheriges Ziel sehe ich sofort – dafür hätte ich keine Karte gebraucht. Der Gebäudekomplex, der aussieht wie ein riesiger Glaswürfel, erstreckt sich über knapp ein Viertel der zweitreihigen Bubble.

Ich steige aus der Bahn, die Türen schließen sich piepend hinter mir und dann bleibt mir nichts anderes übrig, als dem Regierungsgebäude am Wasser den Rücken zuzukehren und über den schneeverkrusteten Bürgersteig auf einen der Parks zu zuhalten. Mir ist eiskalt. Ich habe nur eine dunkelblaue Fleecejacke mitgenommen, weil ich den Temperaturunterschied unterschätzt habe. Die schneebedeckten Kiefern des Kaivopuisto Parks ziehen an mir vorbei, meine Turnschuhe knirschen auf dem festgetretenen Kies des Wegs. Kohlmeisen zwitschern in den Zweigen über meinem Kopf. Ich komme an einem Vogelhaus mit beleuchteter Landebahn vorbei, das irgendjemand mitten auf einer Lichtung platziert hat. Seltsam. Insgesamt finde ich den Wald mittelmäßig gruselig und zücke schon meine Watch, um mich neu zu orientieren, als die Bäume plötzlich enden.

Vor mir erstreckt sich gelbliches Gras bis zu einem asphaltierten Rund, in dem ein leerer Springbrunnen steht. Die Backsteinvilla scheint unbewohnt, doch ich bin nicht so dumm, dem Schein zu glauben. Wenn Ava MacSage mich kurzfristig hierher umleitet und nicht in den Core schickt, dann muss irgendwas im Busch sein. Ich fühle mich beobachtet, als ich zwischen den Bäumen hervortrete und über den hart gefrorenen Boden auf das Haus zuhalte. Ich habe keine Ahnung, was ich hier tue und wieso mich Ava ausgerechnet hierher schickt. Ich drücke die altmodische Klingel neben der Tür und höre das sanfte Läuten.

„Passwort?", fragt eine Stimme über die Gegensprechanlage.
„Archangel."
Ein ungefähr sechzigjähriger hagerer Mann im Frack öffnet die Tür.
„Clara de Flocon?", fragt der Butler und schüttelt mir die Hand, „Hendrik Reynolds. Schön, dass sie es einrichten konnten. Treten Sie ein."
Er nimmt mir galant die Jacke ab und hängt sie zu einem Haufen anderer Jacken an einen altmodischen Hutständer. Es riecht nach Möbelpolitur, Seife und Haargel. In flachen Tontöpfen stehen verschiedenste Bonsais auf den Fensterbrettern verteilt.

„Nach Ihnen", der Butler lässt mir den Vortritt in ein ausladendes Kaminzimmer. Ich bin alleine in dem großen gemütlichen Raum. Ein Feuer brennt hinter einer Glasscheibe, Bücher reihen sich an den Wänden entlang auf und durch die Fenster blickt man auf dieser Seite direkt hinaus auf den verschneiten Wald. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber das hier sicher nicht. Mitten im Raum dreht sich ein kupfernes Modell des Cores um sich selbst. Ich beobachte fasziniert, wie die Sphären umeinander tanzen, perfekt austariert zu einem Perpetuum Mobile.

„Kann ich Ihnen etwas anbieten?", fragt der Butler, als er wieder den Kopf zur Tür hereinsteckt, „Tee, Kaffee, Limonade oder ein paar kulinarische Kleinigkeiten?"
Ich muss erst mein klopfendes Herz zur Ruhe zwingen, bevor ich ein „Hagebutten Tee wäre wunderbar, Dankeschön", hervorbinge.
„Gerne. Machen Sie es sich bequem, es dauert nicht mehr lange."

Ich sehe mir die Bücherrücken im Regal an, lese Titel wie ‚Föderative Handelsgesetze', ‚Deepspace Reisen und ihr Einfluss auf die Physiologie' und ‚Diktatoren der Galaxiegeschichte – Eine Chronik des Bösen'. Hendrik bringt mir eine feine Keramiktasse voller dampfendem Tee.

Die Tür knallt auf und mehrere Personen kommen begleitet von einem Schwall kalter Luft herein. Sie machen sich nicht die Mühe, ihre Schuhe auszuziehen, oder Hendrik ihre Jacken zu geben. Ava sieht noch mehr auf Zack aus, als sonst. Sie klappt einen schwarzen Regenschirm zusammen, übergibt ihn kommentarlos an den Butler und steckt sich eine verirrte Haarsträhne zurück in ihren Dutt, als wäre diese ein entflohener Gefangener.

Starshakers (Sunhunters pt. 2)Where stories live. Discover now